Sie kennen Chino nicht?

von Kurt Pätzold

Dann gehören Sie womöglich nicht zu den Adressaten, an die jene US-amerikanische Textilfirma ihre Kataloge und andere Anzeigen versenden läßt, die nicht nur ihre Waren an den Mann bringen, sondern auch Geschichtswissen vermitteln will? Suchen Sie sich nicht erst anhand eines Lexikons zu informieren, das auf dem Bücherbord ihrer wißbegierigen Kinder steht. Das endet vergeblich. Die Sache ist ein wenig komplizierter. Denn: "Chino ist nicht gleich Chino." Dies würden Sie schon von der Reklameabteilung erfahren haben, wenn Sie auf deren Versand- und Käuferliste stünden. Und das ist wahr. Die aus dem Spanischen stammende Bezeichnung galt in Peru den Nachkommen eines Schwarzafrikaners und einer Indianerin, im La Plata-Gebiet soll sie einen Sprößling eines Weißen und einer Indianerin, in Mexiko wieder die Kinder von einheimischen Schwarzafrikanern bezeichnet haben. Wirklich: Chino ist nicht gleich Chino. Doch die Aufklärung über Ethnien wird nicht geliefert, ist sie doch gar nicht gemeint. Das Chino, auf das hier auf Glanzpapier Bezug genommen wird, meint ein Chino, das ein Gleichwort in der Bezeichnung Khaki besitzt, und diese steht für die Farbe eines Stoffes (später für den ganzen Stoff), namentlich einer Hose. Deren Nachbildung soeben auch auf unseren Markt, und die sollte Ihnen niemand vor der Nase wegkaufen.

Sie mögen Khaki nicht und wollen überhaupt Blicke nicht auf ihre inzwischen ein wenig unvorteilhaft gewordene untere Leibeshälfte lenken? Bedenken Sie das unter Anleitung. Denn es wird Ihnen weiter beiläufig mitgeteilt: "Das sollten Sie wissen. Chino oder Khaki ist die korrekte Bezeichnung für die ehemals weißen Uniformhosen der britischen Kolonialtruppen in Indien. Die Militärs färbten die Hosen khakifarben, um sich besser der Umgebung anzupassen." Wenngleich Ihnen die Landschaft hierzulande einen anderen Hintergrund liefert, sieht sich die Sache mit derlei Argument nicht schon verlockender an?

Damit Sie, bis Sie sich zum Einkauf aufmachen, nicht vergessen haben, welches Beinkleid Sie eigentlich erwerben wollten, werden Sie nach der Offerte im gleichen Text nur Zentimeter weiter unten abgefragt: "Auf welche Kolonialtruppen in Indien ist der Name Chino für die heutigen (folgt Name des Produzenten) Freizeithosen zurückzuführen?" Freundlich wird Ihrem Gedächtnis mit der auf nur drei Möglichkeiten beschränkten Auswahl "Holländer", "Franzosen", "Briten" aufgeholfen. Können Sie sich da richtig herausfinden und machen Sie Ihr Neuwissen dann durch ein Kreuzchen der Firma bekannt, die Sie frei Haus so kurzweilig unterhalten hat, so kommt Ihr Sendschreiben in eine Lostrommel, und Sie gelangen möglicherweise in den Besitz eines Einkaufsgutscheins, mit dem Sie Ihren Anspruch gleich auf zwei begürtelte Hosen dieser Sorte geltend machen dürfen.

Sie würden schon wollen, aber Ihre Frau nicht? Die hat sich ein wenig in Kolonialgeschichte belesen und würde, kämen Sie in derlei Stück daher, an die Greuel denken müssen, mit denen im Vizekönigreich für britische Ordnung gesorgt wurde? Und Ihr Sohn, der sich für Historienmalerei interessiert, hat Ihnen, als Sie ihn fragten, ob er nicht die vielleicht zu erstehende zweite Hose haben wolle, von jenem berühmten Gemälde gesprochen, das die von der britischen Kolonialsoldateska vor die Mündungen von Kanonenrohren gebundenen Inder darstellt? Und Ihre sich immer so direkt ausdrückende Tochter ist Ihnen gar mit der Frage gekommen, ob Sie demnächst ein Kleidungsstück tragen wollten, das mit dem Verweis angepriesen wird, solchen Stoff hätten die Angehörigen der Einsatzgruppe A 1941 im Baltikum beim Judenmord getragen? Und deshalb haben Sie den vagen Kaufplan dann aufgegeben, wiewohl Sie doch das Familienoberhaupt sind? Ach so. Sie konnten Ihrer Tochter nicht sagen, daß Sie es für ausgeschlossen halten, daß es zu jener Anpreisung noch kommen werde.

Erschienen in Ossietzky 25/2002