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Die Rede ist von dem Bauingenieur Hermann Friedrich Gräbe, einem in Deutschland bis heute fast unbekannten Mann, dessen Rettungstaten denen eines Oskar Schindler nicht nachstehen. Anders als dieser muß er aber von einer größeren Öffentlichkeit erst noch entdeckt werden. Gräbe wurde 1900 in Gräfrath bei Solingen geboren. Während des Zweiten Weltkrieges arbeitete der gelernte Ingenieur als regionaler Manager einer Solinger Baufirma in der deutsch besetzten Ukraine. In den Städten Rowno und Dobno wurde er 1942 Augenzeuge systematischer Mordaktionen der SS, denen Tausende ukrainischer Juden zum Opfer fielen. Darüber entsetzt faßte der christlich geprägte, charakterstarke und selbstbewußte Mann einen doppelten Entschluß: Zum einen wollte er so viele Menschen wie möglich retten; zum anderen, so schwor er sich, wollte er nach dem Kriege der Öffentlichkeit wahrheitsgetreu über die Mordtaten berichten. Ähnlich wie Oskar Schindler weder militärischen noch zivilen Behörden unterstehend, agierte Gräbe als selbständiger regionaler Unternehmer. Er ging daran, mit Hilfe von Vertrauten ein ganzes Rettungsnetz aufzubauen. Zeitweise beschäftigte er Tausende von Juden in den Zweigstellen seines Betriebes und erklärte deren Arbeit für absolut kriegsnotwendig. Damit versuchte er, leider nicht immer erfolgreich, sie vor dem Zugriff der SS und ihrer ukrainischen Kollaborateure zu schützen. Die Untertanengesinnung der braunen Funktionsträger in Rechnung stellend, bediente er sich in der entstehenden Konflikten regelmäßig des Arguments, daß er "für höchste Stellen" in Berlin arbeite, wobei er seinen Kontrahenten suggerierte, es sei besser für sie, darüber nichts Näheres zu erfahren. Als 1944 die Rote Armee die Ukraine zurückzuerobern begann, stellte er einen langen Eisenbahnzug zusammen, mit dem er nicht nur die jüdischen Arbeiter, sondern auch die technische Ausstattung seines Ingenieurbüros sowie seine hochbrisanten persönlichen Aufzeichnungen nach Westen beförderte. In den letzten Monaten des Krieges gelang es ihm unter abenteuerlichen Umständen, die Menschen in US-amerikanische Obhut und damit in Sicherheit zu bringen. Wie er sich in der Ukraine geschworen hatte, gab Gräbe den Beauftragten der US-Army minutiöse Berichte über die Massaker, deren Zeuge er geworden war. Dabei stützte er sich nicht nur auf sein geschultes Gedächtnis, sondern auch auf seine Tagebücher und andere Aufzeichnungen. Er konnte Ort und Zeit sowie die Namen der Täter und der Opfer nennen. Seine betont nüchtern gehaltenen Aussagen über die Massaker in Rowno und in Dobno spielten in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen eine wichtige Rolle. Gräbe war der einzige deutsche Zeuge, der deutsche Angeklagte massiv belastete. Gleichzeitig trug er mit seinen Berichten dazu bei, die Weltöffentlichkeit über den systematischen Judenmord zu informieren. Für seine Rettungsaktionen sowie seinen Mut, über von Deutschen begangene Massenmorde auszusagen, wurde er vielfach international geehrt, nicht zuletzt durch Yad Vashem in Jerusalem. Parallel zur internationalen Anerkennung seiner Anständigkeit und Geradlinigkeit mußte Gräbe allerdings erleben, daß er in Deutschland bedroht und als Verräter angefeindet wurde. Geschäftlich bekam er keinen Fuß mehr auf den Boden. 1948 emigrierte er in die USA. 1953 nahm er auch die dortige Staatsbürgerschaft an, nachdem ihm klar geworden war, daß er "in Deutschland unerwünscht" war. Wieviel Einfluß Anhänger der NS-Volksgemeinschaft auch in den sechziger Jahren noch hatten, bekam Gräbe zu spüren, als Juristen und auch Zeitungen versuchten, den Nestbeschmutzer als unglaubwürdig hinzustellen und schlicht fertig zu machen. Der Solinger Regionalhistoriker Horst Sassin hat für das Buch, auf das hier hinzuweisen ist, eine Untersuchung beigesteuert, in welcher die beschämende Geschichte der Wahrnehmung Fritz Gräbes in seiner Heimatstadt Solingen nach 1945 erzählt wird. In Wolfgang Heuers kompetenter Analyse der Rezeptionsgeschichte Gräbes in Deutschland, die den Band beschließt, findet sich auch das eingangs zitierte politische Bekenntnis des "furchtbaren Juristen" Schümann, dessen Arbeit von der "Stillen Hilfe" unterstützt wurde, einer Organisation ehemaliger Nationalsozialisten. Hermann Friedrich Gräbe starb 1986 in den USA, ohne in Deutschland je Anerkennung gefunden zu haben. Vertreter einer neuen Generation von Deutschen begannen 1994, angestoßen durch den Film "Schindlers Liste", an ihn zu erinnern. Zu seinem 100. Geburtstag wurde in Köln der Film des Regisseurs Dietrich Schubert mit dem Titel "In Deutschland unerwünscht - Hermann Graebe" uraufgeführt. Und jetzt, im Jahre 2002, hat der Verlag zu Klampen in Lüneburg eine deutsche Übersetzung der Biographie dieses deutschen Judenretters publiziert. Geschrieben wurde sie von dem amerikanischen Presbyterianer-Pfarrer Douglas K. Huneke, der auch durch eigene Holocaust-Studien hervorgetreten ist. Die wichtigste Quellenbasis der Biographie sind viele persönliche Gespräche, die Huneke mit Fritz Gräbe in San Francisco führte. Die schon 1985 erschienene amerikanische Ausgabe des Buches trägt den sprechenden Titel: "The Moses of Rowno. The Stirring Story of Fritz Graebe, a German Christian Who Risked His Life to Lead Hundreds of Jews to Safety During the Holocaust". Douglas K. Huneke: "In Deutschland unerwünscht. Hermann Gräbe. Biographie eines Judenretters", aus dem Amerikanischen von Adrian Seifert und Robert Lasser, zu Klampen Verlag, 325 Seiten, 24 Euro
Erschienen in Ossietzky 25/2002 |
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