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Feldzug systematischer Lüge und Verleumdung" geschürt wurde. Doch dem Zweiten Bürgermeister von Berlin, Georg Reicke, erschien der Text zu weitschweifig und lasch. Deswegen verfaßte er gemeinsam mit dem Dramatiker Hermann Sudermann und dem Lustspielautor Ludwig Anton Fulda einen "An die Kulturwelt" gerichteten "Aufruf", der dann als "Manifest der 93" berühmt wurde. Die Kulturwelt bekam da unter anderem zu lesen: "Es ist nicht wahr, daß, Deutschland diesen Krieg verschuldet hat ... Es ist nicht wahr, daß wir freventlich die Neutralität Belgiens verletzt haben. Nachweislich waren Frankreich und England zu ihrer Verletzung entschlossen. Selbstvernichtung wäre es gewesen, ihnen nicht zuvorzukommen ... Es ist nicht wahr, daß unsere Truppen brutal gegen Löwen (die belgische Stadt; U.R.) gewütet haben. An einer rasenden Einwohnerschaft ... haben sie durch Beschießung eines Teils der Stadt schweren Herzens Vergeltung üben müssen." Nach solchen peinlichen Rechtfertigungsversuchen wurde sogar behauptet, das deutsche Militär verteidige die europäische Kultur: "Mit Selbstaufopferung haben es (das Rathaus von Löwen; U.R.) unsere Soldaten vor den Flammen bewahrt. Sollten in diesem furchtbaren Kriege Kunstwerke zerstört worden sein oder noch zerstört werden, so würde es jeder Deutsche beklagen. Aber so wenig wie wir uns in der Liebe zur Kunst von irgend jemand übertreffen lassen, so entschieden lehnen wir es ab, die Erhaltung eines Kunstwerks mit einer deutschen Niederlage zu erkaufen." Und die Aufrufer bemühten auch noch den alten Goethe: "Glaubt uns! Glaubt uns, daß wir diesen Kampf zu Ende kämpfen werden als ein Kulturvolk, dem das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethovens, eines Kant ebenso heilig ist wie sein Herd und seine Scholle." Da man sich als Kulturvolk mit Goethe reingewaschen hatte, konnte man den Militarismus direkt zum Inbegriff der deutschen Kultur erklären: "Es ist nicht wahr, daß der Kampf gegen unseren sogenannten Militarismus kein Kampf gegen unsere Kultur ist ... Deutsches Heer und deutsches Volk sind eins." Und so steigerte sich das Manifest zum Bekenntnis zu Krieg und Rassismus: "Es ist nicht wahr, daß unsere Kriegführung die Gesetze des Völkerrechts mißachtet ... Sich als Verteidiger europäischer Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht, die sich mit Russen und Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen." Namhafte Deutsche unterzeichneten den Aufruf "An die Kulturwelt", der in allen großen reichsweit vertriebenen Zeitungen Anfang Oktober 1914 veröffentlicht und brieflich direkt an Wissenschaftler im Ausland gerichtet wurde. Beispielhaft erwähnt seien hier Gerhart Hauptmann, Engelbert Humperdinck, Max Liebermann, Max Reinhardt, Friedrich Naumann, Max Planck, Paul Ehrlich und weitere Nobelpreisträger. Auch protestantische und katholische Theologen waren zahlreich vertreten, unter ihnen Adolf von Harnack und Reinhold Seeberg. Ein Widerruf oder eine Entschuldigung folgten nie. Nach dem Krieg lebten noch 75 der Unterzeichner. Auf ihr Pamphlet angesprochen, beriefen sie sich darauf, daß sie den Text vorher nicht gekannt hätten und "von den Berlinern" getäuscht worden seien. Sie hätten nur telefonisch ihre Unterschrift zugesagt zu einem Text, der noch zu entwerfen war. Die Veröffentlichung des Aufrufs habe ihnen den Text erst bekannt gemacht. Das mag stimmen, aber warum haben die angeblich Getäuschten dann nicht bereits im Oktober 1914 ihre Unterschrift öffentlich zurückgezogen? Im Übrigen versuchten sie sich damit herauszureden, daß der Aufruf in den ersten Kriegswochen im "patriotischen Überschwang" entstanden sei. Und an der hitzigen Debatte darüber sei nicht der Aufruf selber schuld, sondern die "Überreaktion der ausländischen Presse" und Georges Clemenceaus, der das Manifest im französischen Parlament verlesen und damit die Stimmung gegen die deutschen Wissenschaftler angeheizt habe. Mit dem Aufruf "An die Kulturwelt" befand man sich in der Tradition eines öffentlichen Antwortbriefes des Prorektors der Universität Göttingen, des Kirchenrechtlers Richard Dove, an die Britisch-Irische Akademie der Wissenschaften vom Dezember 1870. Darin hieß es zur Rechtfertigung des Deutsch-Französischen Krieges: "Daß der Welt der Glaube an die Gerechtigkeit unverloren bleibt, das dankt sie nächst Gottes Gnade dem deutschen Volke." Vier Tage vor dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte das Göttinger Tageblatt Doves Brief nochmals, jetzt unter der Überschrift: "Schon im Jahre 1870: Göttinger Prorektor weist englische Unverschämtheit zurück - eine zeitgemäße Erinnerung." Am Übergang zum 21. Jahrhundert ist der "Kampf der Kulturen" neu entbrannt: gegen den Islam. Der "Islamismus" wird zur großen Bedrohung. So konnten an deutschen Universitäten Studierende "nichtdeutschen Aussehens" oder muslimischer Religionszugehörigkeit allesamt Objekte der Rasterfahndung werden. Die Unterschriften führender Theologen unter dem "Manifest der 93" haben die Kirchen nie zu einem Wort der Kritik veranlaßt, bis heute nicht; die theologischen Lehrschriften der Unterzeichner erfreuen sich an den deutschen Universitäten nach wie vor fleißigen Gebrauchs. 1999, im Jahr des Angriffskrieges gegen Jugoslawien, fühlte sich der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Kock, "unseren Soldaten in besonderer Weise verbunden". Der gegenwärtig im Verborgenen geführte Krieg der KSK-Soldaten in Afghanistan wird ohne theologische Skrupel "militärseelsorgerlich" begleitet. Die EKD-Synode erklärte sich in diesem November zwar ausdrücklich gegen einen Irak-Krieg, nicht aber gegen Kriege überhaupt, und niemals wenden sich die Amtskirchen klar und deutlich gegen die Hochrüstung der Bundeswehr. Unter den 22 "Experten", die im Mai 2000 den Bericht der "Weizsäcker-Kommission" zur Umstrukturierung der Bundeswehr vorlegten - worin gefordert wird, die Bundeswehr müsse fähig sein, zwei Kriege gleichzeitig zu führen -, befanden sich nicht weniger als sieben Theologen. Für die Amtskirchen ist und bleibt die deutsche Kultur eine kriegerische.
Erschienen in Ossietzky 25/2002 |
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