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Stattdessen haben sie globalisiert und flexibilisiert und den Standort gepflegt und die Lohnnebenkosten gesenkt und das Wirtschaftsklima verbessert, aber nur einen fett gefüttert: die Großwirtschaft. Der Rest geht langsam vor die Hunde, die Arbeitslosigkeit steigt, die Leistungen der öffentlichen Hand schrumpfen, denn: "Wir müssen sparen." Krank werden sollte man nicht mehr, vom Altwerden ist dringend abzuraten, den Arbeitslosen wird - par ordre de Hartz - das bißchen Hilfe gekürzt, das schon bisher kaum reichte. Der Sozialstaat wird, wie die Politiker uns versichern, nicht angetastet, nur umgebaut - aber ohne Bauplan. Daß der Schwarzbau in absehbarer Zeit einzustürzen droht, kümmert unsere Politiker nicht, auch nicht die, die das Soziale an die erste Stelle ihres Parteinamens gesetzt haben. Im Bann eines Vorsitzenden, der zugleich und vor allem Kanzler ist, geben sie sich und ihre Tradition, ihre Überzeugung (falls sie eine hatten) und ihren Auftrag preis. Gespart werden muß überall, also auch in der Justiz. Wer wagt zu widersprechen? Niedersachsens Justizminister Pfeiffer ist Kriminologe, ein anerkannter Fach mann in dieser Disziplin; der Rest seines Ressorts scheint ihm weniger vertraut zu sein. Jetzt will er die Justiz "abspecken", und dazu sind ihm lt. Hildesheimer Allgemeine Zeitung vom 5. Dezember u.a. folgende Möglichkeiten "kreativen Sparens" (wörtlich) eingefallen: auf den dritten Berufsrichter in Spruchkörpern zu verzichten (der werde eh schon als "Beischläfer" persifliert), die Höchstdauer der Unterbrechung strafrechtlicher Hauptverhandlungen von zehn auf 21 Tage zu verlängern und in Strafsachen keine Urkundsbeamtin mehr zur Protokollführung einzusetzen. Nun mag man lange darüber nachdenken, ob der Richter im Zeichen des Diktiergeräts eine Protokollführerin braucht. Als Kammervorsitzender mit 22 Jahren Berufserfahrung habe ich die Frage stets bejaht, weil auch die Schriftführerin, zusammen mit den Richtern, für die Wahrung der Förmlichkeiten haften soll. Diese Rollenverteilung hat der weise Prozeßrechtsgeber mit Bedacht gewollt. Aber das muß heute niemand mehr verstehen, und die Sparerei hat schon absurdere Früchte getragen als diese. Ernster wird es mit der Unterbrechungsfrist. Hat sich Pfeiffer nach ihrem Sinn erkundigt? Dann hätte er sich mit der Frage befassen müssen, ob Strafrichter nach bis zu drei Wochen noch einfach da weitermachen können, wo sie aufgehört hatten - oder ob sie dann nicht so weit aus dem Zusammenhang des Verfahrensgeschehens heraus sind, daß sie ins Trudeln kommen. Und ins Mogeln, um sich keine Blöße zu geben. An dieser unauffälligen Stelle geht es schlicht um die Wahrheit, die im Prozeß gefunden werden soll. Können wir da aus Gründen der Sparsamkeit Abstriche machen? Ein bißchen weniger Wahrheit, endlich der Verzicht auf Wahrheit, je nach Haushaltslage? Das Ärgste ist die Richterverminderung. Schon seit Jahren wird die Einzelrichterei in der Justiz propagiert. Sie gilt als geradezu naturnotwendiger Ausweg aus der Kostenmalaise. Aus US-amerikanischen Gerichtsserien im Fernsehen haben unsere Politiker die Gewißheit mitgenommen, daß vorne immer nur ein Richter sitzt, und sie wundern sich, daß es in deutschen Gerichtssälen keinen Holzhammer gibt. Nun aber entdeckt der Minister, daß hier und da noch Spruchkörper mit drei Berufsrichtern bestehen, und da zuckt er zusammen. Welche Verschwendung von Arbeitskraft, denkt er und schämt sich, daß ihm das nicht schon früher in den Sinn gekommen ist. Und dann nimmt er heiter das Wort vom "Beischläfer" in den Mund und verwendet den justizeigenen Scherz gleichsam als Beweis für die mangelnde Daseinsberechtigung des Dritten. Hätte Pfeiffer je eine richterliche Funktion ausgeübt, so hätte er vielleicht einen anderen Scherz gehört: "Der Dritte muß es merken." Der Satz entsprach der - auch meiner - Erfahrung, daß gar nicht genug Leute aufpassen können, wenn es gilt, Fehler zu vermeiden. In der Rechtspflege kann es bei jedem Fehler ums Ganze gehen, um Lebensschicksal, Ruf, Existenz. Hat der Minister jemals den Film "Die zwölf Geschworenen" gesehen? Und hat er seine Botschaft verstanden? Unter zahlreichen Justizfilmen kenne ich keinen zweiten, der so dramatisch und erschütternd zeigt, welch hohes Gut die Gerechtigkeit ist und wie wir um sie kämpfen müssen, weil sie vielfach bedroht ist. Nach Pfeiffers Spar-Mathematik wären von den zwölf Geschworenen wohl zehn oder elf zuviel gewesen. Bloße Kostenfaktoren. Überflüssig. Ist es ein Trost für die verpfeifferte Justiz, wenn auch die Parlamente verkleinert werden? Angesichts des Fraktionszwangs könnte man sogar auf die Idee kommen, es genüge, wenn jede Fraktion nur noch in der Gestalt ihres Vorsitzenden im Parlament säße. Als Plenarsaal reichte ein Zimmerchen. Bei Parlamentsbeschlüssen würden die einzelnen Stimmen je nach dem Wahlergebnis der Partei gewertet - mit acht oder 37 oder 44 Prozent. Ganz einfach. Welcher Spareffekt! Demokratie ist sowieso zu teuer für unsere Wirtschaft.
Erschienen in Ossietzky 25/2002 |
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