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Für die Meinungsmacher in Presse, Funk und Fernsehen ist viel interessanter, daß diese zornigen Jungen sich flugs zu SprecherInnen einer ganzen Generation erklären und hinter den älteren Parteipolitikern ihr Ersatz-Feindobjekt anpeilen: die viel zu gut versorgten Rentner, Kranken und "Pflegefälle", die auch noch immer mehr werden! Aus Sicht der Jungen sind ihre Partei- und Regierungsbonzen Agenten der schmarotzenden Generation der Alten. Stichwortgeber finden die rot-grünen Rebellen nicht nur in jeder Zeitung; auch die Wissenschaft ist gern zu Diensten, z. B. die Sprecher eines "Jungwissenschaftler-Netzwerks ›BerlinPolis‹": "Der regierenden Generation scheint die nächste Generation egal, Hauptsache, der Sozialstaat, der aus den Nähten platzt, wird noch einmal notdürftig geflickt." Kanzler Schröder dürften solche kritischen Töne - nicht nur aus der Opposition, sondern auch aus den eigenen Reihen - gelegen kommen. Kann er sich doch sofort als der Beschützer vor sozialer Kälte profilieren. In seiner Rede im Bundestag am 4. Dezember wies er darauf hin, daß die heutigen Rentner, soweit männlich, im Schnitt gerade mal auf 973 Euro kommen, die Frauen auf 506 Euro, und er mahnte: "Bevor man hier kürzt, sollte man sich das dreimal überlegen." Wie schnell Gerhard Schröder auch mehr als dreimal überlegen kann, hat er oft genug bewiesen. Es war seine Regierung, die mit ihren Manipulationen am Rentensystem bei der Einführung der "Riester-Rente" die Durchschnittsrenten auf ihren heutigen Tiefstand brachte. Und jetzt kündigte er weitere "Strukturreformen im Sozialsystem" an, wobei er Hans Eichel unterstützte, der am Vortag zusätzliche Einschnitte ins soziale Netz propagiert hatte. Ganz staatsmännisch stellte sich Schröder auch vor den Professor Rürup, der als neuer Rentenkommissionsvorsitzender ein Renteneintrittsalter von 67 Jahren anstrebt. Der "Kampf der Generationen" scheint also in vollem Gange. Mal platt demagogisch nach dem Motto: "Alte, wollt Ihr ewig leben?", mal scheinbar wissenschaftlich mit dem ominösen "Demographiefaktor". In Schröders Regierungserklärung vom 29. Oktober hörte sich das so an: "Medizinischer Fortschritt und gestiegene Lebensqualität haben ... die Lebenserwartung der Menschen verlängert... Wenn ein immer kleinerer Teil der Gesellschaft die Beiträge für die Kassen aufbringen muß, deren Leistungen im Gesundheitswesen und bei der Altersversorgung von einem immer größeren Teil in Anspruch genommen werden, dann bedroht das auf Dauer die Funktionsfähigkeit der Solidargemeinschaften." Da war sie, die Bedrohung durch die zu vielen und zu fitten Alten, von der Regierung selber an die Wand gemalt. Der laute Zorn der Jungen kann dieser Regierung nur recht sein. Er hilft ihr bei dem Vorhaben, die Leistungen der Kranken-, Pflege- und Rentenkassen weiter zu kürzen. Doch die Bedrohungsszenarien erweisen sich, schaut man einmal dahinter, als bemalte Pappe. Die Behauptung, daß in den letzten 25 bis 30 Jahren zu wenige Menschen nachgewachsen seien, um auch für Alte und Kranke arbeiten zu können, stimmt nicht. Laut Bundesanstalt für Arbeit waren im November 2002 über vier Millionen als arbeitssuchend gemeldet. Davon waren 472 000 jünger als 25 Jahre; die tatsächliche Zahl der Jungen ohne rentenwirksame Erwerbsarbeit dürfte über einer Million liegen, einschließlich der vielen, die in Umschulungen, Zweitstudien usw. ihre Warteschleifen drehen. Es sind also genug Junge da, die auch in die Sozialkassen einzahlen könnten - doch offensichtlich finden es die Verantwortlichen in Regierung und Wirtschaft nützlicher, sie als arbeitslose Reservearmee vorrätig zu halten und derweil die Alten möglichst lange zur Maloche zu zwingen (nachdem schon in der Kohl-Zeit das Renteneintrittsalter der Frauen und der Schwerbeschädigten von 60 auf 65 Jahre erhöht worden war). Ein falsches Bild entsteht auch, wenn unsere Sozialpolitiker besorgt auf die in den letzten zwanzig Jahre relativ niedrige Geburtenzahl hinweisen, durchschnittlich 800 000 pro Jahr, und regelmäßig vergessen, die rund 300 000 Menschen hinzuzurechnen, die hier jährlich mehr ein- als ausgewandert sind. Auf der anderen Seite wird die sogenannte Generation der Alten immer übertrieben groß und bedrohlich anwachsend dargestellt. 1998 hatte Deutschland 82 Millionen Einwohner, davon waren 13 067 455 über 65 Jahre alt. Zwanzig Jahre zuvor, bei 78 Millionen Gesamtbevölkerung, hatten in den beiden damaligen deutschen Staaten 12 167 440 Menschen über 65 gelebt. Die Zahl der Alten ist demnach in den zwei Jahrzehnten um 900 000 angewachsen. Ist das bei jetzt ungefähr vier Millionen mehr Einwohnern wirklich besorgniserregend? Für die Zukunft läßt sich aus den demographischen Zahlen so wenig herauslesen wie aus dem Kaffeesatz. Keiner kennt die Geburtenziffer auch nur des nächsten Jahres und schon gar nicht die Anzahl der Zuwanderer. Keiner weiß, wie sich die Lebenserwartung entwickelt. Sie mag durchaus wieder sinken, wenn die Verwahrlosung der Pflegebedürftigen und die Verweigerung medizinischer Hilfen besonders für Alte weiter so zunimmt, wie sich das seit einigen Jahren abzeichnet. Zu erwarten ist zunächst noch für einige Jahre eine Zunahme der Altersgruppe über 65, weil jetzt die geburtenstarken Jahrgänge aus der Vorkriegszeit in Rente gehen. Danach wird wahrscheinlich die Zahl wieder sinken, wenn nämlich die während und kurz nach dem Krieg in wesentlich geringerer Zahl Geborenen die Altersgrenze erreichen. Genaues weiß niemand. Jeder könnte wissen, warum die Zahl der auf Rente Angewiesenen überproportional angestiegen ist und weiter ansteigt: weil die Betriebe viele 55- bis 60-Jährige über Anpassung, Arbeitslosengeld und Frühverrentung kostengünstig, also gewinnbringend für den Betrieb, in die Sozialkassen entsorgen. Aber die Alten werden behandelt, als wären sie durch ihr bloßes Älterwerden schuld an den gesellschaftlichen Mißständen. Ihnen wird gesagt: Ihr seid zu viele und werdet zu alt und beansprucht zuviel. Jeder kennt den Skandal der Jugendarbeitslosigkeit. Aber den Jungen wird tagtäglich eingeredet: Ihr seid zu wenige und müßt wohl bald unter der Last der Sozialsysteme zusammenbrechen. Daß Politiker und Unternehmer seit 20 Jahren den Anteil der Bruttolöhne am Bruttoinlandsprodukt gegenüber den Kapitalgewinnen kontinuierlich zurückgestuft haben, ist der eigentliche Grund für die Finanzierungsengpässe der Sozialversicherungen. Aber aus den Mainstream-Medien schallt der Ruf: Die Regierung muß endlich den Mut zu einem radikalen Schnitt bei den Versorgungen aufbringen. Sie hört ihn gern. Ich habe mich hier auf die Parolen der Machteliten eingelassen - womit ich wohl wenig ausrichten werde, weil deren Diskurshoheit damit nicht zu knacken ist. Die Annahme, es gebe so etwas wie gemeinsame Interessen einer Generation, ist allemal Herrschaftsideologie. Was haben denn die Schröderschen Durchschnittsrentnerinnen mit ihren 506 Euro monatlich (viele sind unterdurchschnittlich versorgt) mit den Witwen aus jenen rd. eine Million Haushalten in Deutschland gemeinsam, die 1998 mehr als 35 000 Mark Monatseinkommen verbuchen konnten? Oder auch mit jenen 2,7 Millionen mit Einkommen zwischen 10 000 und 35 000 Mark? Doch, da gibt es Zusammenhänge, etwa zwischen der alt gewordenen Kassiererin im Nebenjob bei Aldi und den je 15 Milliarden Euro Vermögen der beiden Brüder Albrecht, die jetzt auch über 70 sind. Deren Kapitalanhäufung war nur möglich, weil diese Frau wie viele andere ihre Arbeitskraft so billig, mit Minianwartschaften für ihre Rente, hat verkaufen müssen. - Wenn doch wenigstens die Gewerkschaften der propagandistischen Aufhetzung zum "Kampf der Generationen" mehr Klassenanalyse entgegensetzen würden!
Erschienen in Ossietzky 25/2002 |
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