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Die Aufführung des Theaterhauses Stuttgart und des Staatstheaters Stuttgart löste Kontroversen aus, ob sie wirklich nur abschreckend wirkt oder auch Faszination ausübt gerade auf ein junges Publikum. Siebzehn Ensembles zeigten zwölf Tage lang politisches Theater in den unterschiedlichsten Facetten. Das "Theater des Lachens" aus Berlin mit seiner "Antigone" blieb unprämiert. Drei Schauspieler, Clowns, jeder ist Antigone, ist Kreon, jeder sagt: "Ich hab es nicht getan" und reicht den Spaten weiter, denn: "Wer sich nicht fügt, wird gesteinigt." Jeder sagt: "Ich weiß nichts", und jeder der drei trägt plötzlich eine Schweinemaske. Der hohe Sophokles-Ton fällt in die Umgangssprache und dreht sie um. Einer droht zu ersticken: "Ich krieg' ein Orakel - ich verrücke." Lachen als Moment der Erkenntnis, die drei wunderbaren Schauspieler führen es vor im Malersaal. Sie haben alle an der Theaterhochschule "Hans Otto" in Leipzig studiert, die Regisseurin Astrid Griesbach an der Hochschule "Ernst Busch" in Berlin. Wenig geeignet als Preisträger für das neue Deutschland? Während in der Halle 1 auf Kampnagel die preisgekrönten Fußballfans der Furiosi auf der Bühne toben, verzaubern in Halle 6 fünfzig junge Tänzer aus Kolumbien, Frankreich und Deutschland das Publikum. Nicht die Bundeszentrale, sondern der kolumbianische Choreograf Alvaro Restrepo war Initiator dieses Experiments, zusammen mit Marie-France Delieuvin, die in Angers ein Tanzinstitut leitet. Was die Jugendlichen, nach nur einem Monat Proben hier in Hamburg, auf der Bühne zeigen, ist phantastisch. Sie bekamen einen Text des nigerianischen Autors Ben Okry, um über "Die hungrige Straße" zu improvisieren. Tänzer sprechen: "Nicht einer von uns freute sich darauf, geboren zu werden." Sie bewegen sich in jenem Land der Ungeborenen, das alle vereint. Sie tragen Rahmen mit sich herum, leere Rahmen, die sie mit Leben füllen müssen, tanzen die "eingezäunten Ungerechtigkeiten der Welt", die sie gut kennen. Das Leben, eingeengt auf einen winzigen Raum - wir fühlen es mit. Oder gespannt auf den Rahmen, wie ans Kreuz geschlagen. Restrepo sagt: "Ein Künstler muß im Dialog mit der sozialen Realität sein." Danach handelnd, kehrte er aus New York zurück in sein geschlagenes Land und begann mit Jugendlichen aus Elendsvierteln zu arbeiten. In Cartagena gründete er (mit Geldern der UNESCO und sogar der Weltbank) das "Colegio del Cuerpo", wo Kinder und Heranwachsende nicht nur Wissen erlernen, sondern auch ein Gefühl für den eigenen Körper als Ausdruck eines erwachenden Selbstbewußtseins. Restrepo gelingt es, daß die Jugendlichen im Tanz das auszudrücken wagen, woran sie im täglichen Leben gehindert werden. Später auf Kampnagel das Gastspiel von Kim Itoh mit "The Glorious Future", japanischer Tanz aus der Schule des Butoh, dieser expressiven Form, die auch Häßlichkeit und Nacktheit nicht scheut. Was Ende der 50er Jahre revolutionär war, Kim Itoh versucht es als Tänzer und Choreograf weiterzuentwickeln, zeigt sein Stück "I want to hold you". Ein Wesen, Hund oder Mensch, tarngrünfahl gekleidet, kriecht den Boden entlang, tastet die Erde ab, die Dunkelheit. Mit zunehmendem Licht erwachen auch seine Körperteile, unbewußt erst, mühsam. Ein Arm bewegt sich nach oben zum Gruß - zum Heil? Der linke Arm, sich dieser Haltung bewußt werdend, will sie ungeschehen machen, reißt den rechten Arm herunter, nimmt die Geste zurück. Einem fremden Willen gehorchend, wird das Wesen mit kahl geschorenem Kopf und Augenklappe zur Marionette, führt unhörbare Befehle aus. Dann verwandelt es sich in eine Wasserpflanze, schwankend, ohne Halt. Die Stille ist in einem unaufhörlichen Wasserrauschen untergegangen. Stimmengewirr von weither. Tänzer werden hereingetragen, steif wie Erfrorene, auf den Boden gelegt unter die acht Lichtkegel. Das Licht erlöst sie aus ihrer Starrheit, ganz vorsichtig prüfen sie das zurückgekehrte Leben in ihren Gliedern. Das Wesen in Fahlgrün läuft wie ein Blinder oder Irrer herum, reißt unsichtbare Türen auf, versucht, das Nichts zu umarmen, flieht. Stampfende Musik mischt sich ins friedliche Rauschen. Wie unter Strom stehend, bewegen sich die acht jungen Tänzer. Kleine elektronische Spielzeuge, aufgezogen oder programmiert, die Gesichter ausdruckslos. Sie verwandeln sich in Menschen, die ein Gegen über suchen, sich annähern, sich wieder entziehen. Ein verzweifeltes Anspringen, die Mädchen werden immer wieder abgeschüttelt, weggeschleudert von den grinsenden Männern. Frauen, die sich selbst entdecken, wegstreben. Aber festgehalten, eingezwängt von den Männern, die am Boden liegen, sie nicht loslassen. Die Paare finden sich, tanzen versöhnt. Nur Kim Itoh bleibt zurück, bewegt sich langsam im Kreis. Das Wasser verstummt.
Erschienen in Ossietzky 24/2002 |
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