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Deutsche Kabarettbesucher sind der Ausdruck dieser Sozialisation: Jeans schlabbern nicht mehr, sondern sitzen feste. Bärte schimmern in ihrer Wildheit silbern, und die Freiheit des Bauches zeigt sich eingezwängt. Dies und noch mehr war im 1. Chemnitzer Kabarett vier Tage lang zu erleben. Der unter der Markthalle agierenden Truppe, die vor dreißig Jahren als Studentenkabarett begann, genügt es offensichtlich nicht, daß die Chemnitzer sie lieben und auch heftig heimsuchen, also nicht verhungern lassen - und so organisierte sie ein erstes Festival für kabarettistischen Nachwuchs. Zehn Truppen und Einzelpersonen durchaus jugendlichen Durchschnittsalters (ich schätzte es auf 37,9 Jahre), zwischen Amateur- und Profistatus (noch) wechselnd, traten an. Sie kamen aus der weiteren Umgebung, also Bremen, Düsseldorf, Ruhrgebiet, Würzburg, auch aus einem Ort namens Heuchelheim - unweit von Oggersheim gelegen - und sogar je 1 aus Leipzig und Dresden. Diese Orte, das sollte man für den gesamtbundesdeutschen Leser anmerken, liegen ebenso wie Chemnitz im deutschen Osten, genauer in Sachsen (i.e. Landstrich zwischen Deutschland und Polen), woraus der Informierte ersieht: Chemnitz ist nicht Cottbus. Lediglich 500 000 wohnten dort einst im vorerzgebirgischen Hügelland - jetzt nähert man sich bereits der Viertelmillionengrenze. Sie merken, wie man auch mit Zahlen positiv arbeiten kann? Kleiner Tip für unseren Leser Hans Eichel. Nun gilt heute für ein "Satirefestival", gerade im "Nachwuchsbereich", nicht unbedingt, daß es sich um politisch-satirisches Kabarett handeln muß. Oft präsentieren sich da Bürger mit gut gelerntem Text, die sich "Komiedijens" nennen, was man als Possenreißer verdeutschen könnte. Da geht es um die großen Probleme wie Zahnbelag, Orgasmusschwierigkeiten und den schmatzenden Tischnachbarn; manchmal aber werden auch Kleinigkeiten wie deutsche Kriegsheldentaten, besinnungslose Solidarität und FDP-Müllemänner angesprochen. Die zehn nach Chemnitz Eingeladenen zeigten die ganze Breite, was man heute unter Satire abrechnen kann. Da kam zum Beispiel Lothar Lempp als Wurm oder Säuberungsgerät verkleidet auf die Bühne - der Schweizer "Mummenschanz" ließ grüßen -, verkroch sich dann in eine Kiste auf der Bühne, um von dort quasi ein Hörspiel vorzuführen. Er kämpfte gegen die unaufgeräumte Welt und für das freundliche Chaos. Das war so sympathisch und unfertig, wie vor 97 Jahren ein Karl Valentin gespielt haben könnte. Die "Duale Satire Deutschland" aus Dresden spielten ein drei Jahre lang gelagertes aktuell-politisches Programm. Vielleicht waren die Lagerbedingungen ungünstig. Auch gab es Bands, die, weil im Schlager- und Rockbereich die Trauben hoch zu hängen scheinen, sich mit Blödelansagen in ein anderes Genre spielen möchten. Das gelang, zumindest in Chemnitz, nicht. Die drei Preisträger nämlich spielten, was deutscher Zeitgeist hergab. "Doppelpaß", Gewinner des "Fetten Engels", der titelgebenden Keramikfigur von göttlicher Beleibtheit, hatten sich die kommende Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland als Spielanlaß ausgesucht - und machten mit ihrem "Fan-Projekt" nicht sich, aber eine fußballstolze Nation zum Affen. Regierungstätigkeit als Fußballspiel, Fußballmillionäre und die nationale Reinheit wurden durch den Kakao gezogen, daß sich die Kabarettbesucher freuen konnten - unter denen vermutlich keine Fans des FC Bayern München waren. Martina Ottmann, eine Zweit-Gewinnerin, kam just aus diesem Ort großer deutscher Geschichte und zeigte, daß Bayern noch immer wohl auch das Mutterland deutschen Kabaretts ist: Die Frau, nicht als Lust-Objekt, aber als eines, über das man sich - wenn man Frau ist - herzlich lustig machen kann. Mit der Frau in der Bundeswehr ließ sie gruseln - und begeisterte. Auch die Gebrüder Podewitz, ebenfalls zweitplaziert, schafften mit Drill- und Kadavergehorsamsnummern viele Lacher. Wenn das Publikum nicht spurte, gab es "Strafgedichte", und ihre Nummer über die Reparatur eines Textes balancierte genau auf jenem Grat zwischen Nonsens und haarsträubender Wirklichkeit, der Kabarettliebhabern Kabarett lieb macht. Ich zähle mich dazu - und mein Wehklagen, das ich immer gern und berechtigt über den Zustand deutschen Nachwuchskabaretts anstimme, muß ich jetzt ein Weilchen aussetzen. Zumal - gewiß durch die freundliche Betreuung des Gastgeber-Kabaretts aus alter DDR-Festival-Schule - sich sowas wie ein kollektives Gefühl unter den Auftretenden einstellte. Natürlich empfinden wir Demokraten, denen das Individuum alles ist, "Kollektiv" als bedrohlich - aber in einer Stadt, die mal nach Karl Marx hieß, nehmen wir's, pointenzerknirscht, hin. Zumindest solange Karl Marx den fetten Engel an seiner Seite hat.
Erschienen in Ossietzky 24/2002 |
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