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Alle drei sind unbedingter Wahrhaftigkeit verpflichtet; sie schreiben aus persönlichem Erleben. Die bisherige DDR-Geschichtsschreibung als Diktaturbetrachtung von außen gehorcht dagegen selbst dem diktatorischen Reflex ungebremster Rechthaberei, die den dreien fremd ist; so bleibt sie auch ihren Lesern erspart. Zunehmend bezweifelt die Öffentlichkeit, daß da nur Statisten in einem statistisch korrekt erfaßten System agierten; das wirkt so langweilig wie unwahrscheinlich. Darum fielen Englers Thesen von einer "arbeiterlichen" Gesellschaft sofort auf - zumal sie brillant vorgetragen wurden. Aber manche Leser im Westen reagierten verblüfft. Individuelle Spielräume? Schöpferische Anwandlungen? Unglaublich. Rezensenten zeigten sich aufgestört von Englers Erklärung, weshalb DDR-Milieu so paradox sein konnte: Gerade weil so viel reglementiert wurde, erlistete der Bürger kulturell, sexuell, professionell, eben partiell Freiräume. Was nicht im Parteisystem vorgesehen, war Realität? Unfaßbar. Schon um den rezensierenden Beargwöhnern seiner gewagten Denkvorschläge einige fällige Antworten zu bieten, mußte Engler in einem zweiten Buch nachlegen. Als lernfähiger Ex-DDR-Bürger weiß er: Ohne ein Minimum an Provokation läuft hier nichts. So eiferte er Werner Mittenzwei nach, der sein nicht minder originelles Traktat über Literatur und Politik im ostdeutschen Staatswesen "Die Intellektuellen" nannte. "Die Ostdeutschen als Avantgarde" ist Englers neuer Titel. Starker Tobak; zumal Ironie dieses Autors Sache kaum ist. Intellektuelle dort, Avantgarde hier - das ist ernstgemeint. Warum soll der vom Militärischen zum Gesellschaftlichen gewandelte Begriff "Vorhut" nicht noch im Soziologischen heimisch werden - zumal er französisch so elegant klingt. Engler schloß sein voriges Buch mit dem Widerspruch innerhalb der DDR-Opposition: "Die Reformer konnten die Außensicht der Aussteiger, die Aussteiger die Innensicht der Reformer nicht in ihr eigenes Weltbild integrieren." Und er beginnt sein neues, zeitlich anschließendes Opus mit einem Bekenntnis: Die Zunge der Wirklichkeit zu lösen, indem er auf "die leibhaftige Rede der Akteure" höre, ist sein Programm für die Darstellung der Nachwendezeit. Der akademische Diskurs pur ist ihm suspekt. Außer dem gesprochenen Wort bürgen ihm "ihre Körper und Körperhaltungen, ihre Blicke und ihr Mienenspiel", und die entnimmt er ausgesuchten Dokumentarfilmen. Er spürt das Mentale im sozialen Gestus. Für das "ostdeutsche Idiom" hat er Ohr und Auge. In seiner präzisen Wahrnehmung lebt ein starkes Mitgefühl - mit zuerst gewollten, dann erzwungenen Wandlungen von Menschen, die oft gar nicht oder falsch beraten wurden. Bedenkenswert ist seine Feststellung, daß Ostdeutsche ungehemmt Seelenlagen preisgeben, die Westdeutsche festverklemmt in sich verschließen. Als Mann fürs Paradoxe erweist sich Engler, wenn er Sätze mit "Gerade weil..." beginnen läßt: Der einst Gezwungene war der Unbezwungene geblieben; weil er sein Selbst kultivierte, schätzte er die endliche Freisetzung zu hoch... - Gerade weil ihr eine Illusion nach der anderen zerbrach, ist die Frau jetzt so stark... - Gerade weil ein Arbeitsverhältnis nach dem anderen scheiterte, verweigern sie die Anbetung der alleinseligmachenden Arbeitsgesellschaft als Geldverdienverein. Das Infragestellen von Gegebenem haben sie längst geübt. Und richtig beobachtet Engler das Überspringen des Bazillus auf die ach so gesunde Altbundesrepublik. Scheitern will gelernt sein. "Der innovative Rückstau, der auch die herkömmlichen Professionen" in den herkömmlich prosperierenden Regionen erfaßt, breitet sich wie ein Flächenbrand aus. An dieser Stelle hat Engler in seiner programmierten Zurückhaltung die Chance verpaßt, über die Teilanalyse hinaus ein großes Szenario der gesamtdeutschen Misere zu entwerfen. Wer im Abbau und im Abriß von Bewährtem am Ende so geübt ist wie die hauptamtlichen Evaluierer, kann seine destruktive Energie nie wieder etwas Konstruktivem zuführen. Ich war überrascht, daß Engler vor diesem Gedankengang haltmacht. Eine Tragödie seltenen Ausmaßes benennt er denkbar knapp, wo er schildert, wie die Mittdreißiger der Nachwendezeit Schlüsselpositionen des Ostens verspielten: "Von der Subalternität in die Bedeutungslosigkeit." Hart, aber gerecht. Und über Stefan Moses' Porträtfotos 89 und dann wieder 93 schreibt er: "Ein Flickenteppich sozialer Lagen und persönlicher Stimmungen, voller äußerer und innerer Risse und aus Löchern gewebt, durch die man ins Nichts blickt..." An anderer Stelle heißt es dazu: Probeweise Avantgarde der Zukunftsgesellschaft". Am tiefsten jedoch berührt Engler, der im ersten Band Schüleraufsätze aus dem Jahr 45 zitiert hatte, wiederum mit solchen Texten von Halbwüchsigen. Diesmal geschrieben 91 von Schülern einerseits aus Thüringen, andererseits aus Rheinland-Pfalz. Engler hört ein "Gespräch der Generationen" heraus: Hinter den Kindern und durch die Kinder sprechen die Eltern. Eine Bilanz vermeintlicher und tatsächlicher Gewinne und Verluste. Weniger überzeugen seine Ausflüge ins Ökonomische - in vorfordistische und andere Produktionsweisen. Seine Ehrenrettung von Qualifikation und Arbeitsmoral ostdeutscher Arbeitskräfte aber leuchtet ein. Und wie er Zivildienstleistende zu Wehrpflichtigen analog Arbeitslosen zu Arbeitenden in Beziehung setzt - das ist ein Juwel der Argumentation. Das muß man gelesen haben. Wie eigentlich überhaupt das ganze Buch. Wolfgang Engler: "Die Ostdeutschen als Avantgarde", Aufbau-Verlag Berlin, 208 Seiten, 16.50 Euro
Erschienen in Ossietzky 24/2002 |
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