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Gut gebrüllt, Löwenbaby, das ein paar Seiten weiter die titanic lobt, als wär das Blatt nicht inzwischen zum Durchlauferhitzer der Deutschblödelei verkommen. Ich hatte Jörg Schröder dem PEN zur Aufnahme vorgeschlagen. Im Vorjahr klappte es nicht. Also fuhr ich am 26. April 02 zur Jahrestagung nach Darmstadt. Für 15 Uhr standen Neuaufnahmen im Programm. Wie oft in den letzten 35 Jahren haben wir in Darmstadt getagt? Die Kriege der Vergangenheit (manchmal auch kleine Siege). Welche Konflikte heute. Ich, ein Übriggebliebener, falle aus allen Wolken. Die Neuaufnahmen sind in den nächsten Vormittag verschoben. Stattdessen soll Erich Köhler geschaßt werden. Eine "Ehrenkommission" berichtet von Stasi-Zuträgereien. Ein Mulm von Verdächtigungen, Vorwürfen, Anklagen. Der alte Graukopf Köhler versucht dagegen anzureden. Verteidigt sich bewußt ungeschickt oder aus Schwäche falsch. Will nicht Buße tun. Soweit es verstehbar wird, hat er als Schriftsteller nur "sein Land verteidigt", eine Art Wort-Soldat also. Vor 1989 wäre ich ihm als Feind begegnet. Jetzt könnte er mir wie ich ihm Gegner sein, ist aber auch Kollege, dazu alt, leidend, schwach, offensichtlich sozial auf Null. Die versammelte Masse scheint absolut kontra zu stehen. Die schmierigsten Opportunisten geiern am heftigsten auf ihn ein. Das Establishment hat längst die Weichen auf Ausschluß gestellt. Ich bin sauer. Alle gegen einen - das ist mies, würde Mama sagen. Da wollte ich bloß etwas über Aufnahmen wissen und sitze unversehens in einer Auschluß-Spruchkammer, die auch noch satzungsgemäß geheim tagt. Selbst die Kaffeeversorgerin ist des Saales verwiesen. PEN-Mitglieder, die journalistisch arbeiten, werden extra zum Stillschweigen verpflichtet. Muß ich jetzt mit 77 Jahren gehorsam die Klappe halten? Werde ich ausgeschlossen, wenn nicht? Zweimal verteidige ich den maladen Bürgerschreck, dessen IM-Tätigkeit ich nicht akzeptieren kann, aber verstehe, auch wenn ich sie ablehne. Was mir nicht gefällt, ist das Gesetz: Recht hat immer nur der Sieger. Die Diskussion zieht sich hin. Einer nennt den Delinquenten krank, ein anderer erinnert an den Ost-PEN, der kein einziges Mitglied jemals ausschloß, auch Wolf Biermann nicht. Ein dritter verweist auf Friedrich Torberg, der seine Geheimdienstlichkeit nicht leugnete. Mir fallen die Namen vieler PEN-Kollegen ein, die für diverse Dienste arbeiteten. Die kleine Masse aber will in Darmstadt ihr spätes Mütchen kühlen. Zum Ausschluß braucht es Zweidrittelmehrheit. Es werden fünf Stimmen mehr. Der Ex-Kollege hat bereits den Raum verlassen, sucht wohl als mittelloser Anhalter von Darmstadt wegzukommen gen Osten ins westbesetzte heimatliche Revier, das er dereinst hatte verteidigen wollen. Warum trete ich, die Szene nutzend, nicht aus? Habe mich im Club seit den Vereinigungsquerelen seitab gehalten. Bin hier aus Versehen in die Farce geraten. Bleibe im PEN wegen seiner effektiven Solidaritätsarbeit für verfolgte Au toren aus aller Welt. Diese Aufgabe aber könnte auch eine Sparte bei amnesty international übernehmen. In allen übrigen Bereichen ist der PEN zur bloßen Hülle geschrumpft. Ich bin jetzt seit 36 Jahren dabei und weiß, daß es früher anders war. Auf der Rückfahrt, die Autobahn in Nebel und Regen, ein Stau in Fortsetzungen, denke ich an eine Szene vor einem kleinen halben Jahrhundert, als es am Leipziger Philosophischen Institut gegen den Oberassistenten Manfred Buhr ging. Wollte ihn verteidigen, geriet selbst in die Bredouille, stimmte in die Meute ein. Buhr stolperte, fiel nach unten, bereute heftig, stieg die Karriereleiter dann bis zur Spitze hinauf. Wie viele DDR-Intellektuelle hörte ich inzwischen auf Buhr schimpfen. Der hatte die Konsequenzen aus seinem Absturz gezogen. Meine unterlassene Solidarität ist mir heute noch peinlich. Köhler wird nicht wie Buhr aufsteigen. Ich kenne Texte von ihm. Verrückte Phantasien mit scharfen Logismen. Gerne gelesen, weil total abseits. Und seine Geheimdienstlerei? Die alte Soldatenweisheit "Der gefangene Feind ist kein Feind mehr" ist vergessen gemacht worden. Heute werden Gefangene gefesselt, gefoltert, getötet. Das walte die Zivilgesellschaft. Wenn einer dann "Kultur" einfordert, entsichern sie den Revolver. Ich ziehe am Schrank die eingesargten Akten. Wie verhielt ich mich damals als Angeschissener? Ich lese, Datum 15.5. 1957, 16 - 19.30 Uhr: Wagner: Gehen wir davon aus, daß du mit deinem Argument, daß notwendige Veränderungen vorgenommen werden müssen, Recht hast. Es gibt Konterrevolutionäre, die sich treffen, wo es sich ergibt. Es gibt einige ideologische Zentren. Interessant im ›Leipziger Allerlei‹ ist, daß man etwas verändern muß, kein Wort wird aber von Partei, Nationaler Front usw. gesagt. Ein Trupp junger Unruheleute will in Leipzig ändern. Wer will ändern? Zwerenz: Die Partei wird ändern. Es hätte noch vieles in den Artikel gehört. Naumann: Du hast die Messe betrachtet, siehst den großen Erfolg, aber du schreibst wie ein Feind, schreibst von leichten Mädchen. Zwerenz: Das stimmt doch auch. Naumann: Du bist korrumpiert. Zwerenz: Schmeißt mich doch raus, aber sagt das nicht. Naumann: Du nimmst dir heraus, das Richtige zu tun. Zwerenz: Macht sonst was, aber wenn jemand sagt, daß ich korrumpiert bin, so spucke ich darauf." Das war die Partei. Genauer die Parteikontrollkommission. Also das Rausschmeißergremium. Hat ja auch funktioniert. Der deutsche PEN ist keine Partei. Ein Rausschmiß aus ihm nicht vergleichbar. Damals hatte ich in Wieland Herzfelde einen Verteidiger gefunden. Der dann, als er selbst bedroht wurde, erschreckt zurückzuckte. Egal wer wann wo ausgeschlossen wurde oder wird, beschämend ist stets die Mentalität der Rausschmeißer. Der PEN vermeint, mit Erich Köhlers Abgang die Vereinigungskonflikte beendet zu haben, und dokumentiert doch nur seine Unfähigkeit im Umgang mit essentiellen Differenzen. Der vom Generalsekretär zum Präsidenten aufgestiegene Johano Strasser wie der von ihm protegierte Nachfolger Wilfried F. Schoel ler bezeugen den Zustand. Die Konservativen schweigen, die Linken spotten, die brave Mitte herrscht. Johano Strasser, einst Mitautor des SPD-SED-Papiers, woran Irmtraud Gutschke im Neuen Deutschland erinnert, ist "gewiß von Erfahrungen im Politik-Alltag" geprüft. Na schön. Ich äußerte mich damals entschieden gegen die sich abzeichnende Melange von SPD- und SED-Genossen, zusammengerührt ohne uns Ex-Kommunisten, Trotzkisten, Außenseiter, Exilanten und Kritiker. Als die Vereinigung kam, sahen sich die SED-Ideologen getäuscht, und die SPD-Ideologen vergaßen ihr prächtiges Papier der Annäherung. Im PEN von 2002 ist nicht mal mehr ein Schatten vergangener Kämpfe und Erkenntnisse wahrzunehmen. Ein alter Dichter wird per Ausschluß an den Pranger gestellt. Den westlichen Mitgliedern war's leicht peinlich, den östlichen Herzensangelegenheit. In Darmstadt hörte ich zwei Kollegen diesen Köhler so heftig beschimpfen, wie ich sie vor 1989 Moskau und Ostberlin belobigen hörte. Per Finger auf den anderen weisend spielen sie Versteck mit dem eigenen Gewissen. In einer PEN-Rede vor einem Jahrzehnt schlug ich "neue Friedensgespräche vor, ohne alle Tabus, Lügen, ideologische Zwangsmaßnahmen. Das Publikum sollte freien Zugang haben, jeder Schriftsteller aus Ost und West sollte daran teilnehmen ..." Was ist anderes daraus geworden als ein ewiges Spruchkammerverfahren? Für mich ist es spätes Detail eines fünfzigjährigen Schriftstellerlebens mit so vielen Querelen, daß ich aus bitterer Erfahrung mit jedem sympathisiere, gegen den die mittige Mehrheit anbellt, die in den werbegesponserten, parteienbraven Medien sowieso den üblichen Schaum schlägt. Dem vereinsamten Köhler wurde vorgeworfen, er habe das Wort unterdrückt. Niemand wagte zu lachen. Übrigens hatte der im Mai 2001 verstorbene noble Klaus Schlesinger dem ihn einst bespitzelnden Köhler vergeben. Mußte Köhler jetzt weg, weil ausgetretene Jungfrauen zurückgeholt werden sollen? Und wie steht es mit unseren westlichen Spionagefreunden? Der PEN versäumte die Chance, das Paket "Schriftsteller und geheime Dienste" aufzuschnüren. Argumentiert wird, der Casus Köhler sei nicht vergleichbar mit den Fällen Hermlin, Wolf, Fries. Mag sein. Fries schrieb nun das höhnende Bekenntnisbuch "Diogenes auf der Parkbank", Frau Wolf reagierte mit episierten Krankheitsbulletins, Hermlin hatte literarisch-germanistische Bodyguards, deren hochgestochene Beweisführung ich in meinen Stasi-Akten vorfinde. In Köhlers "Credo" lese ich den Satz: "In meinem Schaffen hatte ich es bei jedem Titel mit mindestens drei akademisch gebildeten Gutachtern zu tun, mit dem Ergebnis, daß mehrere Titel erst nach zehn Jahren erscheinen durften." Die Köhler angelastete Unterdrückung des freien Wortes besitzt offenbar Dimensionen, von denen unsere PEN-Weisheit nicht zu träumen wagt. Und ich Idiot hatte in Darmstadt doch nur ganz harmlos an Zuwahlen teilnehmen wollen.
Erschienen in Ossietzky 24/2002 |
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