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Aber wann werden sie Recht bekommen - fünf, sechs, sieben, acht Jahre nachdem die Polizei sie durch Massenfestnahmen am Demonstrieren gehindert hat? Atomkraftgegner haben bei Demonstrationen gegen "Castor"-Transporte nach Gorleben schon reichlich Erfahrung mit Freiheitsentziehungen gemacht. Erwähnt sei der Karwitzer Kessel 1996. Rund 180 Menschen wurden damals festgenommen. Als Rechtsgrundlage wurde ihnen das Bundesgrenzschutzgesetz genannt - fälschlich, wie sich später herausstellte; die Polizei zog dann das Niedersächsische Gefahrenabwehrgesetz heran. Bei der Einkesselung mißachteten die Beamten den Richtervorbehalt. Laut eindeutiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Freiheitsentziehung ohne richterliche Entscheidung unrechtmäßig. Falls die richterliche Entscheidung nicht vorher ergangen ist, muß sie unverzüglich nachgeholt werden. Die Polizei muß sich alle erdenkliche Mühe geben, den Richter herbeizuholen (auch außerhalb der Dienstzeiten). In dem erwähnten Fall kam der Richter erst nach Stunden; Anwälte hatten ihn gerufen. Er ließ sich weitere Stunden von der Polizei bearbeiten und traf dann in der Nacht keinerlei individuelle Entscheidungen, sondern verfügte nach rund zehnstündiger Freiheitsentziehung die Freilassung aller Festgenommenen. Gerichtliche Anfechtungen hatten unterschiedliche Ergebnisse. Anfangs hatten einige Kläger Erfolg; doch Entscheidungen des Amtsgerichts Dannenberg wurden vom Landgericht Lüneburg aufgehoben und an das Amtsgericht zurückverwiesen, das nun die Freiheitsentziehungen im nachhinein nicht mehr nach dem Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz, sondern nach der Strafprozeßordnung beurteilte und sie für rechtmäßig erklärte. Klagen vor dem Verwaltungsgericht wurden wegen inzwischen vorgenommener Änderungen am Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz ebenfalls dem Amtsgericht zugewiesen, wo die Sache seit Jahren ohne Entscheidung hängt. 1997 wurden bei Quickborn 596 Demonstranten mehrere hundert Meter abseits einer Straße eingekesselt, angeblich wegen eines Steinwurfs an der Straße. 150 von ihnen wurden in die Kaserne Neu Tramm transportiert und dort 14 Stunden festgehalten. Wieder wurde die Richterentscheidung verzögert, wieder traf der Richter keine individuellen Entscheidungen. Ein Antrag auf Überprüfung der Zulässigkeit der Freiheitsentziehung ging "verloren". Ein Widerspruch der Betroffenen liegt bis heute unbearbeitet in den Akten. Wiederum wurden die Freiheitsentziehungen - anders als von der Polizei selbst - gerichtlich nach der Strafprozeßordnung gerechtfertigt. Diese Sache ist jetzt Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde. Etwa 420 Demonstranten wurden ohne jegliche Richterbeteiligung sechs Stunden im Quickborner Kessel festgehalten. Ihre Personalien wurden festgestellt, und sie wurden erkennungsdienstlich behandelt (per Video). Das Amtsgericht rechtfertigte die polizeilichen Maßnahmen ohne Anhörung der Betroffenen. Auch in dieser Sache ist jetzt eine Verfassungsbeschwerde anhängig. Im März 2001 nahm die Polizei rund 1400 Demonstranten in Gewahrsam, zumeist ohne Richterbeteiligung. Im November 2001 traf es 780 Demonstranten; nur in etwa 100 Fällen waren Richter beteiligt; die Polizei verschwieg ihnen zahlreiche Gefangene. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über den Richtervorbehalt, die gerade in den letzten zwei Jahren in verschiedenen Verfahren bestätigt wurde, waren die Freiheitsentziehungen bei Demonstrationen gegen "Castor"-Transporte rechts- und verfassungswidrig. Die Betroffenen hatten keinen wirksamen Rechtsschutz. Rechtsgrundlagen wurden ausgewechselt, so daß Rechtsmittelbelehrungen nicht stimmten. Unklar blieb, welche Rechtsbehelfe zu Gebote stehen und welche Verfahrensordnungen gelten. Zwingend vorgeschrieben ist die Anhörung der Betroffenen. Bei den Demonstrationen im Wendland hat sie nur in Einzelfällen während des Gewahrsams stattgefunden, nachher vor den Gerichten in keinem Fall. Vorgeschrieben ist auch, daß der Richter den Sachverhalt vollständig aufklären muß. Nach den Erfahrungen im Wendland übernehmen die Richter statt dessen ungeprüft die Darstellungen der Polizei. Daß ein Gericht Polizeiakten, Funkprotokolle und anderes Beweismaterial beizieht, habe ich nur ein einziges Mal erlebt - nach langen Auseinandersetzungen und Strafverfahren wegen Freiheitsberaubung im Karwitzer Kessel. Die Richter vor Ort begnügen sich in aller Regel damit, über die Fortdauer des Gewahrsams zu entscheiden. Ob die Freiheitsentziehung bis zu diesem Zeitpunkt zulässig war, wird häufig als nicht justiziabel angesehen; die Frage wird zwischen den Gerichten hin und hergeschoben. Außerdem ignorieren die Gerichte Fälle, in denen die Polizei festgenommene Demonstranten noch nach richterlicher Freilassungsentscheidung festgehalten haben. Unser Staat ist ein Rechtsstaat. Wenn er sich doch endlich auch den Atomkraftgegnern im Wendland zu erkennen gäbe! Rechtsanwältin Ulrike Donat und ihr Kollege Dieter Magsam als engagierte Verteidiger der Bürgerrechte von Atomkraftgegnern im Wendland werden am 16. Januar 2003 mit dem Werner-Holtfort-Preis geehrt.
Erschienen in Ossietzky 24/2002 |
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