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So steht es wie eine Heilsbotschaft an historischer Wende im ersten Artikel des Grundgesetzes von 1949, mit gläubigem Pathos formuliert, als man noch die Hoffnung verbreiten zu können glaubte, es werde in Deutschland und in der Welt nie wieder das Recht des Stärkeren zum obersten Prinzip staatlichen Handelns werden. Ulrike Meinhof, einst - bevor sie ihren Ruf durch Propagierung und Praktizierung des individuellen Terrors verspielte - die charismatische Sprecherin der außerparlamentarischen Opposition, hat frühzeitig widersprochen: "Die Würde des Menschen ist antastbar." Die Wahrheit dieses Satzes haben die Gehilfen der Staatsgewalt an der lebenden und der toten Ulrike Meinhof hinreichend bewiesen. Wie Ulrike Meinhof als Gefangene der Polizei und der Justiz behandelt und wie ihr der Prozeß gemacht worden ist, habe ich an anderer Stelle dargestellt ("Die Republik vor Gericht 1954 - 1974", S. 368 ff.). Jetzt kommt heraus, daß man der Toten das Gehirn entnommen und es bis heute aufbewahrt hat. Und nach 26 Jahren werden Untersuchungsergebnisse veröffentlicht, nach denen bezweifelt werden müsse, ob sie seinerzeit zurechnungsfähig gewesen sei. Dem Bundesanwalt Zeis, von Peter Henkel als "der aggressivste Ankläger im Stammheimer Gerichtssaal" zutreffend charakterisiert, soll dazu gesagt haben, das wäre doch "sehr peinlich, wenn sich herausstellte, daß alle diese Leute einer Verrückten nachgelaufen sind" (Frankfurter Rundschau 13.11.2002). Einem Rechtskundigen hätte, wenn die Unterstellung zuträfe, eher einfallen sollen, daß es peinlich wäre, eine "Verrückte" anzuklagen und über deren Schuldfähigkeit erst nach ihrem Tode Untersuchungen anzustellen. Tatsächlich hat es, auch von Seiten ihrer Verteidiger, nie einen Zweifel gegeben, daß Ulrike Meinhof in voller Verantwortlichkeit gehandelt hat. Sie selbst hat die schon damals aufgeworfene Frage, ob der operative Eingriff von 1962 zu einer sachverständigen Prüfung ihrer Schuldfähigkeit nötige, immer als eine ungeheuerliche Verdächtigung ihrer politischen Motivation zurückgewiesen und ist darin von ihren Verteidigern unterstützt worden. Daß Ulrike Meinhof in der Untersuchungshaft, die fast elf Monate lang als Isolationshaft im Toten Trakt der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf an ihr verübt wurde, physisch und psychisch kaputt gemacht worden ist, so daß sie sich im Stammheimer Prozeß als verhandlungsunfähig erklären mußte, steht auf einem anderen Blatt. Da wäre einiges in Erinnerung zu bringen, von der rücksichtslosen Fortsetzung der Hauptverhandlung gegen eine verhandlungsunfähige Angeklagte bis zu ihrem gewaltsamen Tod. Kein Ruhmesblatt für die Justiz eines Staates, der als Rechtsstaat gelten möchte. Nicht genug, daß man die Menschenwürde der lebenden Ulrike Meinhof mißachtet hat, auch die Tote ist zum Objekt staatlichen Handelns gemacht worden. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat sicher nicht an Frau Meinhofs Gehirn gedacht, als sie unter der Überschrift "Medizin im Zwielicht" ein Gutachten von Prof. Dr. Jochen Tauplitz (Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim) im Internet veröffentlichte, in dem man nachlesen kann: "Durch die Entnahme und Aufbewahrung von Organen eines Verstorbenen wird in dessen Persönlichkeitsrecht eingegriffen." Tauplitz geht davon aus, daß die physische Integrität der Leiche durch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht erfaßt wird, das aus Art.1 und 2 GG abgeleitet wird. Dieses Recht wirkt über den Tod der Person hinaus ("postmortales Persönlichkeitsrecht"). Das Bundesverfassungsgericht hat, abweichend von der von Tauplitz und anderen Autoren vertretenen Auffassung, eine Ableitung des Grundrechtsschutzes von Verstorbenen aus Art.2 Abs.1 GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht) verneint, Träger dieses Grundrechts sei nur die lebende Person. Aber auch das Bundesverfassungsgericht anerkennt, daß die mit Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, nicht mit dem Tod endet (Entscheidung vom 25.8.2000; 1 BVR 2707/95). Es leitet das in der Literatur als postmortales Persönlichkeitsrecht bezeichnete Rechtsgut unmittelbar aus Art.1 Abs.1 GG her. Deshalb ist zum Beispiel auch die in Patientenverfügungen übliche Bestimmung, die eine Obduktion zur Feststellung der Todesursache verbietet, gültig und von jedermann zu respektieren. Sie stellt nur die ausdrückliche Fixierung einer Selbstverständlichkeit dar, die sich aus der im Grundgesetz kodifizierten Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde ergibt. Auch Ulrike Meinhof hatte Anspruch darauf, daß eine postmortale Entnahme und Untersuchung ihres Gehirns unterblieb. Es sei denn, daß geklärt werden sollte, ob sie ermordet worden ist; darauf komme ich noch. Nun erfuhr man aus Pressemeldungen vom 18.11., daß auch die Gehirne von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe jahrelang in der Universitätsklinik Tübingen aufbewahrt wurden und mittlerweile spurlos verschwunden sind. Die Spur dieser Gehirne habe sich 1988 verloren, als der Chef der Neuropathologie des Tübinger Uni-Klinikums, Jürgen Pfeiffer, in Ruhestand gegangen sei. Pfeiffer sei von der Staatsanwaltschaft Stuttgart elf Jahre zuvor mit der Untersuchung der Gehirne beauftragt worden. Sein Nachfolger Richard Meyermann vermute, daß sie möglicherweise beim Aufräumen aussortiert und verbrannt worden seien. Dies sei das übliche Vorgehen, um in dem Hirnarchiv Platz zu schaffen. Einen schriftlichen Vermerk oder Anordnungen der Staatsanwaltschaft dazu gebe es nicht. (FR 18.11.2002). Mir fiel bei diesem Bericht ein, daß im Stuttgart-Stammheimer Boock-Prozeß ein Sachverständiger auftreten konnte, der sich in der Nazi-Zeit mit der Sezierung von Gehirnen befaßt hatte, die im Auftrag seines Universitätsinstituts ermordeten geisteskranken Kindern entnommen worden waren. Ich dachte bisher, dass es eine Spezialität faschistischer Ideologie gewesen sei, verstorbenen oder getöteten Menschen die Gehirne zu entnehmen, um nach Besonderheiten in den Gehirnen geistig defizitärer Menschen zu suchen und hierüber sogenannte wissenschaftliche Arbeiten zu veröffentlichen. War das wirklich nur in einer Zeit möglich, in der die Achtung vor der Menschenwürde nicht einmal als Lippenbekenntnis existierte? Oder müssen wir auch heute mit Staatsanwälten und sogenannten Forschern rechnen, die sich für berechtigt halten, über die Gehirne von Menschen zu vorgeblich wissenschaftlichen Zwecken nach Belieben zu verfügen? Nein, ich will es nicht glauben, daß es so gewesen ist. Dann ergibt sich aber die Frage, wie es zur Entnahme der Gehirne und deren jahrelanger Aufbewahrung und Untersuchung kommen konnte. Wenn es wirklich einen Auftrag der Staatsanwaltschaft - vermutlich der damals in Stuttgart agierenden Bundesanwaltschaft - gegeben haben sollte, könnte er auf § 87 der Strafprozeßordnung gestützt worden sein, wonach eine Leichenöffnung zulässig ist, wenn dies zu Feststellungen über die Todesursache nötig ist. Dies ist der Fall, wenn eine Straftat als Todesursache nicht ausgeschlossen werden kann. Der Auftrag würde also dafür sprechen, daß sogar die Staatsanwaltschaft die Selbstmordthese bezweifelt haben muß. Und wenn es so ist, dann ergibt sich die weitere Frage, warum zwar das Gehirn von Ulrike Meinhof noch vorhanden und jetzt den Angehörigen zur Bestattung übergeben werden konnte, die Gehirne von Baader, Ensslin und Raspe aber klammheimlich verschwunden sind, ohne daß sich die Auftraggeber für die Untersuchungsergebnisse interessierten. Gab es etwas zu verbergen?
Erschienen in Ossietzky 24/2002 |
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