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Und das geht so: Der Berliner Senat hat nämlich hohe Personalkosten beziehungsweise, wie man einem privaten Arbeitgeber beim einschlägigen Festakt bewundernd bescheinigen würde, er hat in der Region viele Arbeitsplätze geschaffen. Nun ist jedoch längst allgemein bekannt, daß der zu Recht als vorrangig bezeichnete Kampf gegen die Arbeitslosigkeit darin besteht, möglichst viele Stellen abzubauen oder wenigstens Löhne zu kürzen. Und hier verhindern die betonköpfigen Gewerkschafter laut Kontraste mal wieder die Gesundung unseres Gemeinwesens! In unverantwortlicher Weise weigern sich diese Klassenkampf-Dogmatiker doch, bereitwillig aufs Weihnachtsgeld zu verzichten, weitergehende Lohnsenkungen freudig zu akzeptieren und ihre Entlassung klaglos hinzunehmen. Wissen sie nicht, wie süß und ehrenvoll es ist, sich selbst aufopfernd zum Sozialfall zu machen? Aus purem Egoismus schaden diese Arbeitsplatzschmarotzer dem Gemeinwesen. Um den Ernst der Lage zu belegen, zeigte die mutige öffentlichrechte Sendung auch gleich eindrucksvoll eine erbarmungswürdig heruntergekommene Schule, wo es durch das Dach regnete, Fenster zersplittert waren und die Lehrerinnen wegen fehlender Staatsgelder Buntstifte für die Kinder vom eigenen Lohn einkaufen mußten. Zu beheben wäre diese Misere, daran ließ der Kommentar keinen Zweifel, einzig durch Stellenabbau und Lohnkürzungen bei den Senatsangestellten. Eine Sanierung aus anderen Quellen scheidet wegen wichtigerer Aufgaben des Staates offensichtlich aus. Man bedenke: Wollten wir auch nur fünfhundert solcher (zweifellos vorhandenen) verrotteten Schulen aus Steuermitteln instandsetzen lassen, müßte unsere uneingeschränkte Solidargemeinschaft wahrscheinlich doch auf den Kauf fast einer ganzen Fregatte verzichten. Aus wäre es dann mit der stolzen Flotte, die am Horn von Afrika das deutsche Sozialgefüge und die deutsche Weltgeltung sichert. Die o.a. Fernsehsendung hieße jedoch nicht Kontraste, wenn sie dem verabscheuungswürdigen Tatbestand der Staatszerrüttung durch Ver.di nicht auch ein leuchtendes Beispiel verantwortungsbewußten Staatsbürgertums gegenübergestellt hätte. Da besuchte das Team nämlich einige von den Massenentlassungen verschonte Borsig-Arbeiter an den wenigen dort übrig gebliebenen Arbeitsplätzen. Stolz durften die Befragten zu offensichtlich massenerzieherischen Zwecken in die Kamera blicken und erklären, wie glücklich es sich gefügt habe, daß die Firma sie einer 15-prozentigen Lohnkürzung habe teilhaftig werden lassen. Nicht groß erörtert wurde in der Sendung freilich - wohl weil bei den Zuschauern als bekannt vorausgesetzt - das Verfahren, mit dem man bedauerlicherweise unter der Alternative sofortiger Arbeitslosigkeit die Glückspilze fürsorglich hatte erpressen müssen, bis sie ganz freiwillig auf einen Teil der Bezahlung ihrer Arbeitskraft verzichteten. Was tut man nicht alles für das Gemeinwohl. Allerdings leider nicht allerorten. Enttäuschend gestaltete sich ein gleich nach der Ausstrahlung getätigter Anruf bei der Kontraste-Redaktion mit dem Vorschlag, die Kolleginnen und Kollegen dort möchten doch bitte mit gutem Beispiel vorangehen und ebenfalls auf 15 Prozent ihres Gehaltes verzichten, um mit der erzielten Einsparung weitere Arbeitsplätze zu schaffen, der Allgemeinheit die Fernsehgebühren zu senken oder gar die o.a. Berliner Schule zu sanieren. Das unsolidarische Ansinnen wurde mit schallendem Gelächter quittiert. Vermutlich ist man dort 100-prozentig in der betonköpfigen Ver.di organisiert, und der Sendebeitrag war irgendwie als Selbstkritik gedacht. Immerhin. * Nach dem Gesetz der Serie folgte genau eine Woche später das "linkslastige" (Volksmund Springer) ARD-Magazin Panorama. Hier wurde konsequent weiter enthüllt. Dem Hauptbeitrag der Sendung ließ sich entnehmen, wie durch uneinsichtiges Festhalten an Tarifen, Gesetzen und ähnlichem Klimbim Geld verschwendet und Arbeitslosigkeit geschürt werde. In Hannover beispielsweise gebe es zwei oder drei Stadtangestellte, die "nur fürs Spazierengehen bezahlt" würden. Es handelt sich um sogenannte "Stadtbegeher". Ausführlich schilderte der Bericht, wie diese Leute täglich durch die City streifen, auf für Fußgänger gefährliche Verschiebungen von Gehsteigplatten, demolierte Warnschilder, verkommene Spielplätze, defekte Verkehrsampeln und ähnliches achten. Auch melden sie überdurchschnittliche Verschmutzungen durch Abfall auf Straßen und Plätzen. Eine Verschwendung von Steuermitteln, wie sie im Buche steht! Sicher hat die hannöversche Stadtverwaltung in den Tagen nach der Sendung Dutzende von Anrufen und Briefen empörter Steuerzahler verbuchen dürfen, in denen die sofortige Entlassung der "spazierengehenden Sozialschmarotzer" gefordert wurde. Recht so. Sollte dann mal ein Rentner seiner Verpflichtung zu sozialverträglichem Frühableben dadurch nachkommen, daß er über eine lose Fußwegplatte stürzt, oder ein verzogener fünfjähriger Balg sich im öffentlichen Sandkasten eine Flaschenscherbe in die Pulsader jagen, kennt man die Ursache ja eh spätestens nach dem bedauerlichen Ereignis. In der Industrie ist es doch längst üblich, den Verbraucher die Endkontrolle durchführen zu lassen. (Großzügiges Reklamationswesen kostet allemal weniger als eigene Qualitätskontrolleure.) So wird auch die Stadt Hannover eventuell millionenschwere Regreßansprüche aufgrund der ihr obliegenden Schadenshaftung im öffentlichen Straßenraum gern aus der Portokasse bezahlen. Schließlich muß gespart werden. Hauptsache es bringt Stellenabbau, gelle? Auch der Panorama-Beitrag brandmarkt als Hauptarbeitsplatzvernichter die Gewerkschaften. Selbstverständlich wird diese einleuchtende These mit zahlreichen Beispielen belegt: So wehrt sich die spießige IG Metall beharrlich gegen Zwölf-Stunden-Arbeitstage bzw. -nächte. Schlimm, weil regelmäßige Überstunden bekanntermaßen neue Stellen schaffen... Auch weigert sie sich stur, in Metallbetrieben schaffende Büroangestellte als Mitglieder abzulehnen. Diese ächzen dann unter einer "Zwangsmitgliedschaft" in der IG Metall (und werden vermutlich bei Unbotmäßigkeit von der örtlichen IGM-Verwaltunsstelle sofort nach Sibirien deportiert). Am schlimmsten aber treibt es die Ver.di in Karlsruhe. Dort hatte ein Gebäudereiniger über zweihundert Mitarbeiter beschäftigt, hätte also laut Gesetz einen Betriebsrat hätte freistellen müssen. Solch rüder Eingriff in die Unternehmerfreiheit ist - verständlicherweise - einem richtigen Chef nicht zumutbar. Was blieb dem armen also, als ein paar deftige Kündigungen auszusprechen, bis die Beschäftigtenzahl unter die im Betriebsverfassungsgesetz festgelegte Marke sank. Und wer jetzt noch nicht weiß, wem die Schuld an den Entlassungen zuzurechnen ist, der hat im Fernsehunterricht nicht aufgepaßt: natürlich der Gewerkschaft, denn die, so lehrt das Stück, hat durch engstirniges Beharren auf dem Recht die Arbeitslosigkeit vorangetrieben. Da mußte erstmal drauf kommen. Den Verdacht, es könne sich bei den beiden geschilderten Magazinsendungen um Vorboten einer gezielten Antigewerkschaftskampagne handeln, wies die Panorama-Redaktion auf Befragen weit von sich; die inhaltliche Übereinstimmung und kurzfristige zeitliche Abfolge der Beiträge sei reiner Zufall. Wer's nicht glaubt, lese die zufällig kurz darauf erschienene Spiegel-Titelstory über den "Kanzler der Gewerkschaften" (schön wär's ja), den "Genossen Schröder". Vehement wird da der verderbliche Einfluß der Arbeitnehmerorganisationen auf die Politik beklagt. (Übrigens, werte Blattmacher, wenn es schon um Gewerkschaften geht: "Kollege", nicht "Genosse"; auskennen müßte man sich halt...) Wir haben es ja schon immer dunkel geahnt: Ohne die Gewerkschaften gäbe es Vollbeschäftigung. Für immerhin Eins-zwanzig die Stunde. Ist das nix? Gut, daß wir nun endgültig aufgeklärt werden, und zwar geballt. Kampf zur Erhaltung von Arbeitsplätzen heißt: Arbeitsplatzvernichtung. Sozialabbau nennt man Reformen. Wahrung der Rechte von Arbeitnehmern ist Egoismus. Millionen-"Abfindungen" für Manager gelten als Sozialfürsorge. Neusprech eben: Krieg ist Frieden. * Am kreativsten war da jüngst Friedensminister Peter Struck. Allen Ernstes erklärte er, die nun im anstehenden Irak-Krieg zum Verbleib auf dem voraussichtlichen Kampffeld bestimmten deutschen "Fuchs"-Panzer seien "keine Panzer, sondern fahrbare Labors". Deshalb unterliegen sie ab sofort wohl nicht mehr dem Kriegswaffengesetz (oder eben gerade doch?), und die Besatzungen bestehen nicht mehr aus Soldaten, sondern aus Wissenschaftlern und MTAs, vielleicht sogar aus Friedensforschern. "Patriot"-Raketen sind folglich - je nach Datum des Kriegsausbruchs - vorgezogenes oder verspätetes Silvesterfeuerwerk, und der Einsatz von Bodentruppen gilt als Jagdausflug. Ein hübsches Exempel gekonnter Neusprech-Logik ist auch die Äußerung aus Kreisen der Bush-Administration, es könne durchaus ein Kriegsgrund sein, sollten die UN-Waffeninspekteure im Irak keine nennenswerten Vorräte an ABC-Waffen entdecken. Saddam halte seine Massenvernichtungsmittel dann nämlich noch immer versteckt ... Damit erledigt sich natürlich der böse Verdacht übelwollender USA-Kritiker, die schon lange im Irak operierenden amerikanischen Spezileinheiten - oder gar gewisse Inspektionsangehörige - würden notfalls kompromittierende Arsenale selber anlegen, um sie als corpus delicti entdecken zu können. So oder so geht es nur. Aber es geht. Ach, man muß nicht alles glauben, was sie einem erzählen. Am besten gar nichts.
Erschienen in Ossietzky 24/2002 |
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