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Schon seit einiger Zeit warnt Walter vor den Gefahren einer großen Weltwirtschaftskrise, in die nach Japan, Argentinien, Brasilien und anderen Ländern auch die USA selbst und ebenso Europa und hier vor allen Deutschland als größtes Land der Gemeinschaft hineingezogen werden könnten. Gegenwärtig sieht er unser Land in eine krisenhafte Deflation schlittern, sinkende Preise bestimmten das Marktgeschehen. Wer beim Bäcker ein Stück Kuchen kauft oder im Gasthaus etwas zu essen bestellt oder sich im Supermarkt nach frischem Obst umsieht oder einen Behördenbescheid über fällige Abgaben erhält, erlebt die Preisentwicklung anders und schimpft über den "Teuro". Walter dagegen spricht von ständig neuen Preisabschlägen im Handel und im produzierenden Gewerbe. Nehmen wir an, daß er sich da auskennt. Aber warum soll es schlecht sein, wenn Preise stagnieren oder gar sinken? Laut Walter ist das Gift für die Konjunktur, weil dann alle Leute sich mit Bestellungen und Käufen zurückhalten in der Erwartung, daß man in ein, zwei Jahren vielleicht noch billiger einkaufen kann. Nicht nur der Konsum bricht ein, noch mehr Sorgen macht sich Walter wegen der stagnierenden oder gar rückläufigen Aufträge für neue Anlagen und Maschinen. Wodurch könnten nach seiner Ansicht die Politiker daran etwas ändern? "Durch politische Stimulierung, also durch das Senken der Zinsen, und durch eine Finanzpolitik, die nicht prozyklisch ist, die dann, wenn die Gesamtnachfrage schwach ist, auch Manns (!) genug ist, die Nachfrage kurzzeitig anzuregen." Was Rot-Grün sich nach der Bundestagswahl vorgenommen habe, sei "genau das Gegenteil". Die Rezepte, die der Chefökonom hier einfordert, klingen nach Tabubruch. Was Jahrzehnte lang für alle Übel im Wirtschaftsleben verantwortlich gemacht wurde, soll jetzt plötzlich wieder gelten. Die neoliberalen Heilslehrer in den Wirtschaftsredaktionen der großen Zeitungen, auf den akademischen Lehrstühlen, bei den Unternehmerverbänden und auch in den Parteien wollten doch den Staat am liebsten abschaffen, die Dogmen lauteten: "Die Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht", "Weniger Staat, mehr Markt", "Weg mit allen staatlichen Regulierungen, damit ein endlich entfesselter Markt die wahrhaft freie Gesellschaft schaffen kann" usw. Die europäische Zentralbank wurde extra so konzipiert, daß sie außerhalb jeder Politikeinwirkung und damit außer jeder demokratischen Kontrolle ausschließlich dem Geldwert und also nur dem Kapitalmarkt verpflichtet sein soll. Und nun verlangt die größte Bank Europas das Senken von Zinsen durch politische Einwirkungen! Außerdem fordert ihr Sprecher einen Staat, der dem kränkelnden Markt durch Anregung der Nachfrage auf die Sprünge helfen soll. Hieß es bisher nicht immer: Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage!? Vorsicht ist geboten. Bevor jetzt alle Keynesianer Norbert Walter zu ihrem Gewährsmann rechnen, sollte man erst einmal genauer hinschauen, wofür die Deutsche Bank eine Politik einfordert, die "Manns genug" ist. Die starke Hand des Staates braucht sie, so heißt es weiter bei Walter, weil "wir ... unfähig (sind), in den Leistungsgesetzen Korrekturen vorzunehmen. Wir sind unfähig, Lohnzurückhaltung zu organisieren ..." Mit "Korrekturen in den Leistungsgesetzen" meint er im Klartext: Runter mit der Sozialhilfe, den Unterstützungen für Arbeitslose, der Kranken- und Rentenversorgung. So ließe sich auch die gewünschte "Lohnzurückhaltung" erzielen, denn erst wenn den Beschäftigten bei Arbeitsverlust das Verhungern droht, werden sie jede Arbeit annehmen und sich bei Lohnforderungen genügend zurückhalten. Das aber können "wir" - d. h. die Deutsche Bank - alleine nicht "organisieren", dazu brauchen wir den Staat und in der Regierung Leute, die "Manns genug" sind. Brave Keynesianer, die immer noch einer linken Sozialdemokratie nachtrauern wie Herbert Ehrenberg oder von einer neuen träumen wie Rudolf Hickel, werden sicher dem Professor Walter vorrechnen wollen, daß dessen volkswirtschaftliche Rechnung gar nicht aufgehen könne. Denn wie sollte die Gesamtnachfrage steigen, wenn der Masse der Bevölkerung durch Lohnzurückhaltung und gestrichene Sozialeinkommen die Kaufkraft abhanden kommt? Da wird der Chefökonom überlegen lächeln. Für ihn ist Kaufkraft aus Löhnen und Sozialeinkommen nämlich verschwendete Kaufkraft; er nennt das, was angeblich bisher mit den Staatsschulden finanziert wurde, "unseren Spaß", von dem er "nicht möchte, daß (dafür) unsere Kinder und Kindeskinder bezahlen" müssen. Wenn er bereit wäre, den "Stabilitätspakt" anders zu interpretieren, also über drei Prozent Neuverschuldung hinauszugehen, dann deswegen, weil vor allem die Investitionsbereitschaft der Unternehmer - nicht der Verbrauch für den Lebensunterhalt der normalen Bevölkerung - durch die Nachfrage des Staates angeregt werden soll, weil er nicht will, daß man "Ausgaben kürzt, die für die künftige Entwicklung geradezu entscheidend sind". Und was ist entscheidend? Selbstverständlich alles, was den Wirtschaftsstandort Deutschland und den Finanzplatz Frankfurt am Main fördert. Daß dazu immer mehr auch die Interventionsfähigkeit der Bundeswehr zählt, sei nur am Rande in Erinnerung gerufen. Das ist keine Abkehr vom neoliberalen Credo. Die Werbesprüche vom hilflos werdenden Staat, den die globalisierte Wirtschaft nicht mehr benötige, haben nie der Wirklichkeit entsprochen. Das neoliberale Programm bedeutete zu keinem Zeitpunkt die Abschaffung des Staates. Sein Ziel war und ist vielmehr: Der Staat muß den Armen genommen werden, um ihn den Reichen zu geben - wie Noam Chomsky sagt. Entsprechend sollen heute, da weltweit und national ein Crash droht, die Aufgaben des Staates neu ausgerichtet werden. Rentable Kapitalanlagen für die Besitzenden sind unter allen Umständen zu gewährleisten, sonst stünde das Gesamtsystem in Frage. Hierfür verlangt Walter jetzt direkte Eingriffe des Staates, notfalls auch mit keynesianischen Elementen. Daß sich Staatsinterventionismus durch Defizit-Spending für Investitionsförderung, flankiert mit Sozialdumping bis hin zum Arbeitszwang durchaus mit dem neoliberalen Glauben verträgt, läßt sich von den USA lernen. Wir Deutschen haben noch andere Vorbilder: Der Wirtschaftsaufschwung nach 1933 wurde mit Maßnahmen erreicht, die in Teilen von Keynes übernommen waren. Und die Deutsche Bank konnte in jenen zwölf Jahren ihre Stellung in Europa enorm ausbauen. Ihr heutiger Chefökonom weiß also aus der Erfahrung seines Hauses, wie nützlich eine Regierung sein kann, die "Manns genug" ist.
Erschienen in Ossietzky 24/2002 |
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