Zur normalen Fassung

Wie sie lernten, die Bombe zu lieben

Linke, Krieg und Antisemitismus (I)

von Jürgen Elsässer


Menschen, die angesichts des Amoklaufes des US-Präsidenten nicht ein paar antiamerikanische Reflexe verspüren, sind hirntot, ihre Körperfunktionen werden nur noch durch Infusionen der imperialistischen Propagandamaschine in Gang gehalten.

Was in der KONKRET-Redaktion zum Bruch geführt hat, entzweit zur selben Zeit zahlreiche andere Zeitschriftenredaktionen, Antifagruppen und selbst private Freundeskreise, rumort in Gewerkschaftsgliederungen und in der PDS: die Haltung zur drohenden US-Aggression, damit zusammenhängend die Einschätzung der Friedensbewegung.

Während das Kapital so mächtig und skrupellos wie selten zuvor auftritt, zersplittern sich seine Gegner immer stärker. In dieser Situation müßte die weiterführende Auseinandersetzung auf der Linken organisiert werden, nicht die sterile Aus- und Abgrenzerei. Selbstverständlich müssen sich in diesem Rahmen auch Autoren artikulieren können, die den US-Krieg als kleineres Übel begreifen. Aber offensichtlich will deren Mehrheit gar keine gemeinsame Debatte, sondern versucht sie, wo immer es geht, durch die Denunziation der Kriegsgegner als Antisemiten zu verhindern.

Nie wieder Krieg - ohne uns?

"Stärker noch als vor zehn Jahren ... formiert sich heute eine ... Linke, die einen Militärschlag gegen das Hussein-Regime zumindest als kleineres Übel begreift," heißt es in der jüngsten Ausgabe der "Blätter des Informationszentrums Dritte Welt", des renommiertesten Debattenorgans der bundesdeutschen Dritte-Welt-Solidarität. Dieser Formierungsprozeß stützt sich auf eine bestimmte Sichtweise der Wirklichkeit, die nur deswegen nicht als völlig absurd erkannt wird, weil sie neben exotischen Kleinstpublikationen aus dem Szene-Dschungel auch die Monatszeitschrift KONKRET, die älteste parteiunabhängige Zeitschrift der Linken in Deutschland, verbreitet.

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß eine Linke ohne Antimilitarismus undenkbar ist: Weil die sozialdemokratischen Parteien aller Länder den Ersten Weltkrieg befürworteten, trennten sich die Antimilitaristen von diesem "stinkenden Leichnam" (Rosa Luxemburg) und gründeten eigene Organisationen. Der Spartakusbund in Deutschland, die Bolschewiki in Rußland waren die Kristallisationskerne der künftigen Kommunistischen Internationale. Aber auch alle anderen linken Strömungen - Sozialisten, Anarchisten, Syndikalisten, Autonome und wie sie sich sonst nennen mögen - sind bis 1989 immer wieder gegen den Krieg aufgetreten. (Die Ausnahme, über die noch zu sprechen sein wird, war der Krieg der Anti-Hitler-Koalition gegen Nazi-Deutschland.) Selbst die SPD, die ihren Frieden mit der Bundeswehr gemacht hat, trat noch bis zur Wiedervereinigung gegen deutsche Militäreinsätze außerhalb des Nato-Bündnisgebietes auf.

Es ist absurd: Seit die Welt mit dem Kollaps des sozialistischen Lagers 1989 wieder zu einer kapitalistischen One World geworden ist, die der vor 1917 ähnelt, gilt die Kriegsgegnerschaft nicht mehr als Essential unter Linken. Sowohl beim Angriff auf Irak 1991, wie während der Aggression gegen Jugoslawien 1999 und bei den Militärinterventionen nach dem 11. September 2001 gab es relevante linke Strömungen, die den Krieg unterstützten. Diese Position war immer falsch, doch noch nie war sie so unbegründet wie heute, angesichts des bevorstehenden zweiten Angriffs auf den Irak. So gab es sowohl 1991, wie 1999 als auch 2001 konkrete Ereignisse, die dem militärischen Eingreifen wenigstens auf den ersten Blick eine Legitimation gaben: 1990 hatte Saddam Hussein Kuweit annektiert; dem Bombenkrieg gegen Jugoslawien gingen mehrmonatige bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen im Kosovo voraus; der Angriff auf Afghanistan wurde als Reaktion auf den 11. September ausgegeben. Sicherlich hielten die Kriegsbegründungen auch in diesen Fällen einer genaueren Prüfung nicht stand. Doch es hatten immerhin in der Realität Scheußlichkeiten stattgefunden, die sich - mit etwas Nachhilfe durch CIA und CNN, auch durch BND und "FAZ" - zu Kriegsgründen modeln ließen.

Dies ist bei der jetzt geplanten Aggression nicht der Fall. Saddam Hussein hat in den letzten zehn Jahren nicht den mindesten Vorwand geliefert. Alle großen Verbrechen des Baath-Regimes (siehe unten) fanden vor diesem Zeitraum statt. Die Versuche der US-Administration, eine Gefahr durch den Irak in der Gegenwart zu konstruieren, sind allesamt kläglich gescheitert:

Zur Frage der Atomwaffen erklärt Ritter: "1998, in dem Jahr, als ich den Irak verließ und das UN-Waffeninspektionsprogramm beendet wurde, waren die Infrastruktur und die Anlagen zu 100 Prozent zerstört." Hätte der Irak seither eine Produktion wieder aufgenommen, hätte sich das mit Satelliten, die mittels Infrarot-Technik auch unterirdische Anlagen ausspionieren können, leicht feststellen lassen.

Zur Frage der Chemischen Waffen berichtet Ritter:

"Der Irak produzierte drei verschiedene Nervengifte: Sarin, Tabun und VX. ... Sarin und Tabun haben bei der Lagerung eine Lebensdauer von fünf Jahren. Selbst wenn der Irak es geschafft hätte, diese ungeheuren Mengen an Kampfstoffen vor den Inspekteuren geheim zu halten, enthielten ihre Depots heute nur noch unbrauchbare und harmlose Schmiere ... Gibt es heute im Irak eine Fabrik zur Herstellung des Nervengases VX? ... Nie im Leben. ... Die Herstellung von chemischen Waffen setzt Abgase frei, die man längst aufgespürt hätte."

Bei den biologischen Waffen räumt Ritter ein, daß beim Abzug der Inspektoren im Dezember 1998 möglicherweise noch Restbestände nicht aufgefunden worden waren. Dennoch kommt er zu dem Schluß:

"Der Irak besitzt heute keine biologischen Waffen mehr, weil sowohl das Anthrax als auch das Botulinumtoxin inzwischen unbrauchbar geworden sind."

Kurz und gut: Kein Krieg seit 1945 wurde so dreist und aggressiv vorbereitet, nie waren die Begründungen so fadenscheinig. Menschen, die angesichts des Amoklaufes des US-Präsidenten nicht ein paar antiamerikanische Reflexe verspüren, sind hirntot, ihre Körperfunktionen werden nur noch durch Infusionen der imperialistischen Propagandamaschine in Gang gehalten. Doch auch damit läßt sich's offensichtlich ganz passabel leben.

Kriegslügen von links

In KONKRET wurde die US-amerikanische Position der Fortführung des Irak-Embargos als "nachvollziehbar" gelobt, die über eine Million "Embargo-Opfer" wurden mit Anführungszeichen verhöhnt, an deren Schicksal nicht die wirtschaftliche Blockade schuld sei, sondern "die gezielte Unterversorgung" durch das irakische Regime (KONKRET 1/2001). Der Gipfel des Zynismus war schließlich die These: "Man könnte die Argumentation der Embargo-Kritiker also auch umdrehen: Eine Aufhebung des Embargos würde das Leiden der Bevölkerung verschlimmern, weil niemand Saddam Hussein mehr dazu bewegen könnte, wenigstens Teile der Öleinnahmen für die Versorgung der Bevölkerung zu verwenden..." (KONKRET 10/2001)

Völlig ausgeblendet wird, daß die damalige US-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright selbst eingeräumt (und gerechtfertigt) hat, daß die USA für diesen Massenmord verantwortlich sind.

"Am 12. Mai (1996) war Frau Albright im Sender CBS. Der Interviewer Leslie Stahl fragte: 'Wie wir gehört haben, sind eine halbe Million Kinder gestorben. Ich denke, das sind mehr als in Hirsohima. Sagen Sie, ist das den Preis wert?' Zum Erstaunen der Weltöffentlichkeit antwortete Frau Albright: 'Ich denke, es ist eine sehr harte Entscheidung, aber den Preis ist es nach unserer Ansicht wert.'" ("Independent", 25.9.2002)

Auf der anderen Seite wird die Opferbilanz der Baath-Partei grotesk aufgebläht. Christian Stock, Redakteur der erwähnten "Blätter des iz3w" schreibt: "Die sich als Hüter des Antimilitarismus gerierenden Kritiker der Bellizisten unterschlagen, daß im Irak ein Krieg schon längst geführt wird ... dieser lang anhaltende Krieg ist angesichts einer Million Opfer während Husseins Herrschaft keine Marginalie." Diese eine Million Toten seien - unabhängig von Krieg und Embargo - ... dem staatlichen Terror des Regimes zum Opfer gefallen," hieß es ergänzend in KONKRET (Heft 4/2002). Diese Zahl hat man bislang noch nicht einmal aus Washington, also von den ansonsten so griffig formulierenden Damen und Herren Rumsfeld, Cheneys und Rice gehört.

Und Gert Weißkirchen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und unter bestimmten Bedingungen schon seit Herbst Befürworter eines Krieges gegen den Irak, also nicht gerade ein Saddam-Freund, gab die Zahl von dessen Opfern mit 180.000 an, das sind 18 Prozent der Million. (Interview im "Freitag", 9.8.2002). Man könnte einwenden, das Insistieren auf einem möglichst exakten Body Count sei penibel oder sogar zynisch, schließlich sind auch 180.000 oder selbst 80.000 Tote genug, um den Diktator zu hassen und ihm den Sturz zu wünschen. Doch sie genügen nicht, wenn man Saddam in die Nähe von Hitler rücken will, der nur durch eine Militärintervention von außen beseitigt werden konnte. Wie wir gleich sehen werden, ist die Millionen-Lüge nichts anderes als propagandistische Grundlage des Rufes nach einer US-Invasion.

Unbestritten ist, daß das irakische Regime Verbrechen im großen Stil auch an der eigenen Bevölkerung begangen hat. Doch fallen die blutigsten Zeiten der Unterdrückung etwa der kurdischen Minderheit auf die zweite Hälfte der achtziger Jahre, der Giftgasangriff auf Halabja war beispielsweise 1988. In dieser Phase war Saddam Hussein ein geschätzter Verbündeter des Westens, sein "Lieblingsmonster" (Noam Chomsky). Heute, wo sich die Verhältnisse im Land nicht mehr von 50 anderen Folterdiktaturen auf dieser Welt unterscheiden und wo das Massensterben aufgrund der Sanktionen die Morde des Regimes um ein Vielfaches übersteigt, erscheinen in der linken Presse Artikel, die diese Verhältnisse auf den Kopf stellen: Die Greuel der westlichen Politik werden verharmlost, die der Regierung des überfallenen Landes inflationiert. Diese Methode ist aus dem Jugoslawienkrieg bekannt, Politiker wie Rudolf Scharping und Journalisten wie Erich Rathfelder ("taz") waren stilbildend.

All the president's men

Zur Bibel der strenggläubigen Bellizisten könnte das Buch "Saddam Husseins letztes Gefecht? Der lange Weg in den III. Golfkrieg", herausgegeben von Arras Fatah u.a, avancieren. Es erschien im Oktober in der Reihe "konkret texte" und ist ein Kompendium aller Geschichten aus 1001 Nacht, die man im Verlauf der letzten Monate aus dem Pentagon gehört hat: Wie Ali Baba die UN-Waffeninspekteure hinauswarf, Scheherezaden um geheime ABC-Produktionsstätten, Hadschi Halef Omar trifft Mohammed Atta in Prag - eigentlich fehlen nur die kuwaitischen Babys, die aus den Brutkästen gerissen wurden, und Scharpings gegrillte Föten.

Gleich zwei Mal wurde im Buch die Millionen-Lüge wiederholt und zu Werbezwecken von der KONKRET-Verlagsleitung auch noch auf den Rückumschlag und in den Herbstprospekt gedruckt: "Die Autoren zeichnen den Werdegang der Diktatur nach, der mehr als eine Million Iraker zum Opfer gefallen sind." Einem Co-Autor war auch das noch nicht genug: "Doch Saddams Diktatur ist nicht bloß eine unter vielen, ihre Greueltaten können nur mit denen von Pol Pot in Kambodscha verglichen werden." Damals wurden - so der Medien-Mainstream - drei Millionen ermordet.

Wer erwartet hat, daß diese Horrorzahlen irgendwo belegt sind, wird enttäuscht: Im gesamten Buch findet sich keine einzige Aufstellung, die die Million auch nur errechenbar macht. Lediglich eine Fußnote weist auf ein englischsprachiges Werk einer International Alliance for Justice hin, doch es wird nur der Titel einer Studie angegeben, keine Bezugs- oder Internetadresse, und auch kein Zitat, das die fragliche Zahl enthält.

Im Geleitwort von Kanan Makiya kann man lesen, was ansonsten Präsident Bush jr. verkündet: "Arabisches Denken und Kultur ... können sich nur erneuern in einem neuen politischen Milieu - und zwar in einem, das die arabischen Beziehungen zum Westen grundlegend neu bestimmt. Eine Gelegenheit, eine solche Neudefinition herbeizuführen, bietet sich zum zweiten Mal in der jüngeren Geschichte durch einen Regimewechsel im Irak." Die sich bietende Gelegenheit ist diese: "Zur Zeit der Niederschrift dieser Worte deuten ... alle Zeichen darauf hin, daß sich die US-Administration zum ersten Mal ernsthaft und kraftvoll in Richtung eines 'Regimewechsels' bewegt. Ein bedeutsamer Luft- und Boden-Feldzug im Irak ist ins Auge gefaßt worden, der den Einsatz von bis zu 250.000 Soldaten beinhalten könnte." Weiter heißt es: "Der Ausdruck 'Regimewechsel' selbst ist unglücklich gewählt, da er eine Operation suggeriert, die zeitlich und räumlich begrenzt ist." Ein Präventivkrieg ohne zeitliche und räumliche Begrenzung - das Maximalprogramm der Falken in der Bush-Administration als Geleitwort in einem Buch aus einem linken Verlag.

Doch es kommt noch besser: Geleitwort-Schreiber Makiya - ein Exil-Iraker, der schon seit Jahrzehnten in den USA lebt - gab Mitte Oktober in einem Interview mit der "Zeit" zu: "Ich bin nicht allein bei diesen Überlegungen. Wir arbeiten in einer Gruppe von 32 Leuten - und werden dabei von der US-Regierung unterstützt - an einer Nachkriegsordnung für den Irak." Mit anderen Worten: Er steht auf der Pay-Roll der Bush-Regierung und arbeitet an Besatzungsplänen für den Irak. Er erhält, zusätzlich zu seinem Gehalt aus Washington oder Langley, jetzt auch noch als Buch-Autor ein Honorar von KONKRET. Ist jemals ein ähnlicher Fall in der Geschichte der Zeitschrift vorgekommen? Wie würde es KONKRET-Herausgeber Hermann L. Gremliza wohl kommentieren, wenn irgendeine andere linke Zeitung so offensichtlich mit einem bezahlten Vordenker imperialistischer Kriegspolitik verlinkt wäre?

Stimmen der Vernunft

Wie weit sich die linken Kriegsbefürworter von jeder rationalen Diskussion entfernt haben, zeigen zwei Stellungnahmen, die man schwerlich der Nähe zur Baath-Partei oder gar des Antisemitismus verdächtigen kann.

So heißt es in einer aktuellen Presseerklärung von Amnesty International:

"Die Menschenrechtssituation im Irak wird mit ungewöhnlicher Häufigkeit von einigen westlichen Politikern angeführt, um ein militärisches Eingreifen zu rechtfertigen. Diese selektive Aufmerksamkeit gegenüber Menschenrechten ist nichts anderes als eine kalte und kalkulierte Manipulation der Arbeit von Menschenrechtsaktivisten."

Micha Brumlik, Direktor des Fritz Bauer Instituts in Frankfurt am Main, befürwortete 1991 ein militärisches Vorgehen gegen das Regime von Saddam Hussein und verließ deswegen die Grüne Partei. Heute ist er gegen den geplanten Angriff. In einem Interview sagte er zur Begründung:

"Frage: Sie fordern eine Eindämmungspolitik - nicht gegenüber dem Irak, sondern gegenüber den USA. Ist das nicht antiamerikanisch?

Brumlik: Der Antiamerikanismus-Vorwurf wird leichtfertig verwendet, und Antiamerikanismus wird leichtfertig mit Antisemitismus gleichgesetzt. Ich lehne beides ab. Wer die Auswüchse der Politik der gegenwärtigen US-Administration kritisiert, betreibt keinen Antiamerikanismus. Das zu behaupten ist demagogisch."



Jürgen Elsässer war seit April 1999 Redakteur der Hamburger Monatszeitschrift KONKRET und im Blatt verantwortlich für den Politikteil. Nun hat ihm Herausgeber Hermann L. Gremliza gekündigt, er soll künftig nur noch als Autor im Blatt schreiben können. Im Hintergrund standen monatelange innerredaktionelle Auseinandersetzungen über das Verhältnis zum Irakkrieg und zur Friedensbewegung.
Elsässer, von 1994 bis 1997 auch Redakteur der "jungen Welt", ist Autor zahlreicher Sachbücher vor allem zur deutschen Außenpolitik. Sein Titel "Kriegsverbrechen. Die tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihre Opfer im Kosovokonflikt" gilt als Standardwerk und ist mittlerweile in drei Sprachen übersetzt. Dieses Jahr erschienen: "Make Love and War. Wie Grüne und 68er die Republik verändern", sowie "Deutschland führt Krieg. Seit 11. September wird zurückgeschossen".

Kontakt zu Jürger Elsässer: www.juergen-elsaesser.de oder J.Elsasser@t-online.de

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sopos 12/2002