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"Wir müssen einen zweifachen Kampf führen"

Interview mit Walden Bello von Focus on the Global South


Wo steht Südostasien innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung?

Walden Bello: Südostasien ist, was NGOs und Bürgerbewegungen angeht, eine ungleich entwickelte Region. Wegen des asiatischen Wirtschaftswunders waren diese Bewegungen lange Zeit nicht Teil des politischen Mainstreams. Erst mit der asiatischen Finanzkrise veränderte sich diese Situation: Die Öffnung des Finanzmarktes und des Handels führten zu einer Katastrophe. Das Vertrauen in die Eliten und in das Modell eines jährlichen Wachstums zwischen sechs und zehn Prozent wurden erschüttert. Seither haben auf der globalen Ebene asiatische NGOs und soziale Bewegungen zur Bildung einer kritischen Masse beigetragen, wie z. B. in Seattle und bei den Mobilisierungen im Jahr 2002. Auf der regionalen und der nationalen Ebene gibt es aber immer noch keine kritische Masse. Am stärksten sind hier radikal islamische Bewegungen, die in Südost-, Süd- und Westasien eine Massenbewegung von unten zusammenbringen und die hier an der Spitze eines Kampfes gegen die USA stehen. Wie sehr wir ihnen auch widersprechen, sie verurteilen, mit ihren Methoden ethische Probleme haben – wir dürfen nicht übersehen, daß dieser muslimische Extremismus besonders Jugendliche stark anzieht. Je mehr die Vereinigten Staaten Muslime demütigen, um so stärker wird diese Anziehungskraft.

Wir müssen einen zweifachen Kampf führen. Auf der einen Seite ist der Kampf gegen das neoliberale Establishment. Auf der anderen Seite kommt unsere Konkurrenz von der säkularen oder von der radikal fundamentalistischen Rechten. Auch diese Gruppen kämpfen gegen konzerngesteuerte Globalisierung und bringen die Enttäuschung der Leute auf einen rechten, identitätspolitischen Standpunkt. Die neoliberale Ideologie ist in der Defensive, sie hat keine Überzeugungskraft mehr, aber das heißt noch lange nicht, daß wir gewinnen werden. Wer wird die enttäuschten Arbeiter, die Mittelklasse und die Bauern gewinnen? Das ist, ähnlich wie in den 20er und 30er Jahren, die Herausforderung der nächsten Zeit.

Du sagst, der Kapitalismus müsse überwunden werden. Das International Forum on Globalisation (IFG), bei dem du mitwirkst, propagiert dagegen das Konzept der "Global Governance". Demnach soll die UNO zu einer Alternative zu IWF und Weltbank reformiert werden. Ist das nicht ein Widerspruch?

Die Krise, die als Krise des Neoliberalismus begonnen hat, hat sich zu einer Krise des Kapitalismus als System ausgewachsen. Kann sich der Kapitalismus erneut stabilisieren? Und kann ein neuer Keynesianismus entstehen? Ich stehe dem nicht nahe, aber um die Alternativen müssen wir ringen. Anstatt von Sozialismus zu reden und damit Erinnerungen an die zentralisierten sozialistischen Systeme Osteuropas wachzurufen, ziehe ich die Begriffe der Bewegung vor: die Betonung von Demokratie, Nachhaltigkeit, Gleichheit – keine zentralistischen Regeln haben, sondern ein pluralistisches System von Global Governance, das den Ländern Platz ermöglicht, die ökonomischen Strategien ihrer Wahl zu verfolgen. Es ist nicht wie in der Vergangenheit, als für den Übergang zum Sozialismus der Staat benutzt werden sollte. Dieses Modell ist offensichtlich gescheitert. Heute sind Basisbewegungen und demokratische Bewegungen Hauptakteure dieses Prozesses.

Ist damit die Entwicklung einer "asiatischen Identität" verbunden, wie sie manche vom asiatischen Sozialforum erwarten?

Ich glaube, es war nicht gemeint, eine asiatische Identität zu entwickeln. Wenn die Leute von Identität sprechen, kommt darin das Bedenken zum Ausdruck, daß progressive Bewegungen Kultur und Identität nicht genug beachten, wenn sie von Veränderung sprechen. Linke legen großes Gewicht auf die Analyse von Politik und Ökonomie, aber auf "Werte" sind sie nicht bedacht. Das bedeutet, daß sie oft von der Rechten ausgebootet werden, weil sie ihr diesen Schauplatz überlassen. Eine Seite des Menschen ist das Überleben und die Schaffung einer dazu geeigneten ökonomischen Welt, aber einen anderen Teil des Menschen macht der Wille aus, das Diesseits zu transzendieren. Wenn wir nicht die Bereitschaft der Menschen verstehen, für eine Überzeugung zu sterben, dann verstehen wir die Menschen nicht. Die linke Bewegung spricht dieses Bedürfnis nach Transzendenz nicht an. Das ist der Hauptgrund, warum in Asien Fundamentalismus so viel stärkere Anziehungskraft hat.


Das Interview führten Oliver Pye und Wolfram Schaffar. Die ungekürzte Fassung erschien in der Zeitschrift Südostasien (3/2002). Diese Fassung erschien zuerst im Sonderheft Globalisierungskritik (Nr. 265) der iz3w - blätter des informationszentrums 3. welt.
Die Website von Focus on the Global South.

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sopos 11/2002