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Die Berliner Nachtluft, nicht die beste, bedeutete reine Erholung. Zwischen den beiden Aufführungen lag 2000 die von mir ob ihrer Schönheit gefeierte, wenngleich ebenfalls überlange Produktion nach "Erniedigte und Beleidigte" am gleichen Ort. Was hat es mit den vielen Dostojewski-Adaptionen durch Castorf auf sich, und warum wird just dieser Autor in dieser Form - nach derart erheblichem Kraftaufwand - anstrengend und langweilig? Dostojewskis Prosa, Romane wie Erzählungen, sind vor allem auf russischen Bühnen seit Nemirowitsch-Dantschenko oft bearbeitet worden. Noch in den 80er Jahren konnte ich Ljubimows "Schuld und Sühne" an der Taganka und im Burgtheater sehen. Berühmte Theatermacher Europas wie der Tscheche Burian, der Pole Schiller, die Franzosen Baty, Camus und Copeau, die Italiener Alvaro und Fabbri, der Deutsche Ahlsen eigneten sich Dostojewskis Romane an, Komponisten wie Janácek und Prokowjew schrieben Opern, und auch "Der Idiot" kam auf die Bühne und in den Film, mit Gérard Philippe oder Innokenti Smoktunowski. Die antikapitalistische Generalabrechnung sowie die visionären Debatten über menschliche Grundfragen und Gegenentwürfe, seine Darstellungen unendlichen Leides und bizarrer Verflechtungen irdisch-menschlichen Seins gaben die Impulse zu immer Versuchen. So auch Castorfs Anliegen. Arbeit und Mühen wurden nicht gescheut. Man sieht und spürt sie. Da dampft und keucht es, da wird geschrieen und geackert, daß es nur so kracht, da wälzt man sich auf dem Trockenen und im Wasser - das Personal wird nicht geschont und schont sich nicht. Der Zuschauer merkt es, er wird darauf hingewiesen. Und da kommt der erste Verdacht auf. Daß Schauspielen schwere Arbeit ist, wissen wir. Vergessen aber auch nicht, daß es eine Kunst ist. Dem Zuschauer sollte es erspart bleiben, sich vorführen lassen zu müssen, wie schwer Kunst zu machen ist. Wenn er fünf bis sechs Stunden lang vorgehalten bekommt: Schau her, wie schwer wir arbeiten, dann ist das kein ästhetisches Vergnügen mehr. Im Gegenteil, es ermüdet, Gähnen und Langeweile breiten sich aus, auch der größte Lärm, der den Dahindämmernden immer wieder aufschreckt, kann das nicht verhindern. Aber es gibt noch mehr Grund, den riesigen Aufwand zu beklagen, der hier vertan wurde. Raum- und- Kostümgestalter Bert Neumann baute Bühne und Theatron völlig um. In die Mitte der Drehbühne stellte er ein nur über Leitern erreichbares Gerüst, darauf saßen wir, die Zuschauer. Das Theatron wird zur Szene, eine breite und weite Treppe führt hinauf zum Rang, einige Büdchen, Kioske, Läden markieren Straße, Seiten- und Hinterbühnen assoziieren Stadt: Häuserwände mit Fenstern, dunklen wie erleuchteten, mit Vorhängen und ohne, manchmal sieht man Lampen oder einen Schauspielerkopf. Dahinter agieren sie nun, die Mimen: Martin Wuttke (Fürst Myschkin), Bernhard Schütz (Rogoschin), Jeanette Spassova (Nastasja Filippowna), Sophie Rois (Jepantschina), Ulrich Voß, Joachim Tomaschewsky, Hendrik Arnst, Kurt Naumann, Herbert Fritsch, Alexander Scheer, Sir Henry (der auch Musik macht) und alle andern. Bisher nahm ich an, daß Fürst Myschkin die wichtigste Person der Geschichte ist und damit sein Darsteller auch die Hauptperson. Weit gefehlt: Der wichtigste Mann auf der Szene ist Kameramann Andreas Deinert (begleitet von Bildregisseur Jan Speckenbach). Deinert arbeitet ebenfalls schwer, mit der Handkamera, nur sieht man das nicht so. Sein Gefilmtes flimmert nun fast die gesamte Zeit des Spieles über etliche, meist kleinere Monitoren und wenige Bildwände, die überwiegend ziemlich hoch angebracht sind. Die Farben sind mehr oder weniger grell. Mit ständig hochgerecktem Kopf, allmählich eintretenden Kopfschmerzen wird das Zuschauen zur Qual. Das Ganze verkommt zu schlechtem Fernsehen - wie schade! Zu Hause im Sessel wäre es bequemer, auch Ausschalten wäre möglich. Hier konnte man nicht einmal gehen, man hätte sich garantiert in der Technik verheddert; hier war der Zuschauer (nicht nur der Kritiker, der in Pflicht und Ethos dableiben muß) ein Gefangener der Bühne. Das Schönste im Theater überhaupt, der Blickkontakt mit dem Schauspieler, die körperlich-räumliche Nähe sind hier auf ein Minimum reduziert. Einmal nur konnte sich Wutke entfalten, mit der Vase auf der Treppe - da fand Theater statt. Es kamen Visionen Dostojewskis her über, trotz Wuttkes Ironisierung der naiv-utopischen Sittlichkeit Myschkins. Castorfs Theater will politisch sein, nur merkt man es oft nicht. Aktualität, die aus Stoff und Text jederzeit zu lesen wäre, wird mit aufdringlicher Plattheit draufgedroschen, daß einem jeder Ernst, doch ebenso jeder Spaß verloren geht. Das Beste waren die originalen Sätze Dostojewskis.
Erschienen in Ossietzky 23/2002 |
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