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So beginnt die "szenische Collage", deren Gestalten auf der Suche sind nach der wahren Liebe. Aufgereiht geben die Darsteller ihre Texte ab ins Publikum. Tolles Tempo wird vorgelegt, witzig, beißend sind manche Repliken. Knapp wird über Mensch - Natur - Kultur philosophiert, dann geht die Post ab: Orgasmen, Schwanzlängen und -stärken, Inzest, Kindesmißbrauch, Sodomie, Sexmethoden extremster Art werden monologisch referiert. Hunde, erfahren wir, seien besonders eifrig, zu empfehlen sei aber auch Spaghetti um den Schwanz gewickelt und dann genußvoll abgelutscht. Ob "Transe" oder "Hete" wird eifrig beredet, zwischendrein wird gesungen, aufs Schlagzeug gehauen, rote Herzen regnen aus dem Himmel, begleitet von Cellomusik. Verschiedene Selbsttötungsmethoden und Selbstverstümmelungen werden vorgeführt, ein Junge masturbiert, eine Palme explodiert. Es hagelt absurde, groteske Details in Patchworkmanier über das staunende Publikum, Poesie und Blasphemie im trauten Stelldichein. Die Geschichte einer Familie wird erzählt. Eine Autopanne zwingt Vater, Sohn, Stiefmutter, in einer tristen Gegend innezuhalten. Stiefmutter verführt Stiefsohn, Vater erwischt sie, schießt erst das Weib in den Kopf, dann sich, Blut spritzt dekorativ gegen die Autoscheiben. Danach die Mitteilung, daß sie ihre Hinrichtungen überlebt haben. Mutter haust mit dem Stiefsohn, der Vater nebenan, in einer Wagenburg. Fazit: "Sex ist Ablenkung von der Wirklichkeit" und "Du kommst da nicht raus" (aus der Gesellschaft). Ja. Ach so. Autor Charles Mee bevorzugt für seine Theaterstücke die Collage-Technik. Regisseur und Bühnenbildnerin haben diese Idee weitergeführt. Die Schauspieler allesamt, namentlich Steffi Kühnert, auch Andreas Bisowski und Regine Zimmermann, setzen hervorragend um, was gefordert ist. Trotzdem. Ich mag die Worte nicht mehr sagen, die ich sagen müßte, um solche Theaterabende zu beschreiben. Fäkalien, Auswürfe, feuchte Öffnungen jeglicher Art - seit beinahe zehn Jahren! Was gibt es mir, mich immer wieder dem Ekel und der bodenlosen Verzweiflung auszusetzen? Das ist perfekt inszeniert, ja, professionell gespielt, jaja! Aber keine Bereicherung, kein Denkanstoß. Und Theater war doch mal wichtig. Wie haben wir Sinn und Doppelsinn jeden Wortes, jeder Wendung und Geste entgegengefiebert, versteckte Botschaften empfangen, entschlüsselt, umgesetzt. Theater war Lebenshilfe. Und jetzt? Wozu dies? * "Maria Stuart" nach Schiller im Deutschen Theater. Regie, erstmals an diesem Haus, führt Thomas Bischoff. Ein reizvoller, spannender Abend, die Dramaturgie ungewöhnlich, jedoch schlüssig. Zuerst besticht das phantastische Bühnenbild (Uta Kala). Es bedient das Konzept der Regie, ästhetisch von hohem Reiz. Blutrote Glaswände, rot gefliester Boden, den Bühnenraum zerteilt ein chwarzer, schmaler Abgrund, der Blutrinne assoziiert, Vergessen, Abgrund, das Nichts. Dieser Raum ist ein verführerisch schönes, zeichenhaftes Gefäß für das historisch-fiktive Geschehen: der Kampf zweier Frauen um Macht, Liebe, Leben. Gegenläufig zu Schillers Intention stellt der Regisseur Maria und Elisabeth von Anbeginn des Stückes bis zu seinem bitteren Ende leibhaftig auf die Szene. Kenner der dramatischen Vorgänge zwischen den streitenden Damen fürchteten einen Spannungsverlust. Schließlich zielte Schillers Dramaturgie auf den brisanten Moment hin, an dem die beiden Königinnen aufeinandertreffen, sich Auge in Auge gegenüberstehen, endlich, nach dem die eine (Elisabeth) die andere (Maria) schon 19 Jahre in Gewahrsam hält. Die pfiffige Erfindung des Herrn Schiller ist historisch nicht verbürgt, steigert jedoch zweifelsfrei die ohnehin hochdramatische Historie. Nun aber beide Protagonistinnen hundertfünfzig Minuten gemeinsam auf dem Bühnenquadrat - das ist noch explosiver, als Schiller es erdachte. Kopfbesetzt und existentiell voneinander durchdrungen sind die hohen Frauen ohnehin, warum das nicht optisch austragen. Ebenso sind alle anderen Figuren permanent zugegen. Hinter Türen, in den Räumen, an den Wänden. Jeder belauscht jeden. Jeder kennt die Gedanken und Planspiele des anderen. Das ist verblüffend, manchmal witzig, überzeugend auch. Und überraschende Konstellationen entstehen daraus. Da mustern die Frauen einander, eine möchte der anderen ihre Gedanken entreißen, sie niedersengen mit Blicken, dann wieder scheinen sie für Sekunden gleichberechtigt. Wie Schwestern. Mit Zuneigung füreinander. Verblüffende Pantomimen. Diese Erfindung des Regisseurs Bischoff, ausgeführt in dem grausam schönen Bühnenraum, in einer effektvollen Ton- und Musikkulisse - das alles zusammen ergibt ein prachtvolles Tableau für die Schauspieler, ihre Kunst zu zelebrieren. Aber - und nun muß ich leider meine große Enttäuschung über diesen Abend formulieren: Ich erlebe keine Kraft des Wortes, der Sprache. Spannungslos werden die Texte abgehaspelt, die Rezitationen sind matt, nichts von Schillers wunderbaren Vorgaben bündelt und steigert sich in den Schauspielern, nichts davon wird emotional erfahren oder erfahrbar gemacht. Ich sehe nicht, daß Maria "höhnt" oder Elisabeth "in den Staub tritt", sie "niederstößt". Nichts von alledem. Katharina Schmalenberg, die ich kürzlich bemerkenswert präsent in der "Cocktailparty" erlebte, ist nur der Schatten einer Maria Stuart, kein Widerpart für Elisabeth (Anika Mauer, die aber gleichfalls Möglichkeiten versäumt). Ingo Hülsmann deutet an, was in der Rolle des Leicester möglich ist. Michael Schweighöfer, Peter Pagel, Martin Brauer - ihnen fehlt es an zwingender Diktion, an lodernder oder gezügelter Emotion. Ist Thomas Bischoff ein kluger Stratege, der zwar führen, aber nicht motivieren kann? Absicht oder Ohnmacht? Fehlte vielleicht den Schauspielern Zeit, den Entwurf auszuführen? Die Antwort wüßte ich gern. Das Premierenpublikum applaudierte lange und matt, als wäre es wie ich mit dieser Denkaufgabe beschäftigt.
Erschienen in Ossietzky 23/2002 |
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