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Der Regisseur Manfred Wekwerth kennt die Qualitäten spielbarer Stücke aus praktischer Erfahrung, und bestimmt hat er genug mit selbstverliebten oder theaterunkundigen Bearbeitern oder Übersetzern kämpfen müssen. (Auch deshalb die eigene Shakespeare-Übersetzung für Inszenierungen von "Richard III." und "Troilos und Cressida".) Nun, da er Zeit hat, schreibt er nicht nur seine Erinnerungen, sondern auch die Stücke, die er schon immer gern inszenieren wollte. Laclos' "Gefährliche Liebschaften" und Hofmannsthals "Jedermann", bearbeitet und inszeniert von Manfred Wekwerth, waren überzeugende Talentbeweise. Nun Rojas' "Celestina". Die Inszenierung am Westdeutschen Tourneetheater in Schloß Burg an der Wupper war ein Ereignis, ein Erfolg - auch durch die meisterhafte Darstellung Renate Richters in der Titelrolle. Der etwa fünfundzwanzigjährige Fernando de Rojas schrieb zwischen 1492 und 1497 die Tragikomödie "Celestina" - so frech, daß er seinen Namen aus Angst vor dem Scheiterhaufen nur verschlüsselt nennen konnte. Aber es ist auch ein Stück seiner Zeit, ein Ungetüm aus 21 Akten, eher ein Roman in Dialog- und Monologform. Der junge Autor führt in allen Facetten vor, wie Menschen über Moral reden: neben der frechen Sentenz und der Lebensweisheit kleiner Gauner auch die Argumentation der Kirche und der alten Philosophen. Das ergibt ein Palaver mit argen Längen, angeblich geschrieben zur "Mahnung närrisch Verliebter, die im Bann zügelloser Lust die Person ihrer Liebe zum Gott erheben, desgleichen zur Warnung vor der Hinterlist der Kupplerinnen wie auch vor üblen und speichelleckerischen Dienern". Was damals vielleicht zum Schutz vor der Inquisition gedacht war, überfrachtet den Text. Rojas selber sagt: "Weitschweifigkeit langweilt den Zuhörer und schadet dem Sprecher." Das weiß auch Manfred Wekwerth, der "Celestina" erst zum spielbaren Stück machte. Und was für eins ist ihm da gelungen! Stellenweise derb, aber auch mit leisen Stellen, humorvoll, weise, frech. Wekwerth strich unbarmherzig und setzte gekonnt die Sentenz frei, mit der der Dialektiker Rojas, ein geistige Bruder Villons, brilliert. Aus einem Akt wurde ein Brief, andererseits erfand Werkwerth Szenen, strich Umwege, um fast alle Beteiligte strikt und damit bühnenwirksamer zu Tode zu bringen. Ein bißchen würzt er auch mit Heutigem. So bekommt das Stück Tempo und Rhythmus. Aus Diskurs wird Aktion, und auch Nebenfiguren erhalten Profil. Celestina ist Brechts Mutter Courage in vielem ähnlich, nur deftiger und mit einem noch größeren Reichtum an Verstellungskunst und Stimmungen. "Gaunerei ist die ehrlichste Art, sich der großen Gauner zu erwehren. Wenn du von den Wölfen nicht gefressen werden willst, mußt du mit ihnen heulen, wie sollen sie sonst Vertrauen zu dir haben. Vertrauen ist das halbe Leben. Du kannst jedem Menschen blindlings vertrauen, daß er keinem anderen über den Weg traut." So weiß sie um die Dinge des Lebens und verdient am Betrug - bis zum bitteren Ende, das ihr von einem ihrer gelehrigen Schüler bereitet wird. Eine Rolle, die jede große Schauspielerin reizen dürfte, denn hier sind alle Register zu ziehen. Während bei Rojas die schöne Melibea (die verkuppelt werden soll) eine ganz der Zeit verpflichtete Dame ist - und nach Willen des Autors und zeitgenössischer Meinung: wie alle Frauen wankelmütig, lügnerisch, hinterlistig, undankbar, kaltherzig, hochmütig -, läßt Wekwerth die sich zu ihrer Liebe Bekennende Kühnheiten aussprechen, die Shakespeares Julia erst ein Jahrhundert später zu sagen wagt. Ihr Vater dagegen, bei Rojas nur der Ahnungslose und dann Trauernde, ist bei Wekwerth ein der Standesmoral Verpflichteter und um den Lebenssinn Betrogener. Alles in allem wird aus Rojas' Lustspiel, das mit seinem tragischen Schluß nach Art der Moritaten vor Gaunerei warnt, zur höchst vergnüglichen Kritik an einer Welt, in der das Geld regiert und die kleinen Gauner die Kleinen bleiben. Übrigens: Wekwerth läßt das Stück 1499 spielen, kurze Zeit nach der Wiedervereinigung Spaniens. Seitdem, so hören wir von der Bühne, "blühen Handel und Wandel. Und die Inquisition. Sie sorgt dafür, daß alle alles glauben und daß man genug Böse findet, um sie dort hinzuschicken, wo sie hingehören: auf den Scheiterhaufen. Ja, wir leben in Gottes eigenem Land, und alle reden vom Aufschwung."
Erschienen in Ossietzky 23/2002 |
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