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Der verteidigte als glühender Vertreter der Ideale der linksrheinischen Jakobiner und Moderator des Republikanischen Clubs in Köln Aachener Arbeiter, die gegen unerträgliche Arbeitsbedingungen protestiert hatten. Jakob Venedey (1805-1871) trat in die Fußstapfen des Vaters und erwarb sich mit seiner Abhandlung "Assisen zu Köln über die Teilnehmer des am 30. 8. 1830 stattgehabten Aufruhrs" seine ersten juristischen Spuren. Als aktiver Teilnehmer am Hambacher Fest 1832 verhaftet floh er nach Paris, wo er den "Bund der Geächteten" mitgründete. Später gehörte er zu den Linken im Paulskirchen-Parlament. Sein Sohn Martin Venedey, also Hans Venedeys Vater, vertrat während fast 30 Jahren die Demokratische Partei im Badischen Landtag, wo er am 23. 7. 1914 ausrief: "Es ist Pflicht jedes ehrlichen Menschen... seine Stimme mit aller Entschiedenheit gegen gewissenlose Kriegshetzerei zu erheben, die in ... der reichsdeutschen Presse getrieben wird." Hans Venedey trat als Student, eingedenk der Rolle seines Großvaters Jakob in den Deutschen Burschenschaften, der "Alemania" in Freiburg bei. 1925 verlangte ein Konvent dieser Burschenschaft von ihm, sich dem Beschluß über die Unvereinbarkeit gleichzeitiger Mitgliedschaft im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold zu beugen. Er und sein Bruder Hermann legten Bänder und Mützen auf den Tisch mit der Erklärung, sich für Demokratie und Republik zu entscheiden. Nach dem Studium trat er als Sozius in die väterliche Anwaltspraxis ein. Als Vertreter der äußersten Linken der SPD gehörte Hans ab 1930 dem Konstanzer Stadtrat an. Als am 6. März 1933 auf dem Rathaus die Hakenkreuzfahne aufgezogen wurde, protestierte er am gleichen Tag mit einem Schreiben an den Oberbürgermeister: "Bei dieser nationalsozialistischen Parteifahne... handelt es sich um ein Kampfsymbol. Dieses Kampfsymbol richtet sich in schärfster Form gegen alle Staatsbürger, die der NSDAP nicht angehören, insbesondere aber gegen alle Republikaner, die in der Stadt Konstanz immerhin noch die Mehrheit bilden. In der Hissung der nationalsozialistschen Fahne liegt eine Herausforderung aller freiheitlich gesinnten Staatsbürger und eine Kränkung unserer jüdischen Mitbürger, da die Fahne das Zeichen des Antisemitismus, das Hakenkreuz, enthält." Die Reaktion darauf ließ nicht lange auf sich warten. Am 14. März 1933 wurde Hans in "Schutzhaft" genommen. Nach seiner Entlassung stand er unter Polizeiaufsicht. Im Juli 1933 erfuhr er von einer unmittelbar bevorstehenden erneuten Festnahme und entzog sich ihr durch Flucht in die Schweiz, später nach Frankreich. Ab 1936 lebte er in Paris, wo er als Sekretär der Commission consultative pour les Réfugiés provenant d´Allemagne arbeitete. Diese war dem französischen Innenministerium zugeordnet; sie beschäftigte sich mit den Angelegenheiten der deutschen Emigranten und vertrat deren Rechte. Außerdem war er für eine jüdische Hilfsorganisation tätig, die sich um Schiffspassagen für Flüchtlinge nach Südamerika oder auch nach Palästina bemühte. Er gehörte dem "Freundeskreis der Deutschen Emigration" und der "Föderation der Deutschen Sozialisten" an. Unmittelbar nach Kriegsausbruch wurde er interniert. Als der nördliche Teil Frankreichs besetzt wurde, floh er nach Lyon, wo er bis Oktober 1942 lebte. Wenige Tage vor der deutschen Besetzung Lyons gelang ihm mit Unterstützung eines bezahlten Fluchthelfers der Übertritt in die Schweiz, wo er sofort festgenommen und interniert wurde. In der Schweiz gehörte er der Gruppe "Freies Deutschland" an, in der auch der Theologe Karl Barth und der Theatermann Wolfgang Langhoff, Autor des "Moorsoldaten"-Liedes, mitwirkten. Im August 1945 kehrte Hans Venedey nach Deutschland zurück und wurde von der US-Militärregierung zum hessischen Innenminister ernannt. Er beteiligte sich an Vorarbeiten für die hessische Verfassung und am Aufbau der Verwaltung. Schon in der Emigration hatte er intensive Kontakte mit Kommunisten gehabt. Im Widerspruch zur Politik des Londoner SPD-Vorstands postulierte er nun die Einheit der Arbeiterparteien als eine geschichtliche Notwendigkeit, wie es damals in Frankfurt am Main und anderen hessischen Orten viele Sozialdemokraten taten (worüber die vorherrschende Geschichtsschreibung schweigt). Gemeinsam mit dem kommunistischen Arbeitsminister Oskar Müller hob er diese Forderung von der Basis auf eine höhere, die Landesebene. Aber schon hatte eine Kampagne mit dem Ziel eingesetzt, ihn aus der SPD auszuschließen. Mit welchen Mitteln da gearbeitet wurde, zeigt ein Brief Kurt Schumachers an den damaligen Chef der US-Militärregierung, General Lucius Clay: "Der gegenwärtige Innenminister von Groß-Hessen, Herr Venedey, ist... für die Kommunisten und ihre Einheitspartei tätig... Wir sehen einen Feind in ihm." Deutsche Schicksale: Der Urgroßvater Michael zieht sich nach der Inthronisierung Napoleons 1805 enttäuscht aus der Politik zurück, der Großvater Jakob nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49, der Vater Martin nach dem Scheitern der Hoffnungen auf einen Neubeginn 1919 und so auch Hans schon im Sommer 1946. Er kehrt in seine Heimatstadt Konstanz zurück, arbeitet als Strafverteidiger und verzehrt sich in der Enttäuschung ob der Adenauerschen Restauration. Er stirbt 1969. Der Autor ist Stadtratsmitglied in Konstanz, gewählt auf der Liste der PDS.
Erschienen in Ossietzky 23/2002 |
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