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Beim Einschlag der ersten ferngelenkten Rakete liefen die nächtlichen Kurznachrichten. Bevor das Bild auf den Fernsehschirmen im ganzen Land zusammenbrach, sah man gerade noch, wie ein Beleuchtungsreflektor auf den Moderator stürzte. Eine knappe Stunde danach strahlten kleinere Belgrader Fernsehstationen die schrecklichen Bilder der rauchenden Ruinen und der dort liegenden zerquetschten Leichen aus. Viele Körperteile waren hinter dem Gebäude in dem kleinen Tasmajdan-Park verstreut, einige fanden sich hoch auf dem Dach einer benachbarten Kirche. So dauerte es einige Tage, bis die Opfer identifiziert waren. Von zwei Mitarbeitern konnten keine Überreste gefunden werden. Insgesamt verloren 16 Menschen ihr Leben. Es handelte sich um keinen "Kollateralschaden", sondern um einen gezielten Angriff. Der heute als leidenschaftlicher Vorkämpfer gegen den internationalen Terrorismus bekannte britische Premier Tony Blair rechtfertigte ihn tags darauf mit den Worten, daß das serbische Fernsehen Milosevic an der Macht halte "und wir als NATO-Verbündete vollständig im Recht sind, solche Ziele zu zerstören". Im gleichen Sinne äußerte sich der damalige US-Präsident Bill Clinton, und der NATO-Oberbefehlshaber in Europa, Wesley Clark, bezeugte, daß die Entscheidung zum Raketenschlag auf höchster politischer Ebene gefällt worden war: "Als wir schossen, wußten wir, daß es auch andere Wege gab, um das serbische Fernsehen zu vernichten. Wir aber waren der Meinung, daß das ein guter Zug ist, und die politische Führung stimmte dem zu." Auch diese Erklärungen bestätigten: Der Angriff auf die RTS-Zentrale war eines der vielen vorsätzlichen Kriegsverbrechen in einem verbrecherischen Krieg. Mehr als drei Jahre danach fand es in der jugoslawischen Hauptstadt sein gerichtliches Nachspiel. Doch ebenso wie in Den Haag, wo die Aggressoren über die Angegriffenen richten, saßen in Belgrad nicht die Verantwortlichen für den 16fachen Mord und die Zerstörung der Fernsehstation auf der Anklagebank, sondern eines der potentiellen Opfer, der damalige RTS-Generaldirektor Dragoljub Milanovic. Verhaftet worden war er am 13. Februar 2001, kurz nach einem Besuch der Haager Chefanklägerin Carla del Ponte in Belgrad und einem Gespräch mit dem serbischen Premier Zoran Djindjic. Eineinhalb Jahre später wurde der RTS-Chef zu zehn Jahren Haft verurteilt, da er - so die Urteilsbegründung - das Personal und die Technik trotz der Bedrohung von oben nicht in Reserveräume umquartiert habe, "obwohl er sich der möglichen schweren Folgen eines solchen Verhaltens bewußt" gewesen sei. Eine bemerkenswerte Begründung. Er hätte also annehmen sollen, daß die NATO-Strategen, glühende Verfechter der Presse- und Informationsfreiheit, so weit gehen würden, in einem unerklärten Krieg ein Rundfunk- und Fernsehstudio während des laufenden Sendebetriebes ohne Vorwarnung mit tödlichen Geschossen anzugreifen. Zunächst hatten einige NATO-Vertreter und ihre Belgrader Herzensfreunde das Gerücht in die Welt gesetzt, die Angreifer hätten ihre Tat rechtzeitig angekündigt, aber Milosevic sowie sein treuer Diener Milanovic hätten die RTS-Mitarbeiter absichtlich nicht davon unterrichtet, um die Empörung gegen die NATO zu schüren. Carla del Ponte behauptete gar, der Angriff sei "im voraus amtlich mitgeteilt" (notified in advance) worden. Deutsche Zeitungen, so die Frankfurter Allgemeine, verbreiteten die Falschmeldung, daß es sich bei den Opfern "ausschließlich um Techniker und Sicherheitskräfte handelte, nicht aber um zuverlässige Journalisten, die vorgewarnt waren". Diese und andere Lügen zielten darauf ab, nicht nur den RTS-Generaldirektor, sondern auch den Haager Angeklagten zusätzlich zu diskreditieren und zu belasten. Allerdings erwiesen sich diese Anschuldigungen als nicht haltbar. Nicht einmal die NATO sah sich in der Lage, Carla del Pontes Behauptung zu bestätigen. Und die Tatsache, daß sich der angeklagte Direktor Milanovic zum Zeitpunkt des Angriffs im Fernsehgebäude aufhielt, sprach auch nicht gerade für die Vorwarnungsmär. So blieb den Belgrader Richtern nur der Ausweg, den ehemaligen Rundfunk- und Fernsehchef wegen angeblicher Mißachtung allgemeiner Evakuierungsbestimmungen und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, wegen bewußten Verschweigens einer angeblichen Vorwarnung zu verurteilen. Gleichviel, Djindjic konnte Vollzug melden: Seine Justiz bestrafte eines der NATO-Opfer, die wahren Verbrecher und Mörder wurden dadurch weißgewaschen. Der Krieg gegen Jugoslawien und der juristische Nachkrieg sind, wie Ossietzky-Leser wissen, bis heute von einer endlosen Kette von Desinformationen, Fälschungen und Lügen begleitet. Die Verkehrung von Tatsachen in ihr Gegenteil, die Verdrehung aller Rechts- und Moralnormen im Falle der Verhaftung und Verurteilung des ehemaligen Generaldirektors von Radio Televizija Srbije gehören dazu. In Jugoslawien wirkt eine solche Justiz im Dienste der Sieger tief demütigend. In Deutschland haben die tonangebenden Medien - weit entfernt von Solidarität mit serbischen Kollegen - das Belgrader Schandurteil wohlweislich nur mit wenigen nichtssagenden Zeilen oder gar nicht gemeldet. Noch ist das Urteil gegen Dragoljub Milanovic nicht rechtskräftig. Die endgültige Entscheidung liegt beim Obersten Gericht Serbiens. Unter den gegenwärtigen Machtverhältnissen in Belgrad besteht allerdings wenig Anlaß zur Hoffnung, daß die Haftstrafe aufgehoben wird, zumal die Belgrader Bezirksstaatsanwaltschaft das höchste rechtsprechende Organ Serbiens aufgefordert hat, das Strafmaß zu erhöhen.
Erschienen in Ossietzky 23/2002 |
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