Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Sterbende Kinder in BasraMitte September reiste die Wiener Radioonkologin Eva-Maria Hobiger mit drei anderen Mitarbeitern des Projekts "Aladins Wunderlampe - Hilfe für krebskranke Kinder in Basra" in den Irak. Sie berichtete darüber Anfang November auf der Berliner Konferenz "Der Irak - Alternativen zu Embargo und Krieg", an der u. a. auch Ulrich Gottstein (IPPNW), Barbara Lochbihler, Generalsekretärin des deutschen Zweiges von amnesty international, Scott Ritter, ehemaliger US-amerikanischer Waffeninspekteur im Irak, Hans Graf von Sponeck, ehemaliger UN-Koordinator im Irak, und verschiedene irakische Sprecher teilnahmen; die deutschen Medien, mit wenigen Ausnahmen, boykottierten die Konferenz. Neun Monate waren vergangen, seitdem wir beim UN-Sanktionenkomitee in New York um eine Genehmigung angesucht hatten, medizinische Hilfsgüter für das Mutter-Kind-Spital und die Blutbank nach Basra bringen zu dürfen. Anstelle der Genehmigung hatten wir im Mai die Nachricht erhalten, daß die US-amerikanische Vertretung im Sanktionenkomitee Einspruch gegen die wichtigsten Bestandteile des Projekts, nämlich die Spezialzentrifugen, die Separatoren, den Plasmagefrierschrank, einen Spezialkühlschrank zur Aufbewahrung von Blutkonserven und einige Infusomaten erhoben hatte. Man könne eine militärische Nutzung nicht ausschließen, lautete die Begründung. Nachdem sich dann die UN-Waffeninspektoren mit unseren Geräten befaßt hatten, bekamen wir Ende Mai die Bestätigung, keines unserer medizinischen Güter sei militärisch nutzbar - was von vornherein klar gewesen war. Hans von Sponeck, der ehemalige UN-Koordinator in Bagdad, engagierte sich anläßlich einer Amerikareise für unser Projekt. Einer unserer Mitarbeiter flog im Juni selbst nach New York, um mit dem Irak-Büro der UN und der US-amerikanischen Vertretung direkt zu verhandeln. Mit dem Büro des UN-Koordinators in Bagdad wurde ein Übereinkommen getroffen, daß dessen Mitarbeiter unsere Geräte, sobald sie installiert wären, regelmäßig auf zweckentsprechende Verwendung hin überprüfen und Berichte nach New York schicken würden; der Irak erteilte die Genehmigung zu diesen Kontrollen. Wir selber verpflichteten uns, zweimal jährlich nach Basra zu reisen, um ebenfalls dem Sanktionenkomitee über den ordnungsgemäßen Gebrauch der Geräte zu berichten. All diese Bemühungen blieben erfolglos. Unser Projekt ist weiterhin durch den Einspruch des US-Außenministeriums blockiert. Krebskranke Kinder sind die Opfer des fortdauernden Embargos. Feindbilder sind gefährlich, sie sind tödlich. Feindbilder setzen alle Gesetze der Humanität außer Kraft. Feinden gegenüber ist jedes Mittel recht. Selbst krebskranken Kindern, die zu den wehrlosesten Geschöpfen der Erde zählen, werden lebensrettende Maßnahmen verweigert, weil sie Kinder des Feindes sind, geboren in einem "Schurkenstaat". Gegenwärtig vergeht kein Tag, an dem nicht über die politischen Aspekte eines neuen Krieges gegen den Irak diskutiert wird. Worüber nicht diskutiert wird: Was würde der Krieg für die irakische Zivilbevölkerung bedeuten? Das war eine der Fragen, der wir auf unserer elftägigen Reise nachgehen wollten. Nur sehr spärlich finden sich in unseren Medien Berichte darüber, was der irakisch-iranische Krieg und der amerikanisch-irakische Krieg und die folgenden zwölf Jahre Wirtschaftsembargo diesem Volk angetan haben. Das Elend eines 23-Millionen-Volkes bleibt weitgehend unbeachtet. Wir stellten fest: Es mangelt an allen Medikamenten, die teuer sind, und als teuer gilt hier bereits eine Behandlung, die mehr als zehn Dollar kostet. Nicht verwunderlich bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von weniger als fünf Dollar. In den achtziger Jahren betrug der Gegenwert eines Dollars 3,3 irakische Dinar, heute bekommt man für einen Dollar 2000 Dinar. Ein Einkommen, das früher ein Leben in Wohlstand ermöglichte, sichert heute auf Grund der astronomischen Inflation kaum mehr das Überleben. Der Irak rangiert unter den fünf ärmsten Ländern der Erde. Auf der Strecke bleiben vor allem chronisch Kranke, Alte und Kinder. Kinder, die wegen der qualitativ schlecht zusammengesetzten Nahrung nicht genug Abwehrkräfte haben. Kinder, die wegen der schlechten Trinkwasserqualität an chronischem Durchfall leiden. Kinder, die an Krebs erkranken. Von acht irakischen Kindern stirbt eins schon vor Vollendung des fünften Lebensjahrs. Der Irak hat heute die höchste Kindersterblichkeitsrate der Welt; seit 1990 hat sie sich um 160 Prozent erhöht. Der Irak dürfte auch die höchste Krebsrate unter Kindern haben. Und außerordentlich hoch ist namentlich in Basra die Rate an Mißbildungen bei Neugeborenen. Frauen in Basra haben Angst davor, schwanger zu werden. Während die irakischen Ärzte auf Grund ihrer Erhebungen davon überzeugt sind, daß daran die US-amerikanische Uranmunition schuld ist, die im Golfkrieg gerade in der Region Basra massenhaft eingesetzt wurde, meine ich, daß endgültige Klarheit nur durch eine Langzeituntersuchung der Weltgesundheitsorganisation geschaffen werden kann. Viele Indizien sprechen für das abgereicherte Uran als Ursache, es fehlt aber zum Beispiel an Möglichkeiten, Chromosomen-Veränderungen festzustellen und die Ausscheidung von Uran zu dokumentieren. So können die Wissenschaftler einander noch lange widersprechen - derweil die Kinder in Basra sterben. Infektionskrankheiten, die als ausgerottet galten, fordern unzählige Menschenleben. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: An Kala Azar, einer Tropenerkrankung, die in den Elendsgebieten dieser Welt endemisch ist, sind tausende irakische Kinder erkrankt. Kala Azar wird durch Parasiten ausgelöst und durch Sandfliegen übertragen. Früher wurden im Irak radikale Mückenbekämpfungs-programme durchgeführt, die aber jetzt wegen der zerstörten Infrastruktur und des Mangels an Insektiziden nicht mehr möglich sind. Opfer dieser Krankheit sind zumeist Säuglinge und Kleinkinder, deren Immunsystem durch Mangel ernährung und schlechte Hygiene geschwächt ist. So sicher wie Erkrankte ohne Behandlung innerhalb weniger Monate sterben, genau so sicher ist die Behandlung mit dem entsprechenden Medikament: Pentostam. Kala Azar kann damit in allen Fällen geheilt werden. Die erfolgreiche Behandlung kostet pro Kind durchschnittlich 14 Dollar. Nach Aussagen aller irakischen Kinderärzte, die ich getroffen habe, ist das Medikament im Irak nicht verfügbar. Wir haben gemeinsam mit einem irakischen Arzt versucht, es auf dem Schwarzmarkt aufzutreiben, und sind gescheitert. Das Leben eines irakischen Kindes ist keine 14 Dollar wert. Die Frühgeburtenrate ist hoch, viel höher als früher. Die frühgeborenen Babies ringen um Luft, bei jedem Atemzug zieht sich ihr Brustkorb tief ein. Die Lunge ist nicht ausgereift. Sie sollten an einen Respirator angeschlossen, also künstlich beatmet werden, aber im Kinderspital der Universität gibt es nur ein derartiges Gerät, und das Medikament, das ihre Lunge reifen lassen könnte, ist auch nicht vorhanden, weil zu teuer. Also sterben die meisten Frühgeborenen. Behandlungsmöglichkeiten für leukämie- und krebskranke Kinder sind spärlich. Von den erforderlichen sieben Medikamenten für die Chemotherapie fehlen die meisten und die wichtigsten - die teuersten. Keines der leukämiekranken Kinder kann unter diesen Umständen geheilt werden. In einem Krankenzimmer streckt uns eine Mutter ihr unterernährtes Kind entgegen mit der Bitte, es nach Europa mitzunehmen, denn dort würde es sicher überleben. Wie groß muß die Verzweiflung dieser Mutter sein - in einer muslimischen Gesellschaft, in der Kinder den höchsten Wert darstellen. Bei jeder Gelegenheit wird man auf Medikamente angesprochen: an der Grenze, im Hotel, auf der Straße. Menschen zeigen ein Stück Papier, auf dem ihre ganze Hoffnung steht, ihre Hoffnung auf Gesundheit, auf Überleben. Ein Krebskranker zeigt mir das Rezept des behandelnden Arztes: Taxol soll er nehmen. Aber Taxol ist im Irak nicht verfügbar. Im Irak Arzt zu sein, ist keine leichte Aufgabe: Man stehe mit leeren Händen vor den Patienten, sagt Dr. Azaad im Mutter-Kind-Spital in Basra, und doch müsse man seine Arbeit machen, so gut es eben gehe. Basra, die Millionenstadt am Schatt-el-Arab, 560 Kilometer südöstlich von Bagdad gelegen, das einstige "Venedig des Ostens", ist zu einem einzigen Slum verkommen. Wir sind mit dem Flugzeug von Bagdad gekommen, durch die Flugverbotszone, die ohne UN-Mandat von den USA und Großbritannien verhängt wurde. Der Anblick schockiert: Häuserruinen, wohin man sieht, mangelnde Abwasserentsorgung - das Embargo hat der Stadt die Möglichkeit genommen, sich von zwei Kriegen zu erholen. Ihren einstigen Reichtum kann man noch an einzelnen Häuserfassaden oder Innenhöfen erahnen. Frauen und Kinder betteln in den Straßen, Männer durchsuchen Abfallhaufen nach Eßbarem. Die Trinkwassersituation ist mehr als kritisch. Alle Kläranlagen wurden im Krieg zerstört, ihre Wiederinstandsetzung scheiterte bis jetzt an Materialmangel. Man hat vielen, die sich für die irakische Zivilbevölkerung einsetzen, vorgeworfen, sie seien nützlich für das irakische Regime. Denis Halliday und Hans von Sponeck, den früheren UN-Koordinatoren in Bagdad, die beide als Ausdruck des Protestes gegen die Sanktionen von ihren Posten zurücktraten, erging es so. Vielleicht wird man es auch uns vorwerfen. Wir werden es aushalten, denn wir wissen, für wen wir uns engagieren. Wird man auch dem katholischen Erzbischof von Basra, Gabriel Kassab, vorwerfen, Propaganda des irakischen Re gimes zu verbreiten? Er klagt: "Das Embargo hat das Leben der ganzen Stadt paralysiert... Unser Leben ist unerträglich geworden, unwürdig und ungerecht für irgendein menschliches Wesen auf dieser Erde." Der Bischof führt uns zu der ehemaligen Kathedrale, die im Iran-Irak-Krieg von einer Bombe getroffen und 1991 im zweiten Golfkrieg weiter zerstört wurde. Vor zwei Jahren stürzte das Dach ein. Arbeiter sind mit primitivsten Hilfsmitteln am Wiederaufbau der Kirche beschäftigt, Hammer und Meißel ersetzen den Preßluftbohrer. Hinter der Kirche wurden Notquartiere für Obdachlose eingerichtet, in einem davon ist vor kurzem ebenfalls das Dach eingestürzt. Als wir den Erzbischof mit unserem Auto zu seinem Büro zurückbringen, sagt er: "Wir hier in Basra schwimmen auf einem riesigen unterirdischen See von Erdöl, wir leben in der reichsten Region des Irak, aber diesen Reichtum zu nutzen, bleibt uns verwehrt." Er gibt uns eine Botschaft mit, einen "Appell an alle Menschen guten Willens, ihre Stimme zu erheben, damit dieses menschenunwürdige Embargo von uns genommen wird, damit uns nicht neuerlich ein Krieg trifft, damit uns endlich wieder erlaubt wird, das zu erhalten, was wir für das tägliche Leben und Überleben brauchen". Ob der Irak Massenvernichtungswaffen besitzt, vermag ich nicht zu beantworten. Die Geheimdienste dieser Welt aber kennen die Antwort wohl genau. Einige Tage vor unserer Reise war ein Satellitenfoto der ehemaligen Nuklearanlage Tuwaitha unweit von Bagdad veröffentlicht worden. Angeblich hatte man dort vermehrte Bautätigkeiten festgestellt, die auf eine nukleare Aufrüstung schließen ließen. Wir nutzten das Angebot, diese Anlage zu besuchen, gemeinsam mit fünf westlichen Fernsehteams. Außer zerstörten Reaktoren sah ich tatsächlich Bauarbeiten, jedoch nicht an Reaktoren, sondern an Häusern, die wir betreten konnten. Im Frühsommer hatte es ähnliche Behauptungen westlicher Geheimdienste gegeben: In den ehemaligen Produktionsstätten in Al Dora und Fallujah würden biologische Waffen produziert. Hans von Sponeck besuchte diese Stätten und fand sie im gleichen Zustand vor, wie sie von den UN-Waffeninspektoren zerstört worden waren. Mag sein, daß der Irak Massenvernichtungswaffen besitzt, aber an den drei Stätten, von denen behauptet wurde, daß sie dort produziert würden, ist nichts davon zu finden. Mit Desinformation wird versucht, den weltweiten Widerstand gegen einen Krieg zu brechen. Darf ein Krieg auf Verdacht hin geführt werden? Während unseres Aufenthalts in Irak gab in New York der irakische Außenminister bekannt, sein Land werde der Rückkehr der UN-Waffeninspektoren zustimmen. Dieser Schritt war längst fällig. Wir atmen auf. Aber auf der Heimreise sehen wir auf dem Flughafen in Amman im Fernsehen mit Entsetzen den Fortgang der US-amerikanischen Kriegsvorbereitungen. Daß es in Wahrheit nicht um irakische Massenvernichtungswaffen, sondern um irakisches Erdöl geht, wissen wir. Trotzdem hatten wir gehofft... Mehr als bei unseren früheren Reisen in den Irak hat sich uns diesmal ein Bild der Resignation, der Hoffnungslosigkeit, ja der Lähmung der irakischen Bevölkerung eingeprägt. Selbst die Bedrohung durch einen neuen Krieg läßt die Menschen regungslos. "Sollen sie kommen, wir haben nichts mehr zu verlieren." Zwei Kriege, das repressive irakische Regime und zwölf Jahre eines unmenschlichen Embargos, das ausschließlich die Zivilbevölkerung trifft, haben das Leben auf einen winzigen Funken reduziert, das Überleben heißt. Die großen Hilfsorganisationen warnen: Im Falle eines neuen Krieges würde das Lebensmittelversorgungsprogramm binnen weniger Tage zusammenbrechen. Wegen der ohnehin schwer angeschlagenen Infrastruktur und der schwierigen Transportbedingungen wäre eine landesweite Hungersnot unausweichlich. Werden die USA den Sieg über diese Menschen dann mit einer großen Parade feiern, mit Flaggen und Konfetti? Auf jeden Fall wäre dieser Sieg ein Sieg, dessen man sich schämen müßte. Spenden für die Aktion "Aladins Wunderlampe - Hilfe für krebskranke Kinder in Basra", die jetzt auch dazu helfen sollen, Pentostam zur Behandlung von Kala Azar bereitzustellen, wofür die Vereinten Nationen Ende August die Erlaubnis erteilt haben, werden erbeten auf das Konto 0055-52880/03 "Kinder im Irak" bei der Bank Austria Creditanstalt, Wien, Bankleitzahl 12000.
Erschienen in Ossietzky 23/2002 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |