Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Die KZ-Ärztin lädt zum Mahlvon Monika Köhler Ein Koffer öffnet sich. Der Inhalt: Sand. Daraus windet sich ein Menschlein, steigt wie aus einem Grab ans Licht. Schüttelt den Sand ab mit langen Knochenfingern - der Tod, oder einer, der nicht sterben kann. Ein Mensch läuft im Kreis, immer den weißen Tuchfetzen entlang, und erzählt. Erzählt von Anschel Wassermann, der starb, der nicht starb, der erzählte um sein Leben - wie Scheherezade. Der sterben wollte im KZ, der um einen Kopfschuß bat. Die Knochenmarionette wird in den Himmel gezogen, hängt über der Bühne wie ein trauriger Engel ohne Flügel. Ich sitze im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses, es ist 11 Uhr vormittags. Mit im Theater viele Schüler. Wir sehen ein Stück, das ausgewählt wurde für das 5. Festival "Politik im Freien Theater": "Kinder der Bestie" nach dem Roman "Stichwort Liebe" des israelischen Autors David Grossmann. Stück und Inszenierung entstanden in Zusammenarbeit des Teatron Theaters (Arnsberg/Jerusalem) und des figuren theater tübingen, beide 1991 gegründet. Auf der Bühne agieren nur zwei Personen, der israelische Schauspieler Yehuda Almagor und der deutsche Frank Soehnle, der irreale Wesen aus dem Nichts weißer Tücher entstehen lässt. Es geht um die Nachgeborenen und um das Schweigen - die verstummten Opfer. Warum wohl zieht der Vater "ein lebendes Kind" einem "liebenden" vor? Der neunjährige Momik versucht, hinter das Geheimnis der Erwachsenen, der Überlebenden zu kommen, fragt, führt ein Tagebuch, auf dem "Heimatkunde" steht. Momik ist real, ist Yehuda Almagor und gleichzeitig eine kleine gewitzt neugierige Marionette. Der Großvater Anschel, verschollen und wieder aufgetaucht, spricht von der "Nazi-Bestie". Ein Tier also? Momik, älter geworden, sucht immer noch, nun als Autor, die Vergangenheit und die Motive der "Bestie" zu ergründen. Yehuda Almagor verwandelt sich ununterbrochen, von Momik, dem Kind, das nicht versteht, in den Großvater, in den Lagerkommandanten, der Geschichten hören will, um sich besser zu fühlen. Zeiten werden übersprungen, Perspektiven gewechselt. Hebräische Worte überziehen als Lichtzeichen die Bühne. Das Erzählen, ganz locker, gemütlich fast und doch bitter. Die Musik, mal nur Geräusch, mal Liedfetzen, mal tropfendes Wasser, mal Atmen - und das Zuklappen des Koffers, schmerzhaft. Yehuda Almagor zaubert mit Worten, und wenn er schweigt, sprechen die aus zartem Stoff geformten Menschen, wortlos. Gestorbene, die ihr ungelebtes Leben träumen. Ein altes Paar - Paula ist schwanger mit siebzig, im fiktiven Raum des Erinnerns scheint alles möglich, auch Zärtlichkeit, die Aschehaut wird lebendig. Der Kommandant, dargestellt durch die künstlichen Hände auf dem Tisch - nicht er ist der Mörder, nur die Hände? Doch er ist aus Fleisch und Blut, trägt schwarze Stiefel oder Sandalen wie du und ich. Momik lernt, was die Bestie ist, das, was in jedem stecken kann. Nach der Vorstellung Diskussion. Auch die Schüler machten mit. Am nächsten Abend wird auf Kampnagel zum "Nachtmahl" geladen, zum festlichen Essen an der langen kreuzförmigen Tafel unter Kronleuchtern. Keine Schüler hier (Eintritt: 25 Euro), sondern Damen und Herren, gutsituiert, die ein Event erwarten und dankbar lachen über kleine Späßchen auf der Bühne vorn. Die vier Hauptdarstellerinnen sitzen mitten unter den Gästen, feiern ihr Fest des Ruderclubs, erinnerungsselig. Die Kellner tischen auf, die Vorspeise, die Suppe, Serviermädchen helfen. Es wird Wein getrunken, gesungen, alte Schlager, Volkslieder, begleitet vom Mann am Klavier. Alte Fotos werden herumgereicht, diese kleinen, mit zackigem Rand. Die vier Freundinnen, festlich gekleidet und gestimmt, überdreht, plaudern über ihr Leben. Da ist Irmtraut, rothaarig, attraktiv - daß sie Frau eines KZ-Kommandanten ist, erfahren wir so nebenbei. Christel, im Minirock, die Laute, Unfeine, die sich rechtfertigt, wie alle, die denunziert. Die Ärztin Hermine, um Verständnis heischend, distinguiert, im hellen Schneider-Kostüm, praktizierte sie noch? Tritt ein für den "schönen Tod", die Euthanasie. Und Lydia, einen glänzenden Turban um den Kopf geschlungen, ihr Gatte selig war SS-Diplomat. Sie ist nicht untätig, heute arbeitet sie für die "Stille Hilfe". Längst ist Gewalt eingesickert, die Feststimmung umgeschlagen. Auch die Kellner parieren nicht mehr aufs Wort, Irmtraut muß sie zur Ordnung rufen, gebieterisch, schreiend. Die Hektik lässt Teller scheppern, den Hauptgang zu Boden fallen, unästhetisch. Ein merkwürdiger ungebetener Gast bewegt sich störend im Raum, gekleidet wie ein Schamane, ruft er, singt irgendwas, oder betet er? Klettert auf den Tisch, behindert meine Nachbarn zur Linken beim Fleischgang - das ist zu viel - und tanzt schließlich nackt auf der Bühne. Vorher hatte er heimlich Fotos neben die Teller gelegt, Fotos von prügelnden Polizisten oder Leichen im KZ, dazu einen Zettel: "Gott hat mir keinen ständigen Wohnsitz gegeben. Ich bin blind, taubstumm und geistig gestört. Geben Sie, was es Ihnen wert ist." Einer, der stört, verstört, soll raus aus der Fest-Gesellschaft. Die Gespräche, seltsam bekannt. Die Bediensteten verwandeln sich, streifen weiße Hemdchen über, Anstaltskittel, werden Kinder, Reichsausschußkinder, in die Heilanstalt gesperrt, ruhig gestellt. "Ich habe immerhin von Kohlenmonoxyd auf Luminal umgestellt", verrät die Ärztin den Gästen. "Die Eltern waren froh. Es war damals so, und es ist heute genauso." Hermine spricht als Medizinerin alle an. Die Privatgespräche sind verstummt. Beklemmung legt sich über das Diner. Der schwarze Vorhang fällt. Der Schamane ohne Wohnsitz sammelt ein, die Reste, im blauen Müllsack. Die Gäste gehen - oder reden mit den Mitwirkenden, sie waren es selbst. "Nachtmahl", ein Stück von Eva Diamantstein (die auch Regie führte) nach den Biographien von realen Täterinnen.
Erschienen in Ossietzky 22/2002 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |