Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Der vergessene Bernt EngelmannPeter-Jürgen Boock, von gutwilligen Ex-Politikern umgeben, berichtete im Fernsehen, der 1977 entführte und von ihm zeitweise bewachte Hanns-Martin Schleyer habe allen imponiert, sei der Gruppe und ihm selbst in Argumenten und Gesprächen haushoch überlegen gewesen. Kein Unmensch also. Ein Unmensch jedoch, wer da nicht Mitgefühl zeigt. Boock erklärt sich zum x. Mal für mitschuldig am Schleyer-Mord, auch wenn er am Tag, da der Entführte erschossen wurde, nicht im Lande war. Boock hat ein Buch darüber geschrieben: "Die Entführung und Ermordung des Hanns-Martin Schleyer". Es ist nicht seine erste Publikation zu diesem Thema. Ich werde sie nicht lesen. Mir hängen alle diese Werke und Vernebelungsgespräche zum Halse heraus. Genauso wie die übriggebliebenen als Bonner Politiker verkleideten Wehrmachtsoffiziere. Erst suchten sie die Welt zu erobern, dann verteidigten sie die Freiheit gegen ihre nicht weniger schießwütigen Töchter und Söhne, die sich selbst Schießbefehle gaben, während ihre Väter nur gehorsam dem Schießbefehl ihres Führers gefolgt waren. Krieger unter sich. Was berechtigt die Waffennarren, von uns zu verlangen, daß wir die einen Schützen achten und die anderen verachten sollen? Wer zum Schwert greift, soll durch das Schwert umkommen. Diese Welt hängt voller Waffen wie der Himmel voller Geigen. Wer damit nicht Schluß macht und erklärt: Du sollst nicht töten - und ich auch nicht!, gehört weiter zur Waffenlobby der militärisch-industriellen Gangs. Bei all den RAF-Opfer-Gedenkveranstaltungen fehlte ausdrücklich der Name Bernt Engelmann. Der Bestsellerautor, der als Judenretter im KZ gequält worden war, wußte über Schleyer mitzuteilen, was heute kollektivem Gedächtnisverlust anheimfällt: Der 26jährige SS-Hauptsturmführer Schleyer hatte ab 1941 im Auftrag des SD-Chefs Reinhard Heydrich das Präsidialbüro des "Zentralverbandes der Industrie für Böhmen und Mähren" in Prag geleitet. Engelmann schrieb darüber 1974 in seinem Dokumentarroman "Großes Bundesverdienstkreuz". Schleyer, vom stern befragt, weshalb er dazu schweige: "Warum sollte ich klagen? Es stimmt ja alles." 1987 teilte Engelmann mit, Schleyer habe ihm im Gespräch eingestanden, "ein SS-Haudegen ... auch der letzte Kampfkommandant von Prag" gewesen zu sein. Engelmann schloß daraus konkret und detailliert auf Kriegsverbrechen. Wie auch immer - weder die führende Rolle des SS- und Industrienazis Schleyer noch seine mögliche Teilhabe an Massakern in Prag können und dürfen den Mord an ihm exkulpieren. Ich stelle mir nur vor, statt des ständig seine Schuld abstotternden Peter-Jürgen Boock diskutierte Bernt Engelmann mit Hanns-Martin Schleyer. Zwei Tote im Dialog. TV-Dramaturgie macht's möglich. Das walte Kafka. Ob Schleyer so offen wie Boock mit seiner dunklen Vergangenheit rechtete? Und überhaupt, wo gestanden unsere überlebenden Nazi-Militärs und späteren Politiker klar und deutlich ihre früheren Taten ein? Sie kämpften tapfer fürs Vaterland, wir wissen es, denn sie beteuerten es oft und unglaubhaft genug, und sie verteidigten die Demokratie gegen die RAF. Wann und wo auch immer, sie lebten anständig, staatstreu, ob vor oder nach 1945. Deshalb gestatte ich mir, sie in den gleichen Lumpensack zu stecken und im Rhein zu versenken. Unweit von Worms, wo der Schatz der Nibelungen liegen soll. Hoffentlich für immer und ewig, sonst kaufen die Nachfahren auch von dem Gold noch neue Waffen, um ja nicht in die pazifistische deutsche Sonderrolle zu verfallen, für die einst Ossietzky und Tucholsky standen, bevor die staatstragenden Deutschen wiedermal auf Eroberung und Sieg setzten. Kaum war ich mit meiner Gedächtnisfeier für Bernt Engelmann, Ossietzky/Tucholsky und die Weimarer Pazifisten soweit gelangt, sah ich beim Zappen Boock bleich und zerfurcht schon wieder vor der Kamera hocken, diesmal bei Pastor Fliege, neben ihm Tochter und Enkel des bei Schleyers Entführung totgeschossenen Chauffeurs. Beide Opfer-Nachkommen wirkten hilflos. Der Enkel als Produkt unzähliger vergeblicher Versuche, den Schwererziehbaren zu besiegen, wünschte Boock statt der 20 Jahre 40 Jahre Knast an den Hals. Seine an ihm gescheiterte Mutter reagierte bedrückt. Man stelle sich vor, dieser haßerfüllte Sohn begegnete Helfern, wie der junge Boock als Erziehungsgefangener einst auf Baader und Ensslin getroffen war. Pastor Fliege bemühte sich begütigend darum, die Situation zu entschärfen - lasset uns beten, Schwestern und Brüder, es muß einen Ausweg geben ... Stalin schlug bei Kriegsende vor, 45 000 deutsche Offiziere und Politiker zu erschießen. Nach anderen Quellen stammte der Plan von Churchill. Egal, wer seinen Rachegelüsten da freien Lauf ließ, bei Realisierung wäre der "SS-Haudegen" Schleyer mit exekutiert worden. Üblicherweise erschießt man besiegte Revolutionäre, warum nicht mal besiegte Konterrevolutionäre. Der RAF hätte die Motivation gefehlt, Boock wäre nicht als Schleyer-Mörder auf die Anklagebank gelangt. Vielleicht sollte Pastor Fliege Tochter und Enkel eines in Lidice umgebrachten Tschechen zum Gespräch mit Schleyers Sohn einladen. Was wäre, wenn die tschechischen Attentäter statt des SS-Heydrich den SS-Schleyer getötet hätten? Säßen die Tschechen dann statt Boock bei Fliege auf dem Armesünderbänkchen? In Deutschland mangelt es nicht an befohlenen Mördern. Keiner wird uns in permanenter Reueleistung öffentlich vorgeführt. Dazu eignet sich nur ein selbsternannter Täter. Die anderen töteten auf Befehl, das wiegt weniger schwer. Boock ist unser Dauerbußdeutscher geworden. Ein exemplarischer Fall von kollektiver Seelenwäsche. Er gesteht, zieht man an ihm, seine untilgbare Schuld am Tod des SS-Offiziers ein, auf den die deutsche Industrie im Dritten Reich wie in der BRD nicht verzichten mochte. Adenauer hielt auch an seinem Globke fest. Solange Boock lebt, hat er den exemplarischen deutschen Mörder zu geben. Der Berliner Polizist Kurras, der den Studenten und Pazifisten Ohnesorg erschoß und dafür straflos blieb, ist nichts fürs Fernsehen. Kurras im Gespräch mit Verwandten seines Opfers öffentlich vorzuführen, wäre geschmacklos und obendrein Beamtenbeleidigung. Boock hätte statt des Arbeitgeber-Idols Schleyer einen namenlosen Studenten erschießen müssen, da wäre er unverfolgt geblieben, und keiner verlangte ein stets wiederholtes Mea culpa, mea maxima culpa von ihm. Die Schlagzeile "Linksradikaler Heimzögling erschießt aufrechten Industriepolitiker" ist auch viel schöner als das ewige Klagen über SS-Kameraden, die Heimzöglinge, Juden, Zigeuner, Slawen und andere Kommunisten erschossen und vergast haben.
Erschienen in Ossietzky 22/2002 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |