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Der Autor mit dem Spitznamen "Leichenbestatter", der einstens mit grün gepudertem Gesicht durch London wandelte, viel Alkohol nötig hatte, um Schreibstimmung zu erreichen, sich in ein Zeitkorsett zwängte, um seinem uferlosen Dasein Halt zu geben, und seine Themen Selbstentfremdung, Sünde, seelische Leere und Wahrheitsfindung via Alltagsfiguren verhandelte, fand in Regisseur Kruse plus Ensemble eine Truppe, die sich mit Erfolg an seinen vertrackten Nervenknoten versuchte. Ein Riese atmet mit Eiserner Lunge, seine Frau singt ekstatisch dazu. So wird das Publikum akustisch eingestimmt. Zarte Vorhänge öffnen sich schwebend. Ein Wolkengebirge weht vorüber, eine Hauslandschaft zieht uns in ihr Inneres, der letzte Schleier fällt, Ankunft im Hause Chamberlayne (Bühnenbild: Steffi Bruhn). Es geht um Einsamkeit, Leerlauf, Glückssuche und Glücksverständnis, Liebesnot und Liebesunfähigkeit, das ganze Spektrum von Sinnsuche wird aufgefächert, spielerisch beredet, getanzt, ausgefochten, durchlitten und verschleiert, bis zum Schluß drei Affen auftreten. Assoziationsmöglichkeiten ohne Ende! Kruse gab den Schauspielern reiches Spielmaterial. Surrealistische, aberwitzige Einfälle die Fülle. Seine visuellen Erfindungen sind niemals abgehoben vom Geschehen, sondern bedienen, verdichten und vervielfältigen es. Schön wie Seifenblasen sind sie, schillern und schweben. Der akustische Teppich ist gleichfalls dicht gewebt. Big Ben schlägt zeichenhaft Ort und Stunde, eine Klaviertaste wird permanent angeschlagen, ihr rhythmischer Akzent signalisiert wechselnde Bedeutungen, die Darsteller produzieren Klingelzeichen, man singt, tanzt, über psychedelischem Abgrund werden heiter Gefechte ausgetragen. Beteiligte Akteure sind Wolfram Koch, Barbara Schnitzler, Katharina Schmalenberg, Gerd David, Martin Brauer, Bernd Stempel, Inka Friedrich. Bemerkenswert Katharina Schmalenberg als Celia. Minimalistisch und sehr genau führt sie ihre Figur auf den von Eliot postulierten "einsamen und gefährlichen zweiten Weg", der mit dem "höchsten Preis an Leiden" bezahlt werden muß. Celias Leben endet mit einer Kreuzigung neben einem Ameisenhaufen (Suchbilder, ausgelöst durch Eliots religiöses Denken). Bernd Stempel, unbekannter Gast auf der Party, Psychoanalytiker und Prediger einer höheren Macht, bringt die Vielfalt seiner Mittel überzeugend in diese schwierige Figur ein und läßt uns trotzdem keinen Augenblick vergessen, daß Eliot "Komödie" als Genrebezeichnung wählte. Auch Wolfram Koch (Edward) hinterläßt einen nachhaltigen Eindruck. Er und seine Frau Lavinia werden den Weg der "Mittelmäßigen" gehen, "ein gutes und notwendiges Leben". So die praktische Theologie des T.S. Eliot. "Leben ist Tod", sagt er auch irgendwo. Mag man da und dort Zweifel haben an seiner Philosophie. Hier stimme ich ihm zu. * Über 50 Jahre habe ich Ekkehard Schall beim Theaterspielen zugeschaut. Seine Begabung unzweifelhaft, die Mittel trainiert, Sprache und Körpersprache seltsam expressiv, er war fleißig, hungrig auf Anerkennung, Ruhm, und er kriegte alles. Die Welt nahm ihn wahr, ehrte ihn. Ihn und das Berliner Ensemble. Damals. Gegenwart: Berlin, Torstraße, theater 89, Ekkehard Schall spricht in der Regie von Hans-Joachim Frank einen Monolog nach Ödön von Horváth, "Ein Kind unserer Zeit". Zwei Stunden, Nonstop im Alleingang. Im Publikum dreizehn Zuschauer. Ich habe Schall lange Zeit nicht zugesehen, will wissen, wie er den Sturz überstanden hat, Jahrzehnte nach Brechts und Weigels Tod, nach wechselnden Intendanten, dem Verfall des BE, den Querelen ums Brecht-Erbe, seit langem ohne festes Engagement, dazu jetzt "die neue Zeit". Wie geht er damit um? Vierschrötig, fest steht Schall auf der Bühne, erzählt von einem elenden Leben. Von Arbeitslosigkeit, Hunger, frierend, in Lumpen. Endlich dann das scheinbar gesicherte Soldatenleben, in dem er, überzeugt vom rechten Tun für Vaterlands Ehre, plündert, brandschatzt, mordet. Diszipliniert. Ordentlich. Der Freitod seines Hauptmannes, der nicht ehrlos leben kann, sich seines unwürdigen "Handwerks" schämt, erschüttert den Soldaten heftig. Er wird bei dem Versuch, ihn zu retten, verwundet, kann nicht wiederhergestellt werden und wird also aus der Armee entlassen. Ist wieder im Elend. Erkennt: Es gibt keine Gerechtigkeit, keinen Gott, nur Führer und Verführte. Ausgeliefert an die Not, verreckt er an der Welt, allein, des Nachts, auf einer Parkbank, in Kälte und Schnee. Ein poetischer Text. Trauer, Hoffnungslosigkeit, die Sehnsucht nach dem kleinen Glück und das Fehlen jeder Aussicht auf ein Leben in Würde bestimmen ihn. Schall steht sehr in sich versammelt vor der kleinen Schar seines Publikums, lotet die Figur aus, übermittelt ihren Schmerz, ihr Verlangen, macht ihre Irrtümer nachvollziehbar. Wir erleben mit ihm Erkenntnis, Einsicht in die vernichtenden Strukturen der Macht. Schall ist bei sich angekommen. Ohne Affekthaschereien, mit kraftvoller Stimme erzählt er von dem Mann des Volkes, führt dessen Wandlung vor, aufrecht, sehr eindringlich, scheinbar starr in seiner Körpersprache; aber wie er die Bewegungen in Kopf und Seele des Soldaten aus sich entstehen läßt, wie er die Figur aus der Starre befreit - "Ich habe keine Angst mehr vorm Denken" -, das assoziiert Geschichte. Wucht aus der Stille heraus. Ganz ohne Pathos. Einfach. Großartig. Vielleicht hätte die Regie Horváth und Schall mehr vertrauen sollen, den Darsteller nicht in Endlosschleife über die Bühne schicken müssen. Vielleicht hätte ein wenig Witz die Dimension "Welt als Saustall" noch schärfer ausgeleuchtet. Aber das ist gemäkelt. Die wenigen Zuschauer klatschen begeistert. Schall verneigt sich, sagt: "Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen sehr." Ich ihm auch.
Erschienen in Ossietzky 21/2002 |
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