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Es war sehr früh noch, erst sechs, und ich war sein erster Kunde. Der Mann ließ sich Zeit, und ich hatte Zeit - mein Bus nach Nevada fuhr erst in zwei Stunden, und während er mit Schuhcreme, Lappen und Bürsten zu Werke ging, ein wahrhafter Jongleur seines Fachs, stellte er Fragen. "Where are you from, Sir, and where are you headed?" Auch dieses "Sir", das er untertänig wiederholte, gab mir ein ungutes Gefühl. Er war alt, ergraut und hager, die zerschlissene Kleidung schlotterte ihm am Leibe. Ich wünschte, er käme schneller zu Rande, damit ich meiner Wege gehen konnte. Wie lange würde ich hier noch sitzen müssen und mich vor aller Augen bedienen lassen. Mir war allmählich, als stünde ich am Pranger, und da meine Stiefel längst makellos glänzten, versuchte ich, ihm klarzumachen, daß es gut sei. "Leave off, it's fine!" Der Mann aber werkelte weiter - helle Creme, braune Creme, heftiges Bürsten und noch heftigeres Wienern mit knallendem Lappen. Ja, er knallte die gefalteten Lappen über das Leder, und am Ende gab er noch einen Spritzer Wasser dazu. Das Morgenlicht spiegelte sich in meinen Stiefeln. "Leave off, it's fine!" Er betrachtete seine Leistung und gab mir Recht. Zu mir aufblickend hielt er die Hand hin und kassierte den Lohn. "Thank you, Sir." Ich stieg vom Stuhl und setzte mich auf eine Bank nahebei, die Zeit bis zur Weiterfahrt nach Nevada abzuwarten. Lange saß ich dort, Schreiber aus Deutschland, und beobachtete die Kunden des Schuhputzers - es waren nur zwei in mehr als einer Stunde, aber angesprochen hatte er an die fünfzig Leute. "Shoeshine, Mr. President, Sir! - Shoeshine, Mr. Governor, Sir! - Shoeshine, Sir Broker!" Oh, er gab ihnen allen einen Titel, stellte die möglichen Kunden samt und sonders über sich, und mir wollte nicht aus dem Sinn, wie er mir seine Dienste angeboten hatte, jener alte schwarze Mann am San Francisco International Airport. "Shoeshine, Boss - just half a dollar, Sir!" MariaEntlang der puertorikanischen Küstenstraße am tiefblauen Meer erreichten wir zügig den Rio Loiza bei der Ortschaft Bella Vista unweit der Sierra Luquillo. Serpentinen führten in die Berge zu einem Plateau mit Blick über grüne Täler, dort parkten wir den Wagen und folgten im Regenwald einem Pfad, der schwarz war und feucht und sich zwischen hohen Farnen durch ein Paradies von Lianen und Orchideen wand. Uns schien, als wären wir Tagereisen von der brodelnden Stadt San Juan entfernt. Über uns in den Baumkronen schrien die Vögel, verschwanden mit schwirrendem Gefieder im dunklen Laubwerk, schrille Laute lenkten unseren Blick nach oben, und wir sahen Papageien bunt aufleuchten im dunklen Grün. Der weiche Boden dämpfte unsere Schritte. So hörten wir, lange bevor wir zum Wasserfall kamen, das Rauschen - und beim Anblick der silbrigen Kaskaden über dem grünen Gestein spürten wir schon die Kühle auf der Haut. Wir warfen unsere Kleider ab und glitten zwischen den Felsen ins Wasser, fühlten uns seltsam geborgen unterm rauschenden Gewölbe des Wasserfalls. Immer wieder tauchten wir in die Flut, doch als Maria die Strömung erfaßte, sie abgetrieben, mir unaufhaltsam entrissen wurde, packte mich Panik, bis die Strömung sie zum Ufer trug. Ich sah sie schlank und braun in der Sonne, sah sie winken, doch zurückwinkend spürte ich, daß mein Gesicht zur Maske erstarrt war. Mir war tief bis ins Innere kalt. Auch ich ließ mich dann zu der Stelle treiben, wo die Sonne stand. Am nächsten Tag, nach unserer Nacht in Rio Grande, zurückgekehrt nach San Juan, zogen wir im Schweigemarsch unsere Runde vor der großen, braunen Strafanstalt mit den vergitterten Fenstern. Wir waren wenige, eine Schar von nur zwanzig, und die Sonne stand heiß und steil überm Platz. Wir gingen langsam und immer im Kreis, Staub stieg auf, und unsere Schatten hoben sich ab vom hellen Grund. Hin und wieder zeigte sich ein bewaffneter Posten im Torbogen des Gebäudes, musterte uns kurz und wandte sich wieder verächtlich ab. Ich aber empfand Stolz, in den Protest einbezogen worden zu sein, stolz auch auf den Händedruck des Mannes, der nach einundzwanzig Jahren Haft den Kampf um Puerto Ricos Unabhängigkeit wieder aufgenommen und den Schweigemarsch begonnen hatte, einer allein in der Mittagsglut, Tag für Tag und rund ums Jahr, und ich dankte es Maria, daß sie davon gesprochen und mich hier eingeführt hatte. In der Nacht von Rio Grande hatte sie mir erzählt, wie es ihr in New York ergangen war, Kellnerin in Manhattan und keine Malerin mehr, weil für sie die Kunst brotlos geworden war und sie zwei Kinder zu ernähren hatte. Sie hatte erfahren müssen, wie gering man sie im Norden schätzte und daß man sie allein schon ihrer Herkunft wegen für käuflich hielt, die kleine braune Hure mit den schrägen Augen. Immer mehr Haß gegen alle und jeden hatte sie in New York erfüllt, und immer heftiger hatte es sie zurück in die Heimat gedrängt, nach San Juan, zu den Stränden, Wäldern, Bergen dort, zurück in ein Leben, das ihr vertraut war. Ihretwegen sicherlich, doch nicht nur ihretwegen, hatte ich mich eingereiht in diesen Marsch in der Mittagsglut, ihretwegen, doch nicht nur ihretwegen, fand ich mich bis hin zur Stunde des Abschieds tagtäglich hier ein. Steiniger WegDie schwarzen Persönlichkeiten auf den Fotos an der Wand hinter seinem Schreibtisch mochten die Vorbilder seiner Jugend gewesen sein: Charley Parker, Malcolm X, Muhammed Ali, W.E.B. Du Bois, Richard Wright. Längst aber, so schien es mir bald, war er ihnen ebenbürtig, stand mit ihnen in einer Reihe: Maurice Jackson, Geschichtsprofessor an der Georgetown University in Washington. Und daß er aus den Gefilden des Jazz Miles Davis und die legendäre Billie Holiday erkoren hatte, stand im Einklang mit dem Gedicht von Langston Hughes, das ans Innere der Tür seines Arbeitsraums geheftet war: Schön ist die Nacht Auf mich wirkte er wie ein Dreißigjähriger, ein Mann voller Spannkraft, sportlich, alert, und erst sein Hinweis auf den Abschluß seines Studiums mit vierzig ließ mich sein wirkliches Alter schätzen - er mußte über fünfzig sein. "Es wird ein steiniger Weg gewesen sein bis ins Innere dieser altehrwürdigen Gemäuer." Er lachte ein Lachen, das tief von innen kam, und sagte: "In diese von schwarzen Sklaven errichteten Gemäuer - von Männern wie ich einer war. In Alabama wäre ich auf dem Bau gelandet oder im Sägewerk." Er blickte auf seine Hände. "Und jetzt würden mir vielleicht ein paar Finger fehlen." Das sei eine Schreckvorstellung seiner Großmutter gewesen, sagte er. "Sie holte mich weg nach Virginia, und die Schule, auf die sie mich schickte, sollte nicht meine letzte bleiben. Das war ein College, wo jedes Wort gegen den Vietnamkrieg hart geahndet wurde - ich wäre rausgeflogen, auch wenn sie von meinem Wirken im kommunistischen Jugendverband nichts erfahren hätten. Konnte von Glück sagen, daß ich in einer Werft unterkam und so der Armee entging. Werftarbeiter also, statt Student, und an den Wochenenden schuftete ich am Hafen. Verdiente gutes Geld - fast zwei Jahre lang konnte ich meiner Mutter jede Woche einen Hunderter schicken, das hatte ich meinem Bruder voraus, der immer von der Hand in den Mund lebte. Warum ich das erzähle - Sie werden's gleich erfahren. Die Arbeiter nannten mich Jacky, ich gehörte nicht bloß zu den Jüngsten am Hafen, ich war auch der Unerfahrenste. Also hielten sie ihre Fittiche über mich, daß mir bei der gefährlichen Tätigkeit nichts zustieß, und weil sie fanden, ich hätte einen Kopf und sei für Besseres bestimmt, wollten sie, daß ich wieder ein College besuche und mich für ein Stipendium bewerbe - was leichter gesagt als getan war. Und erst möglich wurde, als Mutter die Zigarrenschachtel unterm Bett hervorkramte und... richtig! Das ganze Geld, das ich ihr geschickt hatte, war noch da. Keinen Dollar hatte sie angerührt. Junge, das ist deines. Da war der Weg bis hin zum Studium nicht mehr so steinig. Bloß kam ich dann ein zweites Mal davon ab, als ich mich entschloß, in die Parteiarbeit zu gehen. Zehn Jahre hatte ich dafür vorgesehen und keinen Tag länger, und zehn sind es tatsächlich geworden: eine aufregende Zeit - die Bürgerrechtsbewegung, Alabama, Tennessee, Mississippi, die Aktionen gegen den Vietnamkrieg. Die Zeit meines Lebens, bis dann die Spaltung kam, die Partei auseinanderfiel, was für mich ein Desaster war, ein Unheil, wie wenn die eigene Familie zerfällt. Eine Welt war für mich zusammengebrochen. All die Jahre - und dann das! Kein wie immer auch gearteter Neubeginn war mir vorstellbar. Und doch - ich hatte immer viel gelesen, es auch in den Jahren der Parteiarbeit nicht aufgegeben, und als ich mich schließlich zur Wiederaufnahme eines Studiums aufraffte, fiel es mir leichter als befürchtet: russische, französische, amerikanische Geschichte, dazu das Schreiben einer Doktorarbeit über diesen französischen Hugenotten, der um 1730 umfangreiche Forschungen auf dem afrikanischen Kontinent betrieben hatte. Die Recherche erwies sich als sehr langwierig, ich promovierte erst 1992 - bin also mit fünfzig noch ein junger Professor, was mir hilft, mit jungen Leuten umzugehen, jungen Leuten jeder Herkunft, die ich mit Black History vertraut mache: mit der Kultur meines Volkes und dem Befreiungskampf von der Sklaverei bis in die Gegenwart."
Erschienen in Ossietzky 21/2002 |
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