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Ob rechts oder links, überall wirkt der Mythos der militärischen Allmacht der Vereinigten Staaten. Hat Vietnam nie stattgefunden? War Vo Nguyen Giap etwa ein vietnamesischer Restaurantbesitzer, nicht aber der Stratege, der den USA die verheerende Niederlage in Vietnam zufügte? Seien wir also etwas vorsichtiger bei der Beurteilung eines Militärwesens, das Mao Tse Tung seinerzeit einen Papiertiger nannte. Der Begriff verweist übrigens auf einen bemerkenswerten Sachverhalt: Für die rund 8000 US-Kampftruppen in Afghanistan ist eine logistische Infrastruktur von etwa 60 000 Mann erforderlich. Im Vietnamkrieg war die Relation ähnlich. Die US-Militärmacht unter soziologischen Aspekten: Die Zahl der Aktiven beträgt für alle vier Waffengattungen ca. 1,2 Millionen, dazu kommen 720 000 Reservisten. Eingerechnet sind hier 300 000 Zivilbeschäftigte. Von den Mannschaftsdienstgraden sind ein Viertel African-Americans, ein doppelt so hoher Anteil wie in der Gesamtbevölkerung. Fast die Hälfte der Mannschaften stammt aus den Südstaaten, ebenfalls ein überproportionaler Anteil. 95 Prozent haben einen High-School-Abschluß. 50 Prozent sind jünger als 24 Jahre. Was sagen diese Angaben aus dem aktuellen US Military Almanach aus? Das Militär ist eine Instanz, die jungen Leuten aus den unteren sozialen Schichten (African-Americans und Menschen aus den schwach entwickelten Südstaaten) die Chance eines sozialen Aufstiegs bietet. Zeitverträge stellen die Finanzierung eines College-Besuchs in Aussicht, sofern der Militärdienst ordentlich abgeleistet wird. Ist ein solches Personal eigentlich bereit, gegebenenfalls "bis zum Letzten" zu kämpfen? Berichte aus Kampfhandlungen in Afghanistan lassen daran zweifeln. Nach britischen Zeitungsberichten überließen US-Patrouillen ihren britischen Kollegen die riskanteren Tätigkeiten. Wegen des hohen Anteils von Südstaatlern ist ein latenter Rassismus in den Streitkräften zu vermuten. Fraglich ist auch, ob die in den siebziger Jahren offen ausgetragenen ethnischen Konflikte überwunden wurden. Angesichts der gesellschaftlichen Rückwärtsentwicklung ist das eher unwahrscheinlich. Ferner ist anzunehmen, daß viele Soldaten nicht unbegrenzt bereit sind, sich mit dem momentanen Arbeitgeber zu identifizieren, während die soziale Ausgrenzung gerade der African-American-Bevölkerung ununterbrochen weitergeht. Wieso, könnten sie fragen, für ein System sein Leben riskieren, das beispielsweise Kleinkriminelle aus den schwarzen Ghettos lebenslänglich wegschließt, ein System, unter dem selbst in fortschrittlichen Bundesstaaten wie New York mehr schwarze Jugendliche im Knast sitzen als im College? Die oberste Heeresleitung kennt die Stimmungslage und versucht ihr Rechnung zu tragen, indem sie Einsatzszenarien entwirft, die die Gefährdung von US-Soldaten möglichst gering halten. Das beweist aber nicht nur Mangel an Vertrauen in die eigene Truppe, sondern deutet auch auf einen weiteren Zusammenhang hin: den militärisch-industriellen Komplex. Für die in diesem Bereich tätigen Großkonzerne sind Waffen eine Ware. Sie wollen mit Gewinn produzieren und Folgeaufträge erhalten. Die Haltbarkeit eines Waffensystems ist von vorn herein begrenzt, und auch hoher Wartungsaufwand ist eingeplant. Mit technischen Neuerungen sorgt man für Bedarf an weiteren Anschaffungen. An dieser Stelle ist die Zusammenarbeit mit den Militärspitzen gefordert. Ein General in der höchsten Besoldungsstufe verdient ca. 11 000 Dollar im Monat; ein Obristengehalt liegt bei etwa 8000 Dollar. Nach dreißig Dienstjahren ist eine vorzeitige Pensionierung bei halbierten Bezügen vorgesehen. Es liegt also nahe, den gewohnten Lebensstandard durch Beraterverträge mit der Rüstungsindustrie zu sichern. Es entsteht ein enges Netzwerk aus Ex-Militärs, Rüstungsindustrie und noch tätigen Militärs, die für die Beschaffungsaufträge sorgen und auf diese Weise ihren Absprung in ein wohldotiertes Zivilleben vorbereiten. Das Ergebnis sind hochtechnisierte Streitkräfte, ausgerüstet mit komplizierten Waffensystemen, die viel komplizierter (also auch viel teurer) sind als das, was militärtechnisch notwendig wäre oder überhaupt verwendbar ist. Mary Kaldor hat dies vor 20 Jahren in ihrem Buch "The Barock Arsenal" dokumentiert, das nichts an Aktualität eingebüßt hat. Hierzu ein Beispiel aus dem aktuellen Afghanistankrieg: Die US-Bomber sind mit Rechnern bestückt, die eine Navigation nach realen Bodenaufnahmen ermöglichen sollen. Die Daten der Bodenstation konnten jedoch nicht eingespeist werden, weil die Prozessorleistung der Rechner für die Datenmenge nicht ausreichte. Die Piloten flogen ihre Einsätze anhand älterer russischer Landkarten. Das Netzwerk von Ex-Militärs, aktiven Militärs und Industrie hat noch einen weiteren Effekt, nämlich die Privatisierung von Kriegsführung. Bei der Ausmusterung der Streitkräfte förderte einst die Truman-Regierung die Gründung privater Sicherheits- und Beratungsfirmen, wo die Ex-Soldaten eine neue Beschäftigung im erlernten Kriegshandwerk fanden. Ein Unternehmen dieser Branche wie DynCorp macht mittlerweile einen Jahresumsatz von zehn Milliarden Dollar. Der internationalen Öffentlichkeit wurde diese Firma im Balkankrieg bekannt, denn sie baute die kroatische Armee auf, ihr Personal übernahm anfänglich die militärische Leitung. Die gleiche Firma berät die Nationalgarde Saudi-Arabiens und führt im Auftrag der US-Regierung sogenannte Pazifierungsprogramme in Kolumbien durch; ihr Personal schützt die Förderanlagen und Pipe lines von Ölkonzernen in Kolumbien und Ecuador. Die wirtschaftlichen Interessen, die im Militärsystem der USA, dem staatlichen wie dem privatunternehmerischen, zur Geltung kommen, sind keineswegs homogen. Das hat Auswirkungen auf das strategische Konzept, es ist nicht so machtvoll geschlossen, wie es den Anschein hat. Zweifellos verfügen die US-Streitkräfte über ein global einsetzbares Vernichtungspotential, das derzeit konkurrenzlos ist; die entscheidende Schlagkraft liegt bei der Luftwaffe, wie im ersten Golfkrieg und im Krieg in Afghanistan demonstriert wurde. Insofern handelt es sich bei der Militärmacht der Vereinigten Staaten beileibe nicht um einen Papiertiger. Aber das mörderische Geschöpf hat seine schwachen Seiten. Viele Züchter und Fütterer wollen auf ihre Rechnung kommen, und oft ist strittig, wann und wo denn das Tier seine brutalen Fähigkeiten vorführen soll. Als Risiko bleibt, daß der Tiger nicht hält, was sein glänzendes Fell verspricht. Ihm wird ja weitaus mehr zugemutet als nur ein Zubiß auf den Irak. Vieles spricht dafür, daß die US-Regierung mit ihrer neuen weltpolitischen Doktrin ihre eigenen Möglichkeiten überschätzt.
Erschienen in Ossietzky 21/2002 |
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