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Dies eine Lehre, die von bürgerlichen Strategen heute mehrheitlich vertreten wird. Wer mitspielen will, "der muß also mehr Geld ausgeben für militärische Zwecke und sich strategisches Denken anerziehen" (FAZ-Leitartikel vom 5.10. 02). Friedman war derselben Ansicht wie Scholl-Latour, begnügte sich jedoch mit dem Bush-Kriegsplan, erst den Irak, dann die nächsten Schurkenstaaten zur Hölle zu bomben, egal ob mit oder ohne Deutscheuropas Hilfe. Leider verrieten uns die zwei friedenspolitischen Pioniere nicht, was einem aufgerüsteten Deutschland-Europa geschähe, bliebe es nicht jeweils hundertprozentig US-hörig. Der deutsche Kanzler etwa, momentan ein wenig konträr, könnte er nicht schnell als Saddam Hussein alias Hitler III. identifiziert werden? Europa, hochgepusht zum ABC-Riesen, träte es nicht bald die Nachfolgeschaft der bösen Sowjets an? Scholl-Latour verwies auf China, den klassischen Feind der USA - ja wie denn nun? Mit den USA gegen China oder mit China gegen die USA? Und danach? Aufrüstung dient dazu, das Fell des Bären zu verteilen, noch ehe er erlegt ist. Wölfe, denen es an Beute mangelt, gehen einander an die Kehle. Die Schwächeren werden gefressen, am Ende verhungert der Stärkste, weil er als Vegetarier zu leben verschmäht. Es handelt sich um Freiheit und Menschenrechte, wie das liebe Öl nun genannt wird. Deutsche, die ihr Gedächtnis nicht als Mehrwertsteuer beim Finanzamt abgaben, erinnern sich ihres vormaligen Kriegsherrn, der das Getreide der Ukraine und das Öl von Baku anstrebte. Nochmal das Ganze? Angriff ist die beste Verteidigung. Gestern gegen die Sowjetunion. Morgen gegen Saddam. Übermorgen gegen den Rest der Teufel. Wir sind die Guten. Seht euch den neuen kriegerischen Erzengel an, der nur seinen Papa schützen will, einen Kandidaten auf der Todesliste des irakischen Diktators. Bush junior wörtlich: "Saddam tried to kill my Daddy", lamentiert er. Zwar wollte auch der Senior Feinde ermorden lassen - was heißt wollte, hier häufen sich vollendete Tatsachen -, aber da sind die 3000 Toten des 11. September 2001, die gerächt werden müssen, wenn nicht an den Mördern, dann eben an den Irakern, von denen Bush sen. nur runde 200 000 auslöschen ließ, was Bush jun. unbedingt komplettieren will. Und überhaupt, Rache ist das Vorrecht des Stärksten, oder wird etwa Vergeltung verlangt für die drei Millionen dem US-Militär zum Opfer gefallenen Vietnamesen? Im Gegenteil, die Übriggebliebenen verstecken ihre Kriegskrüppel samt den durch C-Waffen Geburtsgeschädigten und laden Amerikaner freundlich zu Urlaubsreisen ein. Warum sollen die möglicherweise Überlebenden des Irak (sowie des Iran usw.) nach Bombenregen und Raketensegen nicht auch zur Herzlichkeit neigen? Schaden macht klug, sagt der Volksmund, falls ihm nicht ein Bombensplitter die Lippen verschließt. Das nationalpatriotische Rede-Duell Friedman/Scholl-Latour wird entzaubert und defloriert im Oktoberheft der Zeitschrift UTOPIEkreativ, wo der Theologe, bisherige SPD-MdB und Ossietzky-Lesern bekannte Publizist Edelbert Richter "Zur militärischen Hegemonie der USA" nicht nur die weitgestreuten Fakten der geplanten Welt-Unterwerfung versammelt, sondern auch mit einer unter studierten Christen selten, wo nicht einmalig gewordenen Chuzpe Konsequenzen zieht, die eines Martin Niemöller würdig sind, der ansonst zu den amtlichen Verlusten der protestantischen Kirchen zählt, dreimal verleugnet und dutzende Male vergessen gemacht. Denn die Normalität der Moderne ist die Postmoderne. Oder mit Adorno gesprochen: "Unmerklich langsam formiert sich ein Klima, das verpönt, was am notwendigsten wäre: kritische Selbstbesinnung." Niemöller begann als kaiserlicher U-Boot-Kommandant und endete als radikaler Pazifist. Deutschland geht seit 1945 den umgekehrten Weg. Zur gelegentlichen Selbstbesinnung sei die Lektüre der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozeßprotokolle empfohlen. Was die unmerkliche, bei Adorno noch langsame, Veränderung betrifft: Mit einem schönen Beispiel wartete am 6.10.02 die TV-Sendung Glashaus auf. Rüdiger Safranski, mit Peter Sloterdijk fester Posten der Philosophie in der interessanten Diskussionsrunde, drohte dem Gast Hans-Olaf Henkel eine "Tiefenbohrung" an, in Henkel einen "Nietzscheaner" vermutend, was der wehrhafte ehemalige Arbeitgebervertreter anstandslos amüsiert bejahte: Es müsse Führung her in Deutschland, Leistung, Härte im Konkurrenzkampf der Globalisierung. Der Vorwurf Richtung Übermensch wurde elegant bagatellisiert, das Klischee klirrte leicht, Nietzsches Wort von der "Wiederkehr des ewig Gleichen" blieb in der Expertenrunde leider unreflektiert. Das deutsche Führungspersonal ist weder dumm noch beschränkt, nur ein wenig ahnungslos darüber, was seine Vorfahren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Nietzscheanern gemacht hatte und welches Ende das 1945 fand. Weniger scham- als bewußtlos und erfahrungsresistent schließen sie dort an. Die "Wiederkehr des ewig Gleichen" bezeichnet heute den Wiederholungsprozeß der Krisen und Kriege einer Welteroberung, der die Alternative abhanden gekommen ist. Unser postmodernes Personal und seine Medien ergeben sich in permanenter Anpassung einer Sklavensprache, die einen Martin Niemöller ebenso vergessen macht wie Blochs Diktum "Kampf, nicht Krieg" und so zufrieden wie nahtlos bei Sankt Nietzsche anschließt: "Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen ... der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt."
Erschienen in Ossietzky 21/2002 |
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