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In der Schlange davorstehend sage ich zu einem Paar, das mir proletarisch genug erscheint, um den Witz zu verstehen: "Wahrscheinlich geht es da drin nicht um höhere Löhne. Sondern um die Lebenslust bei niedrigen Löhnen." Er nickt kurz, will sich aber den Spaß nicht weiter verderben lassen. Sie zieht es vor, stumm zu bleiben. Spektakulär ein Pavillon, der ganz mit feuervergoldeten Metallplatten verkleidet ist. Wie ein überdimensionaler Goldbarren liegt er in der Sonne. Die Schweizerische Nationalbank hat ihn sich 15 Millionen Franken kosten lassen. Rundum haben Besucher an dem Gold gekratzt. Auch der Spruch "Capitalism is organ ised crime" wurde eingeritzt, vermutlich im Gedenken an die Rolle der Schweiz als Raubgoldsammelstelle und Geldwaschanlage. Die Metallplatten der Verkleidung kann man kaufen und bekommt sie, wenn der Pavillon wieder abgebaut wird. Der Erlös soll für die Hungernden der Welt verwendet werden. Auch vom Ablaßhandel verstehen die Geldhändler heutzutage etwas. "Geld und Wert / Das letzte Tabu" heißt das Projekt, das der renommierte Ausstellungsmacher Harald Szeemann hier realisiert hat. Ich kenne ihn von der documenta 5 (1972), wo ich zusammen mit einem Freund die Abteilung "Politische Propaganda" machte. Er wollte uns damals – vergeblich – daran hindern, unsere Sachen zu zeigen, weil sie ihm zu kritisch waren. Jetzt will ich mal sehen, ob und wie er "das letzte Tabu" bricht. Schon aus dem Bericht über die Ausstellung im Feuilleton der Frankfurter Rundschau habe ich geschlossen, daß es um die systematische Verwechslung von Geld und Kapital geht, daß das eigentliche Tabu unserer Zeit, die Kapitalverwertung, nicht angerührt wird und daß sich die dargestellten Vorschläge zur Abhilfe im Umfeld der Lehre Silvio Gesells vom Übel des Zinses bewegen. Meine Vorahnung wird noch übertroffen. Im Mittelpunkt des Pavillons steht, hinter Panzerglas, an dem sich Menschen fast die Nasen plattdrücken, eine Geldvernichtungsmaschine. In genüßlich verlangsamter Bewegung greift ein Roboterarm sich Schein um Schein, legt sie auf ein Förderband, das sie zu den Messern transportiert, die Papierschnitzel aus ihnen machen. Es bleibt unklar, ob es sich um Geld handelt, das sowieso aus dem Verkehr gezogen werden muß. Jedenfalls sind Menge und Wert begrenzt, wie Szeemann im Begleittext schreibt, um keinen Überfall zu provozieren. Was fasziniert die Besucher an diesem Ritual? Ich frage ein junges Pärchen. Wiederum reagiert nur er: Es mache eben Freude, zuzuschauen, wenn Geld, das man nicht hat, aber gerne hätte, in luxuriösen Abfall verwandelt wird. Als ich sage, daß dies doch eine einzige Verschleierung der tatsächlichen alltäglichen Kapitalvernichtung durch Pleiten, Krisen, Rüstung und Krieg sei, stimmt er mir zu, meint aber, er wolle nicht darüber nachdenken, sondern sich einfach ein bißchen amüsieren. Dabei hat Szeemann einiges zusammengetragen, was zum Nachdenken anregen könnte. Vor allem die Kunstwerke – von Beuys bis Hans Haacke, Heartfield und Klaus Staeck – geben deutliche Hinweise auf das Kapital als eigentliches Thema hinter dem "Geldschleier". Aber in der Masse der Ausstellungsgegenstände, der bunten Mischung aus Ethnologischem, bloß Dokumentarischem und naiv Utopischem geht es unter. Für die nivellierenden Effekte dieser Inszenierung nur ein Beispiel: Das große Holzmodell von Tatlins "Denkmal der 3. Internationale" (1919) steht in einem Raum zusammen mit Modellen von Gaudis Kirche "Sagrada Familia" und den Architekturfantasien des Briefträgers Cheval. Alles, wie Szeemann schon 1972 meinte, "private Mythologien"? Ein Ausstellungsstück durfte offenbar nicht fehlen: ein Goldenes Kalb, dazu in hebräischen Schriftzügen entsprechende Stellen aus dem Alten Testament. Ich sage der jungen Dame, die gerade die Aufsicht führt, daß ich dieses Werk eines in New York lebenden Künstlers für unterschwellig antisemitisch halte. Wieso ist die Inschrift nicht in Englisch verfaßt oder in vielen Sprachen, der heutigen Globalisierung des Tanzes um das Goldene Kalb angemessen? Sie: "Ich kenne die Geschichte aus dem Bibelunterricht, beziehe sie nicht einseitig auf die Juden." Ich: "Wieviele Schweizer halten Ihrer Meinung nach die Juden für besonders geschäftstüchtig?" Sie: "90 Prozent." Ich: "Na, sehen Sie." Sie: "Aber sie sind es doch auch." Soviel zum Tabubruch.
Erschienen in Ossietzky 20/2002 |
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