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Jenes vertrackte Seelen–Teilchen, das irgendwo vor Jahrtausenden bei Steppenbränden in russischen Wintern gezüchtet wurde und später in Oberschlesien landete, wo ein Teil meiner Verwandtschaft sich vor drei Generationen von "die Pollerrr" distanzierte und "auffes deitsch Wessn" aufsprang und bis in die Niederungen Schlesiens gelangte. Das Gen blieb tief drinnen stecken in den Hilfswilligen und Waldarbeitern, den Unterführern und Obersteigern namens Biskupek, sprich Biskuuupek, und mein kranführender Vorfahre wurde vom Polier nicht mit den Rufen: "Mehr nach rechts" oder "Mehr nach links" dirigiert, sondern mit Befehlen "Milkuschiiitz!" und "Makuschaaatz!" nach Dörfern gleichen Namens rechts und links der Baustelle, in denen Swar owskis und Sagawes und Biskupskis und ähnliches slawianisch–katholisch–schlacht–schizophrenes Kroppzeug hauste. Daß die slawischen Seelenteilchen sich mit sächsischer Wurstigkeit verbanden, wird schon im Namen meiner Geburtsstadt deutlich: Chemnitz. So tief sächsisch – so slawisch klingend. Die Slawen–Gene machten mich unfähig zu Reinheit, Klammheit, Biederlichkeit. Sie zeigen deutlicher als jeder Paß: Ich bin Einwanderer ins Fürstentum Schwarzburg–Rudolstadt, ich bin ein zeitweilig auf dem Boden Thüringens stationierter Fremdkörper. Ich bin nicht stolz auf das Fachgewerk, welches man in Thüringen anstelle von blutvollen Adern in sich herumträgt. Mir reicht meist eine einzige Thüringer Bratwurst zum Satthaben, und die grünen Hügel Thüringens fand ich in Armenien schöner vor als hinter Hildburghausen. Soll ich stolzer Thüringer sein, nur weil ich zufällig nach Thüringen verschlagen wurde, durch Absolventenlenkung in tiefer DDR? Nur weil die Nadelbäume dort an manchen Stellen dicht gestaffelt und sogar in Reih und Glied stehen, soll ich dies als meine Ur– und Waldheimat ansehen? In meiner Heimat, in meiner geborenen Heimat, die in meinen Genen breit hingelagert ist, da ist man charmant und genüßlerisch, lebenstoll und liebevoll und keineswegs genau. Mal ist man exaktemang und mal eine Daumenbreite überm Handschlag. Man lebt und läßt sich lieben. Meine polnischen Gene packen das Leben, ziehen es an sich heran und geben ihm einen eleganten Handkuß, den Thüringer nicht mal als Zungenkuß schaffen. Meine russischen Gene trinken ihren Schnaps nie ohne Sakuska und umarmen einander und schlagen die Marketenderin, aber können sie mit aufgerißnem Hemde auch um Verzeihung anbetteln, was deutsche Biernischl nie machen. Meine tschechischen Gene haben einen prächtigen Humor und bramabarsieren über Fliegenschisse auf protzigen Staatskünstlerbildern, bis die Zischlaute wunderbar feucht–obszön daherkommen. Meine rumänischen Gene können Lobreden halten, die noch Araber vor Neid erblassen lassen, und nehmen dafür ein jedes Bakschisch und stecken es so galant weg, wie ein Deutscher, geschweige denn ein Thüringer, das nie schaffen würde. Meine jugoslawischen Gene träumen von einer liberal–orthodoxen Moscheenkirche, meine bulgarischen Gene lassen sich Weinberge herunterkullern, auch wenn ihnen das Brot unter der Hand zerkrümelt, und meine litauischen Gene popeln voller Hingabe und Genuß, so lang und so tief sie wollen. Ja, meine geborene Heimat singt in lauter & lauten wunderbaren, für Euch unverständlichen Sprachen, und wenn ich Euch auch nur eine davon zu kosten gäbe, so drehte sich Euch das Herz leibhaftig im Ohr herum, und Ihr sprächet, so ihr die Wörter kenntet, alsbald von Mischpoke, von walachischer Packahsche, verdammtiger polnischer Wertschafft, mongolisch–sibirjackischem Diebsgesindel; nur Zischeiner und levantinische Nehscherkechl, gipts in keim Russnfilm; hundetürkische Kalatschen und Karbunken und Opanken und Krawitschen und Pablatschen und ritsch & ratsch. Oder ärgert Ihr Euch darüber? In den späten Sommerwochen diesen Jahres mußte ich mich auch ärgern, nämlich über Sprachkapriolen unserer gesamtdeutschen, sprich: westdeutschen Medienvertreter. Die hatten ja nun ständig ihnen völlig unbekannte, also überaus exotische Namen zu verkünden: Grimma, Döbeln, Torgau, Wittenberg, Wörlitz, Dresden – nein Dresden haben relativ viele auch westliche Menschen schon gehört und wissen, daß es irgend etwas mit Biedenkopf und August dem Starken zu tun hat. Aber den Namen Grimma kennt nicht mal mein – natürlich westliches – Computerprogramm. Es piept aufgeregt: Unbekanntes Wort! Mein Westprogramm weiß nicht, daß dort der bedeutendste Verleger der Goethezeit ansässig war und daß Seume von Grimma gen Syrakus spazierte. Wahrscheinlich wußte bisher auch niemand im westlichen Deutschland, daß in Torgau Sowjets und Amerikaner sich als Weltkriegssieger trafen, daß der Wörlitzer Park eine Philosophie, eine liberale, völkerverbindende Philosophie verkörpert, daß unsere deutsche Sprache, wie wir sie heute schreiben, in Wittenberg ihre Wurzeln hat – all das haben ganz offensichtlich zu viele gesamtdeutsche, sprich westdeutsche Medienmenschen erst jetzt gehört. Nachdem sie eilends zum realistischen Beschauen leibhaftigen Hochwassers gekommen waren. Katastrophe als Bildungserlebnis. Im PISA–Aussprachetest haben sie aber allesamt versagt: Aus Torgau machten sie Tor–GAU, aus dem Fluß Havel die Hawell. So schön es ist, zu spüren, daß Katastrophen Menschen einander nahebringen – so deutlich wird dann leider auch, daß ostdeutsche Städte westdeutschen Alleswissern böhmische Dörfer sind. Ich treffe noch immer Leute, die stolz darauf sind, nie den Osten betreten zu haben. Und es gibt noch immer östliche, mit Verlaub, Knallköppe, die nie den Blick gen Westen richten wollen. Nein, man muß nicht ständig Geld von einem Landesteil in den anderen schaufeln; es genügte, einander zuzuhören. Aber offensichtlich reicht die dreizehnjährige Einheits–Schulzeit, die wir mittlerweile absolviert haben, immer noch nicht.
Erschienen in Ossietzky 20/2002 |
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