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Eindrucksvoll hatte der Sänger auf allen westlichen Kanälen unter Tränen beklagt, nun nicht mehr in die von ihm trotz allem so geliebte DDR zurückkehren zu dürfen. Sei er doch nur zu einem kurzen Konzertabstecher in den Westen gereist. Biermann, bekanntermaßen nicht gerade uneitel, gerierte sich in der Folge als Märtyrer und stieg zur Galionsfigur der "undogmatischen Linken" auf. Zahlreiche DDR-Künstler und -Intellektuelle setzten sich mit Protesten an ihre Regierung gelinde gesagt in die Nesseln. Die Linke in der BRD war fortan gespalten in eine Mehrheit der Biermann-Fans und eine zahlenmäßig weit geringere "unbelehrbare Fraktion" von Biermann-Kritikern, die ihm Heuchelei vorwarfen - "Dogmatikern" wie man sie abfällig nannte. Die Popularität des Liedermachers erhielt erst im Oktober 1982 einen ersten Knacks, als er im Fernsehen die damals starke bundesdeutsche Friedensbewegung beschimpfte, weil doch jedermann wisse, "daß die Sowjetunion nur den Krieg will". Bis dahin jedoch hatte es für jeden Künstler in der BRD - ähnlich wie im Zusammenhang mit den zeitweise medienbeherrschenden, später still beerdigten "Zwangsadoptionen im Osten" - kaum ein Interview gegeben, das nicht die obligatorische Gretchenfrage enthielt: "Und wie stehen Sie zum Fall Biermann?" Wer dann den (ökonomisch gesehen keineswegs armen) Poeten nicht ausgiebig bedauerte, war übel dran. Obwohl ich Ausbürgerungen für ein zivilisierten Staaten unter allen Umständen verbotenes Repressionsmittel halte, sah ich die Biermann-Story immer etwas gelassener. Das lag weniger daran, daß mir die Fernsehübertragung des Kölner Konzerts entgangen war, weil ich gemeinsam mit dem Münchener AStA vollauf, wenn auch vergeblich, damit beschäftigt war, den Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität zur Rücknahme eines für den selben Abend über mich verhängten Auftrittsverbots und des entsprechenden Polizei-Aufgebots zu bewegen. (Die Vorstellung fand dann freilich doch noch statt, weil ein paar hundert Studenten kurzerhand einen anderen als den ursprünglich vorgesehenen Hörsaal besetzten und die Türen von innen verrammelten.) Meine Gelassenheit entsprang vielmehr dem eidetischen Langzeitgedächtnis, das mich oft quält, häufig aber auch zu gewissen Erkenntnissen befähigt. Kaum schlug der Biermann-Skandal nämlich hohe Medienwellen, stand mir eine kleine, unscheinbare Zeitungsmeldung vom April 1976 vor Augen. In Heft 4/76 der Satirezeitschrift pardon - also bereits sieben Monate vor der spektakulären Aktion - hatte der Journalist Reginald Rudorf, ein kämpferischer Anhänger und nach eigenen Worten auch enger Freund Wolf Biermanns, auf Seite 169 unter der Überschrift "Lieder für die DDR" folgendes geschrieben: Ostberlins Sing-Genie Wolf Biermann will in den kapitalistischen Westen. Nachdem seine Reise zu einem Offenbacher Kongreß Ende '75 von den Behörden der DDR nach anfänglicher Zusage in letzter Minute abgesagt wurde, hat sich Biermann jetzt entschieden: "Natürlich bin und bleibe ich Kommunist..." Jedoch würde er "nach Westdeutschland gehen, um zu arbeiten, bis man in der DDR meine Lieder als Lieder für die DDR erkennt." Zur Frankfurter Buchmesse war dann die Unterschriftenaktion der Jusos "Reisefreiheit für Wolf Biermann" gestartet worden. Mit Erfolg: Im November befand sich der Künstler wunschgemäß im Westen. Wenn ich damals in Interviews mit der Standardfrage nach Biermann konfrontiert wurde, nutzte ich häufig das pardon-Zitat, um zu begründen, weshalb ich die Angelegenheit weniger dramatisch sehe. Regelmäßig wurde anschließend diese Passage von der Redaktion aus dem Band bzw. dem Artikel geschnitten. Ein einziges Mal nur - in einer Live-Sendung - war es mir vergönnt, den Rudorf-Text zu zitieren. Geistesgegenwärtig wischte der Interviewer jedoch das Un-Zitat mit den Worten vom Tisch: "Ach, pardon ist eine Satirezeitschrift..." Gerüchte, wonach Biermann durch Vermittlung seiner Milchschwester Margot Honecker (beide waren in derselben Familie aufgewachsen) die Ausreise vorher mit der DDR-Regierung abgesprochen habe, tauchten erst viel später auf, galten jedoch allgemein als unglaubwürdig. Schließlich wußte jeder, daß den Sänger das Verbot, von einer kurzen West-Stipp-Visite zurückzukehren, völlig überraschend getroffen hatte. So sieht es heute auch die Geschichtsschreibung. * Im Kulturteil des Spiegel, des seinem Hausautor Wolf Biermann stets gewogenen Nachrichtenmagazins - ergreifend, wenn auch sprachlich ein wenig unpräzise, hat er dort beispielshalber seine Kamingespräche mit der CSU-Nomenklatura in Wildbad Kreuth geschildert (s Ossietzky 1/98) - findet sich auf Seite 135 der Nummer 32 vom 5. August 2002 unter der Überschrift "Ein Tisch wird vereinigt" ein bemerkenswerter Beitrag über die derzeit laufende Leipziger Ausstellung "Klopfzeichen". Dort wird als außergewöhnliches Exponat ein beschädigtes Möbelstück gezeigt. Zitat: Als der Liedermacher Wolf Biermann 1976 von der DDR ausgebürgert wurde, zersägte er seinen Arbeitstisch. Eine Hälfte ließ er im Osten, die andere Hälfte nahm er mit gen Westen. Nun fügt sich in Leipzig wieder zusammen, was einst auseinandergerissen wurde... Eine wirklich schöne Idee voller Symbolkraft. Nur: Wie hat Biermann, der doch in Köln von der Ausbürgerung überrascht wurde, das geschafft? Hat er ferngesägt? Oder beweist sich hier nur einmal mehr die Einmaligkeit eines un orthodoxen Genies? Biermann wäre dann der bisher erste und vermutlich auch einzige Sänger, der zu einem dreitägigen Konzert-Trip mit einem halben Tisch im Handgepäck aufgebrochen ist. Eins ist notwendigerweise gefälscht: entweder der symbolträchtige Halbtisch oder die Story über den ahnungslos von der Ausbürgerung überraschten Sänger. Verdammtes Langzeitgedächtnis! Es ist doch nichts so fein gesponnen... ach! Biermann. Ende.
Erschienen in Ossietzky 19/2002 |
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