Volk und Welt und Kossuth

von Willi Beitz

Der Ostberliner Verlag Volk und Welt hat, wie andere auch, den Untergang der DDR nur wenige Jahre überlebt. Nun hat Leonhard Kossuth, von 1958 bis 1989 bei Volk und Welt tätig, am Beispiel des von ihm geleiteten großen Lektorats "Sowjetliteratur" das mitgestaltete Stück Verlagsgeschichte erzählt und dokumentiert.

Wir erleben in der Rückschau die handelnden Personen des großen Hauses, den erzählenden Cheflektor und wagemutige Lektoren, die Autoren entdeckten oder wiederentdeckten, sich für so manchen Titel gegen Widerstände der Machtausübenden (im eigenen wie im anderen Land) ins Zeug legten, um der Sache willen listenreich handelten - und bei alledem engagierte Übersetzer, Redakteure, ja auch Sekretärinnen (bei Kossuth gibt es keine unwichtigen Personen) an ihrer Seite wußten. Er schildert uns den Verlagsbetrieb mit seinen Triumphen und Niederlagen, spart nicht die privaten Dramen aus, die sich in dem großen Haus ergaben: ein Stück pralles Leben aus dem Alltag der DDR! Bemerkenswert, wie unbefangen (nicht unkritisch) er mit den Realien dieses Alltags umgeht - kein beflissenes Wegretuschieren mißliebiger Details, heutigen Trends zuliebe. Sondern Klartext.

Kossuths legt Vorgänge bloß (erzählt auch immer wieder kleine amüsante oder nachdenklich stimmende Episoden am Rande), spart nicht die Verwicklungen aus, die es bei "schwierigen" Autoren wie Babel oder Ehrenburg, aber auch bei Simonow oder Granin gab, doch er kapriziert sich nicht auf das Hick-Hack im Hintergrund, er will vielmehr zeigen, wie auch lange Wege und Umwege am Ende doch zum Ergebnis, sprich: zum Buch, führten. Er nennt es "Leistungsgeschichte". So erfahren wir, was im Realsozialismus möglich war, mit wem man dabei rechnen konnte, mit wem nicht (manche dabei eingegangene Liaison paßt nicht in heutige Schemata). Kossuth ist ein Mann des wohltuend moderaten Urteils, fair gegenüber einstigen Widersachern, in der Polemik stets sachlich.

Für den Verlag war er ein Glücksfall. In einem zweisprachigen, den Künsten verbundenen Elternhaus in Kiew und Wien aufgewachsen, besaß er beste Voraussetzungen für die Aufgabe, ganze literarische Kontinente im Vielvölkerstaat UdSSR zu erschließen. Und so sind auch in seinem Buch Lebensgeschichte und Verlagsgeschichte eine glückliche Verbindung eingegangen. Dabei ist das Biographische objektiviert, in verschiedenen Zeitschichten beschaubar - indem er uns das Geschehen nicht in einem Block, sondern in vielen, auch selektives Lesen ermöglichenden, Facetten darbietet und immer wieder eigene frühere Texte einflicht - einfühlsame, von viel Kunstsinn zeugende Bemühungen um den Zugang zu ganz verschiedenen Literaturen des einstigen Sowjetlandes.

Leonhard Kossuth: "Volk & Welt / Autobiographisches Zeugnis von einem legendären Verlag", NORA Verlagsgemeinschaft, 379 Seiten, 25 Euro

Erschienen in Ossietzky 19/2002