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Aber auch als Dreicksgeschichte wäre er nicht richtig charakterisiert - obwohl die Handlung am Ende die drei Hauptfiguren auf einer ins tosende Meer treibenden Eisscholle zusammenführt, um ihre Beziehungen und Charaktere einer dramatischen Prüfung zu unterwerfen: Shadiger, den schwerfälligen Vorsitzenden einer Fischereigenossenschaft, der von der schönen Bakisat geträumt, aber nie um sie gekämpft hat, sondern dem sie unverhofft zugefallen war; Asim, den leichtlebigen Frauenliebling, dank glänzender Karriere Institutsdirektor, der Bakisat fast geheiratet hätte, wäre er nicht dem Rat des hochgestellten Onkels gefolgt, daß man begehrenswerte Frauen lieber anderen Ehemännern überläßt; und Bakisat selbst, die auf ein Glück als umworbene Frau Bedachte, das ihr Shadiger - "nur um seine Fische besorgt" - schuldig blieb, weshalb sie Asim zuliebe mit ihm bricht. Alle Drei erschließen sich dem Leser, indem sie vor sich selbst über ihr Leben Rechenschaft abzulegen suchen in einer Art reguliertem Bewußtseinsstrom. Shadiger - von Bakisat verlassen und vom einohrigen Intriganten Sary Schaja nebst mobilisierten Dorfbewohnern aufgefordert, seine Ehre mit Gewalt zu verteidigen - ist zu Pferde davongestürmt, dann auf das Eis des vertrauten Meeres hinausgegangen, und während er auf seine Spuren im Schnee zurückblickt, sucht er zu begreifen, was ihn in diese Katastrophe geführt hat. Aber die Katastrophe schließt die Zeit ein und seinen Beruf - mit unlösbaren Aufgaben, während mit dem Sinken des Wasserstandes (als würde der Märchenochse Kok-Ogus das Meer aussaufen) und dem Steigen der Salzkonzentration die Fische verschwinden. Seine Zeit, das sind auch Mißbildungen bei den Kindern als Folge der Raketenstarts auf Baikonur und Atombomben-Tests sowie nicht zuletzt der Wegzug von immer mehr Dorfbewohnern, denen die Erwerbsquelle verloren gegangen ist. Das Epos weitet sich mit der Selbstbefragung, zu der Asim und Bakisat gezwungen sind, als sie nach reichlichem Alkoholgenuß auf dem Weg zum entfernten Flugplatz ihren Schlitten noch zu dem rätselhaft verschwundenen, aber auf dem Eis entdeckten Shadiger lenken. Da bricht das Eis. Asim hat seine Karriere im Umgang mit Wissenschaftlern, mit der Partei- und Verwaltungsbürokratie gemacht. Statt gegen die Moskauer Pläne zur extensiven Wasserentnahme aus den Flüssen Amudarja und Syrdarja zu Gunsten von Baumwollfeldern zu protestieren, was die Pflicht seines Instituts gewesen wäre, hat er Theorien entwickelt, die Austrocknung des Aral werde dessen fruchtbaren Boden freilegen, und unter den Wüsten gebe es große unterirdische Süßwasserreservoirs. Bakisat holt er sich erst wieder, als seine Intrigen, noch mehr Macht zu gewinnen, gescheitert sind und er seinen Posten und die Parteimitgliedschaft verloren hat. So wird der Roman zum vielfältigen Gesellschaftsbild. Nurpeissow bedient nicht oberflächliche Unterhaltung, er schreibt für den denkenden Leser. Zu atemberaubender Spannung steigert er sich dennoch, wenn er verfolgt, wie Shadiger den Lkw über das brüchige Eis des Amudarja lenkt, um auf der anderen Flußseite mit seiner Brigade einen überraschend großen Fang zu machen. (Oder hat die "Weiße Fischmutter" aus der kasachischen Legende geholfen?) Treffend charakterisiert er gesellschaftliche Strukturen, wenn er Asim - den auf dem Weg zum Ersten Sekretär des Zentralkomitees ein Leichenwagen aufhält - träumen läßt, wie großartig einst seine eigene Beerdigung aussehen würde. Und gar die Szenen, da Asim auf dem Eis eine kurze Gelegenheit genutzt hat, die eigene Haut zu retten, während Shadiger, der sich um Bakisat gekümmert hat, mit gebrochenem und erfrorenem Bein stirbt und Bakisat sich eines gleichfalls auf die Eisscholle geratenen Wolfs erwehren muß. Zur russischen Ausgabe hat der angesehene Kritiker Lew Anninski ein nachdenklich-würdigendes Nachwort geschrieben, das den neuen Roman auch zu Nurpeissows früherer Roman-Trilogie "Blut und Schweiß" in Beziehung setzt (deutsch 1971-1974 beim Aufbau Verlag: "Irrwege", "Morgendämmerung", "Untergang"). Damals schon hatten namhafte Kollegen wie Louis Aragon oder Tschingis Aitmatow Nurpeissow in eine Reihe mit den bedeutendsten zeitgenössischen Autoren der Welt gestellt. Dem westeuropäischen Leser könnte Nurpeissow (geb. 1924, Präsident des kasachischen PEN) den Blick für einen Lebensraum öffnen, der zum ersten Opfer einer riesigen ökologischen Katastrophe geworden ist - mit Auswirkungen weit über die Grenzen Kasachstans hinaus. Nicht zu reden von den strategischen Verschiebungen, seit der "Anti-Terror-Krieg" in Afghanistan (der Amudarja bildet im Oberlauf zum Teil dessen Grenze zu Usbekistan und Turkmenistan) den USA geholfen hat, auch in den postsowjetischen zentralasiatischen Republiken Fuß zu fassen.
Erschienen in Ossietzky 19/2002 |
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