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Die Tamilen flüchteten in ihr Wohnheim, verfolgt von den deutschen Jugendlichen, die mehrfach zuschlugen, so daß zwei der Asylbewerber Verletzungen erlitten. Die zu Hilfe gerufene Polizei zog bald ab. Die Angreifer kamen wieder und warfen mehrere Scheiben des Wohnheims ein, wodurch ein weiterer Tamile verletzt wurde. Am nächsten Abend überfielen rund 50 Deutsche erneut das Wohnheim. Sie brüllten "Ausländer raus". Einige waren mit Eisenstangen bewaffnet. In Todesangst verbarrikadierten sich die Asylbewerber in einem Zimmer im ersten Stock. Schließlich kam die Polizei, die - so die Presseberichte - eine Stunde brauchte, um die aggressive Menge vor dem Haus zu "beruhigen" und die Tamilen in eine andere Unterkunft in einem anderen Ort zu bringen. Der Vorgang ist mehrfach ungeheuerlich. Daß es in einem ganz normalen deutschen Dorf 20 Jugendliche gibt, die sich als rassistische Schläger betätigen, daß es dort 50 Männer gibt, die einen Tag später bewaffnet und kaltblütig ein Pogrom beginnen, ist schon schändlich genug. Der Skandal geht aber weiter. Denn was tut unser demokratischer, den Menschenrechten verpflichteter Staat in dieser Situation? Sein Exekutivorgan, die Polizei, die Recht und Gesetz wahren soll, rückt an und "beruhigt" die Schläger. Statt die 50 bewaffneten Angreifer zu inhaftieren, die dabei waren, schwere Verbrechen zu begehen - über Volksverhetzung, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung hinaus -, schafft sie die Opfer weg und verhilft den Schlägern zu dem Erfolg, daß nach den Ausschreitungen das Dorf "asylantenfrei" ist. Eine Stunde braucht sie, um die Schläger zu "beruhigen". Weder Einkesselung noch Gummiknüppel, Tränengas und all die anderen Instrumente, die bei jedem friedlichen Protest gegen "Castor"-Transporte so ausgiebig zum Einsatz kommen, werden gegen die rassistischen Gewalttäter angewandt. Man stelle sich vor, wie die Polizei vorgegangen wäre, wenn 50 mit Eisenstangen Bewaffnete vor einem US-Konsulat oder einer BDI-Tagung randaliert hätten. Aber in Algermissen ging es ja lediglich gegen Asylbewerber, farbige noch dazu, und da "beruhigt" man eben nur die Heißsporne. Das ist sicherlich nicht direktes Komplizentum - unsere Polizei ist nicht rechtsradikal -, sondern Ergebnis des politischen Klimas im Lande. Gewalt gegen Ausländer ist eben nicht schlimmer als eine Kirmesschlägerei und kann dann polizeilich auch so behandelt werden. Wie tief die rassistischen und ausländerfeindlichen Affekte sitzen, zeigte auch die Aufarbeitung der Ausschreitungen in Algermissen. Dort fanden sich nach dem Pogrom Gemeindevertreter, Kirchen und Parteien an einem "Runden Tisch" und verurteilten die Ausschreitungen, gleichzeitig aber kritisierten sie, daß die Kreisverwaltung die Asylbewerber ihrem Dorf zugewiesen habe: "18 junge Männer in einem kleinen Ort unterzubringen, führt fast zwangsläufig zu negativen Vorkommnissen". Da ist es wieder, das aus der Möllemann-Debatte bekannte alte zynische Diffamierungsmuster, daß die Opfer eigentlich selbst schuld seien. Es ist deren bloße Anwesenheit, die "fast zwangsläufig" zu "negativen Vorkommnissen" führt - schöne Formulierung für Menschenjagd und versuchten Totschlag. Auch die sachlich falsche Behauptung des "Runden Tischs", daß die Täter nicht aus Algermissen gekommen seien, paßt in diese Art der Aufarbeitung, die an viele Verhaltensweisen nach 1945 erinnert: bedauern, beschönigen, die Schuld teilweise auf die Opfer schieben. Wie werden Justiz und Behörden auf die Vorfälle reagieren? Aller Erfahrung nach wird vermutlich keiner der Polizisten für den verständnisvolles Umgang mit den Tätern zur Rechenschaft gezogen werden, vermutlich wird es keine Anklagen gegen die Randalierer wegen versuchten Totschlags oder Mordversuchs geben, mit Sicherheit werden die braven Bürgerinnen und Bürger von Algermissen, die untätig den Ausschreitungen zugesehen haben, nicht wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Und die verantwortlichen Politiker, die - wenn das Ausland hinschaut - vollmundig und mediengerecht vom "Aufstand der Anständigen" gegen den Rassismus schwafeln, werden nichts tun. Die Menschenjagd in der niedersächsischen Provinz zeigt nicht nur einen schändlichen Teil unserer heutigen politischen Verhältnisse. Sie ist ein Lehrstück, das viele der Mechanismen und Verhaltensweisen verdeutlicht, die vor 70 Jahren in die deutsche Barbarei geführt haben. Wenn die Jugendlichen danach fragen, wie das damals geschehen konnte, wird man ihnen am besten die Geschichte von dem normalen deutschen Dorf Algermissen im Sommer 2002 erzählen.
Erschienen in Ossietzky 19/2002 |
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