Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Aus dem Kino nach Vietnamvon Heinz Kersten Nichts werde mehr sein wie vor dem Elften Neunten, der die Welt verändert habe. So tönte es allenthalben vor einem Jahr. Schon damals freilich war absehbar, daß diese Vorhersage, wie ähnliche Prophezeiungen stets, von der Wirklichkeit Lügen gestraft werden würde. Der Gipfel in Johannesburg hat es noch einmal bestätigt. Von den 2500 Empfehlungen des Treffens in Rio vor zehn Jahren blieb das meiste Makulatur. Daß die Umweltzerstörung und die Verarmung des größten Teils der Weltbevölkerung weitergehen, dafür sorgen durch Blockierung aller Fortschrittsbemühungen nicht zuletzt die USA. Neu ist allenfalls die Dreistigkeit, mit der der selbsternannte Globalsheriff Bush einen neuen Krieg propagiert. Zur Manipulierung des dazu benötigten Kanonenfutters bedarf es der Hilfe der wirksamsten Massenbeeinflussungsmittel Fernsehen und Film. CNN blendet seit einiger Zeit in seine Sendungen kurze Spots ein, in denen, sehr demokratisch, Stimmen auch einfacher Bürger aus allen Teilen der Welt zitiert werden, die einen Präventivkrieg gegen den Irak befürworten. Zwei Monate nach den Anschlägen auf World Trade Center und Pentagon traf sich Regierungsberater Karl Rove mit über vierzig Bossen von Hollywood-Studios und TV-Stationen, um sie auf die Anti-Terror-Koalition einzuschwören. Was eigentlich überflüssig war. Da Action-Filme in Videotheken gleich nach dem 11. September eine Umsatzsteigerung von 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr verzeichnen konnten, beeilte man sich, die fast 45 verschobenen Kinostarts von Filmen, die thematisch zu nahe an dem Schock waren, nachzuholen und profitträchtige neue Projekte in Auftrag zu geben. Wie ich hier vor einem Jahr ankündigte, verwandelt sich auch der Auslöser des "Krieges gegen das Böse" in Kinostoff. So soll der Absturz des Flugzeugs bei Pittsburgh samt vorherigen Kämpfen zwischen Entführern und Passagieren ebenso als Story dienen wie die "Hamburger Terroristenzelle" um Mohammed Atta. Als "Rambo IV" plant Sylvester Stallone diesmal seinen Einsatz gegen die Taliban, während eine TV-Serie die Afghanistan-Mission einfacher US-Soldaten gegen Al-Quaida glorifiziert. Hollywood wolle "helfen, Amerikas Botschaft zu verbreiten", erklärte der Vorsitzende der Academy of Television Arts and Sciences, Bryce Tabel, auf dem Beverly-Hills-Gipfel. Zum Verbreitungsgebiet gehört auch Deutschland, wo die patriotische US-Welle bereits auf die Kinoleinwände schwappt. Nur zwei Beispiele aus jüngster Zeit. "Der Anschlag" (womit noch nicht der vom 11. September gemeint ist) malt das Horror-Szenario eines atomaren Weltkrieges, der in letzter Minute verhindert werden kann dank eines jungen Supermanns von der CIA, dessen väterlicher Boß wie eine Kopie von Colin Powell aussieht. Wenn auch der fiktive Gegner immer noch Rußland heißt, ist dessen Präsident doch als Taube im Gegensatz zu den militärischen Falken gezeichnet, ganz ähnlich der Konstellation auf der amerikanischen Seite. Der Initiator des atomaren Anschlags in Baltimore ist ein Altnazi, der zu seiner Bombe durch Waffenhändler im Nahen Osten gekommen ist. Da ist der Weg nicht weit zu Saddam Hussein - der allerdings sein angebliches atomares Bedrohungspotential weder Osama bin Laden verkauft noch selbst eingesetzt hat wie bisher nur die USA in Hiroshima und Nagasaki. Lediglich bedingt zur moralischen Aufrüstung für einen Krieg gegen den Irak taugt ein Hollywood-Epos mit dem bezeichnenden Titel "Wir waren Helden", zeigt es doch ungeschönt den Blutzoll, der von autoritätshörigen US-Soldaten im November 1965 während der Schlacht im vietnamesischen Ia-Drang-Tal entrichtet wurde. Doch der Sinn oder besser Un-Sinn jenes Krieges wird nie in Frage gestellt - Präsident befiehl, wir folgen. So wie damals Johnson, so heute Bush und sein smarter Kumpan Blair, die natürlich nie selbst für Ölinteressen ihre Haut zu Markte tragen. Hierfür finden sich immer wieder alte Haudegen wie jener Lieutenant Colonel Moore, nach dessen Erinnerungen der Film entstand. Sein Kino-alter-ego Mel Gibson betet zu Hause als liebevoller Familienvater mit seinen fünf Kindern und schickt im Felde als väterlicher Kommandeur seine Männer - Befehl ist Befehl - in den Tod. Das erinnert an filmische Heldensagen der Goebbels-Propaganda, und die letzten Worte eines jungen Offiziers "Ich bin stolz, für mein Land zu sterben" rufen die Lateiner-Weisheit ins Gedächntnis, die früher jeder Schülergeneration eingepaukt wurde: "Dulce et decorum est pro patria mori". Ich durchlitt das patriotische Spektakel als Einstimmung auf eine Begegnung mit dem Originalschauplatz. Das kann freilich nicht wörtlich genommen werden, denn Pauschalreisen nach Vietnam beziehen keine Schlachtfeld-Besichtigungen ein, obwohl es bereits einen Nostalgietourismus amerikanischer Kriegsveteranen gibt. Im Alltag der Vietnamesen selbst spielen Erinnerungen an ihre Leidenszeit kaum noch eine Rolle. Konserviert sind sie neben Soldatenfriedhöfen im Kriegsmuseum in Saigon (Ho-Chi-Minh-Stadt), wo neben Waffen der Invasoren auch Fotos ihre Kriegsverbrechen dokumentieren. Die im Rahmen der Operation "Agent Orange" von Flugzeugen versprühten 75 Millionen Liter Gifte inklusive Dioxin - als deren Spätfolgen noch immer mißgebildete Kinder geboren werden -, entlarven Beschuldigungen gegen "Schurkenstaaten", chemischer Kampfstoffe zu entwickeln, als Heuchelei, und das Massaker von My Lai mit 504 getöteten Frauen und Kindern läßt plausibel erscheinen, daß sich heute die Bush-Administration vorsorglich gegen die Auslieferung eigener Bürger an ein internationales Kriegsverbrechertribunal wehrt. Ein Raum des Museums erinnert an die rund siebzig getöteten Fotografen beider Seiten: mit Kurzbiografien und ihren Fotos, die damals die Welt aufrüttelten und zu internationalen Solidaritätsaktionen beitrugen, von denen ebenfalls Zeugnisse aufbewahrt sind. Der Staatsgründer des heutigen Vietnam, dessen Namen wir damals auf Demonstrationen gegen den Krieg der Amerikaner skandierten, liegt - gegen seinen Wunsch - in einem Glassarg in einem Mausoleum in Hanoi, für das Lenins letzte Ruhestätte auf dem Roten Platz in Moskau als Vorbild diente. Anders als dort ziehen in der vietnamesischen Hauptstadt aber heute noch lange Menschenschlangen aus Schulen und Betrieben an "Onkel Ho" vorüber. Auch sein ganz einfaches Wohnhaus in der Nähe ist Wallfahrtsort geblieben. Die ungebrochene Popularität verdankt Ho Chi Minh, der 1969 starb, gewiß einer Bescheidenheit, die ihn zu Lebzeiten von anderen Potentaten unterschied. Die Nachfolger ignorierten seinen Wunsch, seine Asche in allen drei Landesteilen zu verstreuen. An das alte kommunistische Vietnam erinnert nur noch wenig. Die 1991 eingeleitete Doi Mei, eine politische und wirtschaftliche Öffnung des Landes, folgt ungefähr dem chinesischen Modell. Die Städte präsentieren sich nicht nur mit einem Verkehrschaos unzähliger Mopeds als lebendige moderne Metropolen und verdanken dem florierenden Tourismus Hotels von internationalem Standard. Wie auch in anderen Ländern ist der Dollar Zweitwährung neben dem heimischen Dong, der - ohne Münzen - nur in Banknoten bis zu 100 000 existiert. Wahrscheinlich hat die wechselhafte Geschichte ihres Landes - eine Kette von Fremdherrschaften, kolonialen und Stammeskriegen, aber auch kultureller Blüte - die Vietnamesen anpassungsfähig und nicht nachtragend gemacht. Ich sah junge Leute in T-Shirts mit dem aufgedruckten Sternenbanner und entdeckte auf der langen Cocktailliste eines Hotels neben einem "Multiplen Orgasmus" auch einen "B 52". Zuletzt saß ich in Saigon auf der Dachterrasse des Hotels "Caravelle", im Vietnamkrieg ein Journalistentreff, und las mit dem Blick auf das Kolonialhotel "Continental" in Graham Greenes Roman "Der stille Amerikaner", für den dieses traditionsreiche Haus den Hintergrund liefert. Dem Raubdruck einer Ausgabe des DDR-Verlages Volk und Welt hatte mir einer der vielen Straßenhändler für zwei Dollar verkauft. Durch die Titelfigur eines jungen CIA-Agenten mit der für so viele seiner Landsleute typischen Mischung aus Naivität und Sendungsbewußtsein besitzt das während der französischen Herrschaft Anfang der fünfziger Jahre spielende Buch gerade zur Zeit des lauten Amerikaners George W. Bush wieder neue Aktualität. Es hat sich eben nichts verändert mit jenem 11. September 2001, an dem der Terror auf ein Land zurückfiel, das auf den Tag genau 28 Jahre zuvor den Anschlag der Pinochet-Terroristen auf Chiles ersten sozialistischen Präsidenten Allende in der Moneda unterstützt hatte.
Erschienen in Ossietzky 19/2002 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |