Brief aus Kalifornien

von Kurt Singer

Das Unglück, das die Wasserfluten über einige südostdeutsche Regionen gebracht haben, hat seine Entsprechung in Kaliforniens Waldbränden. Dreißigtausend Morgen Fläche im Nationalpark Sierra Nevada sind verbrannt, die Reste des dortigen Waldbestandes stehen zur Versteigerung an. Die forstwirtschaftlichen Unternehmen wollen sämtliche Überbleibsel der Wälder abholzen lassen, auch die nur teilweise beschädigten Gehölze. Sie meinen, ein schonender Umgang mit diesem Terrain rechne sich nicht. Dagegen ist Protest aufgekommen. Naturschützer haben sich in einigen erhalten gebliebenen Bäumen eingenistet, und der Sierra Club mit seinen an die 700 000 Mitgliedern setzt sich für die Erhaltung der rotstämmigen Mammutbäume ein, die als Naturdenkmäler Respekt verdienen. Die Folksängerin Joan Baez hat die Protestler im Waldbrandgebiet besucht und ihnen Mut zugesungen.

Einige Gemeinden in Kalifornien haben aufgrund früherer Erfahrungen mit solchen Bränden vorbeugende Maßnahmen ausprobiert. In Laguna Beach griff man zu einem Mittel, das als Werk von Amateuren erscheint, sich aber als effektiv herausstellte: Der Stadtrat heuerte hundert Ziegen an, die den ausgedörrten Boden im Laguna Canyon ratzekahl fressen, so daß die vom Wind getriebenen Flammen hier keine Nahrung finden und sich nicht ausbreiten können. Laguna Beach hat ein besonderes Gesicht. Die Gemeinde hat nicht mehr als 25 000 Einwohner, aber im Sommer kommt über eine Million Menschen zu Besuch. An diesem Ort gibt es eine recht aktive Künstlerkolonie, viele Galerien, Kunst- und Kunsthandwerk-Ausstellungen. Der Bürgermeister, schon zum zweiten Mal gewählt, ist bekennender Homosexueller; Schwule und Lesben haben in Laguna Beach ihre eigenen, akzeptierten Milieus, sie betreiben profitable Restaurants, Bars und Geschäfte.

Kalifornien ist stolz auf seine Eigenheiten. Für die Republikanische Partei von Präsident Bush hat sich das kalifornische Terrain als höchst sperrig erwiesen. Die meisten politischen Ämter sind hier fest in der Hand von Anhängern der Demokratischen Partei. Der Bewerber der Republikaner für das Amt des Gou verneurs liegt gegenüber dem Kandidaten der Demokraten in der Gunst der WählerInnen weit zurück, insbesondere seitdem gerichtlich festgestellt ist, daß eine Firma seines Clans mit 67 Millionen Dollar in ein betrügerisches Geschäft verwickelt ist.

Im Bestreben, sich gegenüber der Politik Washingtons eine gewisse Unabhängigkeit zu verschaffen, hat Kalifornien seine Exporte nach Japan und China ausweiten können. Das betrifft sowohl den Handel mit Industriegütern als auch die Ausfuhr agrarischer Produkte. Auch Kuba kauft in ansehnlichem Umfange kalifornische Nahrungsmittel, gegen Cash. China bekommt Kredit. Kommunismus? Geschäft ist Geschäft.

Für die ungefähr 700 000 Farmarbeiter in Kalifornien aber sieht es alles andere als rosig aus. Die meisten von ihnen stammen aus Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern. Drei Viertel dieses landwirtschaftlichen Proletariats kommen nicht auf mehr als 10 000 Dollar Jahreslohn, sie leben in ärmlichen Wohnverhältnissen, haben keine Kranken- und Altersversicherung. Immerhin hat der Gouverneur des Staates Kalifornien sich jetzt bereit erklärt, den ohne Papiere arbeitenden Immigranten den Erwerb von Führerscheinen zu gestatten.

Andere Neuigkeiten aus Kalifornien: Einige hier angesiedelte Fernsehgesellschaften haben dem Ex-Präsidenten Clinton eine Rolle in einer Talkshow angeboten, für 500 000 Dollar. Er aber fordert als Honorar eine Million... Im Werte von etlichen Milliarden Dollar hat die Firma Boeing in Long Beach einen Auftrag des Pentagon bekommen: für den Bau von Transportflugzeugen, die schweres Militärgerät und Truppen befördern sollen.... Einige Studenten der Medizin an der Universität von Südkalifornien haben die Vermutung geäußert, Präsident Bush leide - schlimmer als sein Vorvorvorgänger Reagan, der seit Jahren wegen seiner Alzheimer-Erkrankung von der Öffentlichkeit abgeschirmt lebt - schon während seiner Amtszeit unter schwerem Gedächtnisverlust. Offenbar erinnere er sich nicht an die Erfahrungen der USA aus früheren Kriegen. In Vietnam beispielsweise.

Erschienen in Ossietzky 19/2002