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Ökonomisch: Die High-Tech-Rüstung ist teuer. Sie läuft am Wettbewerb und den Anforderungen des Marktes vorbei, indem sie dem Selbstlauf des Militärisch-Industriellen Komplexes folgt. Zahlreiche Waffenentwicklungen haben sich schon unter militärischen Gesichtspunkten als reine Geldverschwendung erwiesen. Politisch: Wenn die High-Tech-Rüstung als Ersatz gebraucht wird, weil die Bürger, nur noch auf ihr persönliches Wohl bedacht, nicht mehr bereit sind, sich fürs Gemeinwohl einzusetzen (wobei die Verteidigung nur der Extremfall wäre), dann ist der demokratische Staat im Grunde schon verloren - was sich eben am Militärisch-Industriellen Komplex zeigt, der nicht mehr demokratisch kontrolliert wird. Außerdem täuscht die Friedfertigkeit dieser Bürger, wenn sie äußere Konflikte gar nicht friedlich bewältigen, sondern ihnen ausweichen und sie auf andere abwälzen. Technisch: Es gibt keine Unverwundbarkeit. Der traditionelle Nationalstaat, der ein Territorium und eine Bevölkerung zu verteidigen hatte, kann im Atomzeitalter diese Funktion nicht mehr erfüllen. Der technische Fortschritt macht die Gesellschaften verwundbarer. Man denke nur an die Kernkraftwerke, Ölraffinerien und Öltanklager, die vielen Tausend Chemiebetriebe, das Gas-, Strom- oder Kommunikationsnetz - alles hochbrisante Ziele für Terroranschläge. Ethisch: Wie du nicht allein auf der Welt bist, so auch dein Staat. Wie du nicht Sicherheit dadurch erreichen kannst, daß du die anderen ständig bedrohst (und deine Drohung glaubwürdig zu machen versuchst, indem du ab und zu jemanden exemplarisch niederschlägst), so kann auch kein Staat Sicherheit allein erreichen, sondern nur mit den anderen zusammen. Theologisch: Das Streben nach absoluter Sicherheit ist nichts anderes als das Streben, Gott gleich zu werden, und das wird in beiden unsere Zivilisation prägenden Überlieferungen eindeutig verurteilt: in der griechischen als Hybris und in der jüdisch-christlichen als die Sünde schlechthin. Eine Politik, die alle diese Argumente mißachtet, und zwar bisher erfolgreich, läßt denen, gegen die sie sich richtet, nur zwei Möglichkeiten: die Bedrohung zu verinnerlichen, also sich zu unterwerfen, oder durch Gegendrohung, d. h. Terror, sich selbst zu behaupten. Was das moralische Empfinden angesichts dieser Politik zutiefst beleidigt, ist nicht nur die sich ständig wiederholende Ungleichheit des Kampfes. Es ist die zusätzliche Drohung gegen die, deren Existenz schon ökonomisch bedroht ist. Und es ist der Krieg, der vom Himmel herab geführt wird, um diejenigen, die ohnehin schon am Boden sind, noch unter die Erde zu befördern. Darin zeigt sich nicht gerade moralische Überlegenheit und Führungsstärke. Wer scheinbar human den persönlichen Kampf möglichst vermeidet, der verachtet den Gegner als Menschen, verstößt gegen das Gleichheits prinzip und leugnet die Einheit der Menschheit. Der Gegner aber, der sich auf der High-Tech-Ebene ohnehin nicht bewegen kann, ja kaum noch zu staatlich organisiertem Krieg fähig ist, hofft zunächst auf den Kampf am Boden, weil er sich als Mensch Respekt verschaffen will. Wird ihm dieser verweigert, so bleibt ihm gar nichts anderes mehr übrig, als die Zivilisation, die von ihm nichts wissen will, an ihren verwundbarsten Stellen anzugreifen und so an sein Dasein zu erinnern. Er macht damit nicht nur die High-Tech-Rüstung lächerlich. Er fordert auf brutale Weise die gemeinsame Sicherheit ein, auf die die USA meinen verzichten zu können. Daß er dies als Selbstmordattentäter tut, geschieht aus Ohnmacht und Verzweiflung. Aber er demonstriert damit genau die Bereitschaft, sich - auf extreme Weise: durch Selbstaufopferung - für sein Gemeinwesen einzusetzen, die wir anderen nicht mehr aufbringen, und stellt die westliche Zivilisation an ihrem wundesten Punkt infrage: dem schwindenden Gemeinsinn. "Der Dschihad hütet die Seele, die von McWorld verkauft worden ist, und strebt die moralische Einbindung an, die McWorld in seiner Fixierung auf die Freiheit der Konsumwahl verachtet." (Barber) Zudem beweist aber der Terrorist, indem er sein Leben wegwirft, die elementare menschliche Freiheit gegenüber denen, die wie Gott sein wollen, indem sie die Macht über Leben oder Tod der Menschheit in Händen halten und die Mehrheit mit dem Tod bedrohen, während sie ihr eigenes Leben auf phantastische Weise sichern wollen. Wer zum Sterben bereit ist, nicht mehr an diesem Leben hängt, dem kann man auch nicht mehr drohen. Es ist schon fragwürdig, Sicherheit herstellen zu wollen durch die Bedrohung ohnehin Schwächerer. Es ist unmöglich, sie durch die Bedrohung derer herstellen zu wollen, die den Tod nicht mehr fürchten. Edelbert Richter gehört (noch) für die SPD dem Deutschen Bundestag an.
Erschienen in Ossietzky 19/2002 |
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