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Anfang vom Ende?

Thesen zum Wahldebakel der PDS

von Uli Weiß


1. Die Verluste zeigen: Für eine zweite SPD gibt es keinen Bedarf.

2. Die Verluste zeigen weiter: Außer für die Seelsorge gebeutelter und in ihren Lebensleistungen beleidigter Menschen des Ostens braucht niemand eine Organisation, die sich sozialistisch nennt, die aber keinerlei ernsthafte Idee hinsichtlich einer sozialistischen Perspektive entwickelt. Die PDS hat – abgesehen von einem kurzen Lichtblick in der Wende – auch in ihren inneren Strukturen lediglich die Prinzipien westlich etablierter Parteienhierarchien rekonstruiert.

3. Die Verluste zeigen: Der Versuch, die von der Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten verlassenen sozialen und politischen Positionen zu übernehmen und den alten westlichen Sozialstaat zu verteidigen bzw. wieder zu aktivieren, wird nicht honoriert. Diese Versuche haben sich auch praktisch und theoretisch blamiert. Praktisch ist dies überall dort geschehen, wo sich die PDS an Regierungen beteiligte. In Sachsen-Anhalt, dann in Mecklenburg-Vorpommern und nun dramatisch in Berlin wurde in Tolerierung und Regierungsbeteiligungen bewiesen, daß die sozialstaatlichen Wahlversprechen auch der PDS Illusion oder Betrug sind. Theoretisch sind diese Versuche Ausdruck des Unverständnisses für die tieferen Gründe des Verlassens alter sozialstaatlicher Positionen durch alle etablierten Parteien: Mit der alten fordistischen Produktionsweise ist auch der fordistische Sozialstaat obsolet geworden.

4. Die Verluste zeigen: Die Fortsetzung dieser erfolg- wie begriffslosen Politik wird in überschaubarer Zeit zur völligen Bedeutungslosigkeit der PDS führen.

5. Gibt es noch irgendeine Chance, daß sich die PDS zu einer tatsächlich sozialistischen Emanzipationsbewegung wandelt?

Solchen Versuchen stehen wenigstens zwei Kräfte entgegen – die PDS-Führung und ein Großteil der Mitgliedschaft:
Erstens hat die Führung weder die praktische Fähigkeit noch das theoretische Verständnis dafür, ernsthaft die Frage nach alternativen Arbeits- und Lebensweisen aufzuwerfen. Diese Unfähigkeit ist nicht den einzelnen engagierten Funktionären als Personen anzulasten sondern Ausdruck ihrer gesamten politischen Existenzweise, die auf den Gang in und durch die Machtinstitutionen gerichtet ist. In welcher Zusammensetzung auch immer, die Führung wird nicht in der Lage sein, das zu tun, was von einer sozialistischen Bewegung zu verlangen ist.
Zweitens kann die – bis auf wenige Ausnahmen – autoritäts- und staatsfixierte PDS-Mitgliedschaft von ihrer ganzen kulturellen Tradition her kein Ausgangspunkt von Emanzipationsbewegungen sein. Einer der ersten Schritte in solche Assoziationen, die praktisch und theoretisch längst die Frage nach neuen Lebens- und Arbeitsweisen aufwerfen, ist eben der Bruch mit den Strukturen etablierter Parteien (die der PDS ebenso eingeschlossen wie die alter Parteien kommunistischen Typus).

6. Auch wenn die massenhaften Ent-Täuschungen von der PDS-Politik (wie die von allen etablierten Parteien) ein erster Schritt hin zu eigenem Engagement in Emanzipationsbewegungen sein können, angesichts der fortschreitenden barbarischen Durchkapitalisierung des gesamten Lebens ist die Gefahr mindestens genauso groß, daß Rassismus, Nationalismus und Fundamentalismus zunehmen.

7. Das PDS-Debakel kann also auch für Menschen, die Wege aus dem Kapitalismus suchen und die sich schon lange von den Grünen, von der SPD und der PDS abgewandt haben, kein Grund zum Frohlocken sein. Es kann nur als Herausforderung begriffen werden, jenseits der Grundstrukturen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft praktisch und theoretisch nach lebbaren Alternativen zu suchen. Mit praktischen Erfahrungen und theoretischen Erkenntnissen sollte aktiv in die jetzigen Prozesse des Ent-Täuschens auch von der PDS eingegriffen werden.


Berlin, 23. 9. 2002

Ulrich Weiß ist PDS-Mitglied, ehem. Mitglied des Berliner Landesvorstandes, jetzt engagiert im Verein Helle Panke e.V. (uli@helle-panke.de) und im selbständigen Diskussionskreis Wege aus dem Kapitalismus (siehe: "Projekt wak", Texte: Opentheory.org)

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sopos 9/2002