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Ihre Auslassungen, Weglassungen waren wie ein Sog, der Leser hatte keine Wahl, er mußte die von ihr vorgegebenen Räume erkunden. Ein neuer Ton war zu hören, eine Solistin hatte sich zu Wort gemeldet. Und eine Solistin ist sie geblieben bis heute. Hoch gelobt, aber dadurch nicht irritiert. Sie hat sich nicht aufgelöst in der Dauerwoge öffentlicher Anerkennung, sondern sich stets wieder zurückgenommen, ist bei sich selbst eingekehrt und legt - nach langer Pause - Text um Text vor. Angela Krauß beschreibt genau. Ihre Emotionen geben ihren Sprachbildern die Farbe. Manchmal sind es Schnittbilder. Wie im Film. Mit dieser Technik (short cuts) befördert sie ganze Spektren möglicher Betrachtung ins Bewußtsein des Lesers. Ihr Humor ist schwarz. »In dieser Stadt gibt es Gänge, Tunnel und Hof labyrinthe ... am einsamsten aber ist der hintere Querbahnsteig des Leipziger Hauptbahnhofes, des größten Kopfbahnhofes Europas ... ein weiß gekachelter Tunnel mit einem Urinfleck aus dem Jahre 1912.« 1990. »Alle um mich herum handeln längst. Sie überholen mich alle.« Während andere überstürzt ihren Platz in der neuen Gesellschaft suchen, reißt die Ich-Erzählerin nachts die Tapeten von den Wänden ihrer Wohnung und skizziert dabei das »Biotop Haus« und seine Bewohner; präzise markiert sie ihre Soziographie. Die Beschreibung ist stets sinnlich, was sie auch beschreibt: ein Gleis, einen Waggon, eine Landschaft oder eine Person. Man schmeckt, riecht, atmet gemeinsam mit ihr. »Die Russen sind fort.« Eine kurze Schilderung, wie und wo sie gelebt hatten in ihrer Nähe. Freundlich betrachtet. »Als ich das Licht der Welt erblickte, waren sie schon da ... und schon sind sie fort.« Mit wenigen trockenen Sätzen umreißt Angela Krauß fünfzig Jahre Geschichte. Von einer Küchenfrau in der Kantine der Reichsbahnausbesserungswerke sagt sie: »Und sie steht mit ihrem zutraulichen Apfelgesicht an diesen olivgrünen Trögen, diesen tarnfarbenen Kartoffeltrögen, die hier im Leben aller Kindergartenkinder, Hortkinder, Schulkinder, aller Ferienlagerkinder, Fachschüler und Hochschüler, im Leben eines jeden Soldaten der Volksarmee, in den verlängerten Kurpatientenleben und in denen von Lehrgangsteilnehmern sämtlicher Reifestufen, in unser aller Leben einen Platz einnehmen, von dem sie nichts wird verdrängen können.« Sie wertet nicht, sie hat gesammelt und zeigt uns ihre Sammlung. Wir assoziieren frei dazu. Scheinbar frei. Denn Krauß knackt die bittere Nuß, legt den Kern bloß, um den ihre Gedanken kreisen. Und zwingt unsere dazu. Es folgt »der Wandel«. Er braucht »die Tat«. »Ein Stau lang aufgesparter Taten ist losgebrochen, ergießt sich über das Land und rührt den Schlick auf ... Ich stelle sie (die Tat) mir vor, anders als alles, was in den Zeitungen angeboten wird. Das Gegenteil. Etwa die Entdeckung eines Naturgesetzes, das ein anderes aufhebt...« Und während, beinahe ausnahmslos, ein ganzes Volk losrattert, den »Anschluß« nicht zu verpassen, reißt die Ich-Erzählerin Tapetenschichten aus achtzig Jahren von den Wänden ihrer Wohnung, resümiert über »Einzelliebe« und »Gesamtliebe«, über die Liebe zu ihrer Stadt Leipzig: »Nur ich verstand mich auf das erschöpfte Gesicht dieser Stadtwelt. Durch langes, genaues, liebendes und wütendes und verzweifeltes Anschauen gewann ich sie gern, langsam, Jahr um Jahr, für mich. Sie hat keinen Liebreiz. Nichts Zärtliches, nichts was tröstet. Sie war die Welt, die es auszuhalten galt, und ich war ihr gewachsen.« Wenige Zeilen später: »Sie (die Ich-Erzählerin) kann sich nicht unterbringen, nirgends.« Das Verlorensein, ihre Suche nach den Koordinaten! Fotografisch genau ist ihre Zustandsbeschreibung von Menschen in unserem Land Ehemals, trefflich sind die Bilder, an denen diese Empfindungen festgemacht werden. Flimmerndes Licht, Staubwirbel, Auflösung droht allen in allem. Ihre Frage ist, was dem entgegenzusetzen sein könnte. Auf jeden Fall: sich ganz anders verhalten, als andere sich verhalten. »Meine Zukunft irrt durch die weite Welt. Ich muß sie erst wieder einfangen.« Und: »Vor fünf Jahren zerfiel ich in meine Einzelteile. Aber langsam, ohne daß ich es merkte. Zwei Jahre hat es gedauert, bis ich merkte, daß sich die Einzelteile nicht mehr zu einer Tat aufrufen ließen, die von mir stammt.« Fünfzig Seiten, beinahe die Hälfte des schmalen Bandes, nimmt sich Angela Krauß Zeit für die Einleitung, dann hebt sie ab, fliegt in die neue Welt. Nach Westen. Beschreibt ihr Glücksgefühl. »Ich hatte eine Erde verlassen und eine neue betreten, ich fand keinen Schlaf mehr.« Und dieses Staunen, daß extrem andere Leben, andere Vegetationen und Klimalagen, andere Ordnungen all die Zeit existiert haben parallel zu ihrem Dasein an ganz anderem Ort! Nach sechs Tagen war das frühere Leben »in ein Loch gefallen und verschwunden.« Ihre Welt steht Kopf. Und sie mit ihr. Überfliegt die Erdkugel, mit Zwischenlandungen da und dort in Amerika, Kanada, weiter gen Westen, kommt wieder im Osten an: Mongolei, Ural, Moskau. Im letzten Kapitel, das uns den Zerfall der Sowjetunion an Händlern, Hasardeuren und anderen Wagehälsen vorführt, startet sie schließlich wieder Richtung Heimatland und resümiert: »Ich will nicht sterben! Schrie ich da mit glasklarem, beobachtendem Geist, mit einer ganz neuen Art von Begeisterung.« Und landet und ist bei sich selbst angekommen. Kunstvoll, einfach, wie in den Märchen dieser Welt. Die neue Tat von Angela Krauß ist ein Glücksfall für Menschen, die das Lesen lieben. Angela Krauß, »Die Überfliegerin«, Suhrkamp Taschenbuch, 123 Seiten, 6 €
Erschienen in Ossietzky 17/2002 |
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