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Vorn befindet sich ein gewaltiger dunkelroter noch zugezogener Vorhang. »Dies nun«, sagt der Reiseführer, »ist der Saal, den unsere Vorfahren Theater nannten. Sie sehen hier, daß jeder Sitz eine Nummer hat. Jeder Besucher bekam eine Eintrittskarte, die er natürlich bezahlen mußte. Es klingelte zweimal, danach einmal lang. Das hieß, sie mußten nun die Plätze einnehmen, ob sie wollten oder nicht.« Ein leises empörtes Raunen ging durch die Touristengruppe. »Auf dieser Karte war eine Nummer«, fuhr der Reiseführer fort, bemüht, langsam zu sprechen, damit es auch alle kapierten. »Ich reiche einmal eine solche Karte herum, und Sie finden die Nummer einschließlich der Reihe, in denen sich der Sitz befindet, rechts unten. So konnte der zugewiesene Platz ohne Streitereien, wie heutzutage um die beste Sofaecke, eingenommen werden. In der Regel waren die sogenannten Theaterbesucher dem Ereignis entsprechend gut angezogen, trugen festes Schuhwerk und keine Pantoffel oder Schlafanzüge. Hatte der Besucher seinen Platz erreicht, klappte er den Sitz herunter, setzte sich und legte die Ellenbogen dicht an den Körper gepreßt auf die hier befindlichen Lehnen. Meistens zwei bis drei Stunden, in denen er nicht zum Bier oder zur Salzbrezel greifen konnte. Dazu waren die großen Pausen da. Aber nicht etwa die Ehefrau brachte das Begehrte, nein, sie mußten hinausgehen und sich an den Büfetts danach anstellen. Öfters blieb dann keine Zeit mehr für die Toilette, und so saßen viele Theaterbesucher mit übereinander verkniffenen Beinen da und folgten biologisch diszipliniert den Vorgängen, die sich hinter dem nun aufgezogenen Vorhang ereigneten. Dies war sehr anstrengend, und man mußte sich alles sofort einprägen, denn es gab keine Wiederholungen in Zeitlupe und auch keine Werbepausen, die zu erholsamen Trips in Supermärkte animierten. Wenn Sie jetzt Fragen haben, bitte.« Nachdem sich die Reisegruppe vom Entsetzen erholt hatte, erklangen die ersten verwunderten Rufe. »Aber hier kann man doch gar nicht die Beine bequem ausstrecken!« »Und wo ist hier die Fernbedienung?« »Wieviel Programme sind möglich?« »Wer regelt das Umschalten? Wie kann man sich in solch einer Menschenmasse einigen?« »War an den Büfetts auch die Bild-Zeitung erhältlich?« Nun, kehren wir zurück in die altmodische Gegenwart, wo das Theater noch existiert, kämpfend um seinen Verbleib zwar und deshalb manchmal ausfallend in gewinnträchtige Affektiererei, aber immer noch faszinierend, aufregend, hintersinnig, und ich gehe da hinein voller Erwartung und Neugier. Ein spottlustiger Freund behauptet, ich ginge nur hinein, um ihn zu treffen und zu beobachten, ob er die Sache da vorn auch verstehe. Jetzt bin ich unsicher geworden. Denn im Foyer kommt mir immer ein anderer entgegen mit der Bemerkung, er freue sich, mich zu sehen. Theater als Intelligenztest? Zwei Reihen hinter mir lachten schon welche, als ich glaubte, es gibt gar nichts zu lachen. Die Sache da vorn war bis zur Generalprobe die Sache des Schauspielensembles. Nun macht es uns zu Mitwissern einer Szenerie menschlicher Konflikte. Denn Dramatisierung des Lebens ist es allemal, Zusammenbruch oder Aufbruch der Gefühle, Erschütterung oder Erheiterung, Zuspitzung der Wirklichkeit zugunsten der Wahrheit. Und manchmal tut die Wahrheit so weh, daß sie uns als unwirklich erscheint. Es gibt keinen besseren Versammlungsort seelischer und seliger Kollektivität als den des Theaters. Der Schreck beim Wahrnehmen der Wahrheit erträgt sich gemeinsam leichter, ein schallendes Gelächter in der Masse macht uns zu Übergrößen. Draußen, jenseits des Theaters, rollt das Leben scheinbar unbeteiligt weiter und erzeugt neues Theater. Und es laufen dort welche herum, die kommen nicht herein, da sie von der Nüchternheit und Nützlichkeit ihrer Tätigkeiten und Tätlichkeiten so überzeugt sind, daß sie Don Quichote für einen Wirtschaftstäter halten, weil er Windmühlen zerstört. Wenn ein Schauspiel gut ist, wird aus einem Schaulustigen ein Beteiligter. Wir versuchen den »Aufstieg auf den Fudschijama« und erleben den Abstieg von Charakteren. Aber es bleibt immer einer oben zurück, an den wir glauben wollen. Denn wir sind hungrig nach Gerechtigkeit. Die plötzlich eintretende atemlose Stille im Zuschauerraum, wenn eine einzige Geste Schmerz oder Glück ausdrückt, ist das Lauteste, was ich kenne. Der große Auftritt des Publikums ist am Ende sein Beifall. Die Schauspieler stehen vorn an der Rampe im Licht, man sieht ihre Erschöpfung, sieht, daß es Arbeit gewesen ist. Einmal aber erlebte ich, wie am Schluß eine Stimme über den Lautsprecher verkündete, die Asche eines Mannes namens Eichmann sei ins Meer verstreut worden, damit sie nie wiederkehre. Eine Uhr tickte, immer lauter werdend, mit hartem Schlag in den Zuschauerraum. Als käme sie näher. Und wir saßen wie erstarrt, nicht fähig zum Beifall, wissend, daß wir damit ein Band zerrissen hätten. Dann standen wir auf und verließen stumm den Raum. Jeder mit sich allein. Jeder mit den anderen–...
Erschienen in Ossietzky 17/2002 |
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