Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Ich bin leider überqualifiziertvon Birgit Carls Ich möchte mich Ihnen vorstellen: 38 Jahre alt, stellungssuchend. Reicht Ihnen das schon? Wollen Sie nun gleich gar nichts mehr von mir wissen? Oder darf ich Ihnen kurz meinen beruflichen Werdegang schildern? Ich bin als Erzieherin ausgebildet, staatlich anerkannt und habe vier Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Dann verließ ich die begonnene Laufbahn, um auf dem Zweiten Bildungsweg das Abitur nachzuholen. Während meines Studiums der Sozialwissenschaften arbeitete ich mehrmals bei Continental, so daß mir Akkordarbeit und die Qualitätskontrolle in der Keilriemen-Produktion nicht fremd blieben. Ich war auch zeitweilig Briefzustellerin bei der Post, arbeitete beim Großhandel Schaper und beim Energiekonzern BEB in der Kantine sowie bei Pelikan, als dieses Unternehmen noch bestand. Ich schloß mein Studium innerhalb der Regelstudienzeit ab - und das gelang mir, obwohl ich die Chance eines einjährigen Auslandsstudiums auf Kuba wahrgenommen hatte. Dazu muß erklärt werden, daß deutsche Universitäten meine kubanischen Zeugnisse nicht anerkannten, so daß ich alle Scheine des Hauptstudiums erst mit einem Jahr Verzögerung machen konnte. Nach meiner Rückkehr von der Karibikinsel leitete ich über sechs Semester ein Seminar zum Thema Kuba und Lateinamerika und war Mitarbeiterin in einem Forschungsprojekt, das sich mit dem Gemeindesystem auf Kuba beschäftigte. Da schon 1996 im Fachbereich Sozialwissenschaften Stellen gestrichen wurden, versuchte ich nach Abschluß der Diplomprüfung mein Glück beim Arbeitsamt. Der Auskunftsbeamte im Erdgeschoß erklärte mir, als Diplomsozialwissenschaftlerin solle ich mich in der vierten Etage melden. Falls Sie eine solche heilige Stätte der Arbeitvermittlung noch nie betreten haben, sei erläutert, daß sie hierarchisch geordnet ist und Akademikern selbstverständlich im obersten Stockwerk ihren Platz zuweist. Doch mein Höhenflug währte nur kurz, denn als ich oben angekommen war, teilte mir eine Sachbearbeiterin kühl mit, in meinem Fachgebiet könne ich keine Stelle erhalten, da erstens schon zu viele arbeitslose Sozialwissenschaftler um zu wenige Beschäftigungsangebote konkurrierten und zweitens ich zu alt sei. Damals zählte ich gerade 32 Jahre. Auch meine Hinweise auf Auslandsstudium und Zusatzqualifikationen zählten nicht. Die kühle Dame ließ mir aber ein Quentchen Hoffnung und schickte mich in den zweiten Stock. Dieser ist für die ausgebildeten Facharbeiter vorgesehen - ich sei ja zu meinem Glück auch noch Erzieherin. Also machte ich mich auf den Abstieg und traf im zweiten Stock meine nächste Arbeitsvermittlerin an - die mir gleichfalls keine Arbeit vermittelte. Diesmal war die Begründung, mit meinem abgeschlossenen Hochschulstudium sei ich für den Beruf der Erzieherin überqualifiziert; außerdem sagte sie, was schon ihre Kollegin erwähnt hatte: Ich sei zu alt. Meine Bereitschaft, entsprechend den Forderungen von Bundesregierung und Arbeitsamt notfalls auch einen Job unterhalb meines akademischen Grades anzunehmen, half mir nicht. Nach dieser zweimaligen Abfuhr trug ich mich mit dem nicht ganz widersinnigen Gedanken, schon mal die Rente zu beantragen, da ich laut Arbeitsamt zum alten Eisen zählte und der Arbeitsmarkt mich nicht mehr benötigte. Aber da ich für die Rente noch zu jung, für ein ordentliches Beschäftigungsverhältnis hingegen zu alt war, mußte ich wenigstens schnell irgendwelche Erwerbsmöglichkeiten finden, denn der Mensch kann ja von Luft und Liebe allein nicht existieren. Komischerweise wurde ich trotz meines hohen Alters als Hausmeisterin in einem Freizeitheim eingestellt und durfte nun Saal und Tagungsräume mit vielen Tischen und über zweihundert Stühlen ein- und ausräumen. Wer's nicht glaubt, sollte es mal versuchen: Das ist Schwerarbeit. Während meiner dreijährigen Tätigkeit wuchs aber nicht nur meine Muskelkraft, sondern auch meine handwerkliche Erfahrung; beide können im Alltag durchaus nützlich sein. Nichtsdestotrotz ließ mich der Gedanke nicht los, doch noch als Sozialwissenschaftlerin wirken zu können. Durch Zufall erfuhr ich von einer Bekannten, daß ein angehender Sozialwissenschaftler einen Reiseführer über Kuba plante. Also genau mein Thema. Und diesmal war das Glück auf meiner Seite. Die Zusammenarbeit mit dem Autor entwickelte sich gut; wir fanden nach einigen Monaten einen Verlag und konnten die Recherchereise antreten. Zu diesem Zweck mußte ich Deutschland für zehn Wochen verlassen - mit der Folge, daß meine Erwerbstätigkeit im Freizeitheim ein Ende nahm. Der Verlag zahlte einen Vorschuß von 3000 Mark, wovon wir die Flugtickets für zwei Personen kaufen konnten. Damit war klar, daß ich einige Wochen an einem hochinteressanten Projekt mitarbeiten konnte, aber nachher wieder auf Arbeitsuche gehen mußte. Um mich erst einmal über Wasser halten zu können, beantragte ich beim Sozialamt Hilfe zum Lebensunterhalt. Nach einigen Wochen entdeckte ich eine Stellenanzeige, in der der »Offene Kanal«, ein kommunaler Fernsehsender, nach einer Sozialhilfeempfängerin suchte, für deren zeitweilige Beschäftigung die Gemeinde laut Bundessozialhilfegesetz einen Zuschuß zahlt. Ich bewarb mich sofort, und nach dem Vorstellungsgespräch mit dem Chefredakeur war mir die Stelle im Ressort Frauen, die sogar meiner Ausbildung als Sozialwissenschaftlerin entsprach, sicher. So dachte ich, so dachte auch der Redakteur. Wir hatten aber die Rechnung ohne das Sozialamt gemacht. Die Behörde entschied gegen uns und berief sich auf einen Stadtratsbeschluß. Begründung: Ich sei verheiratet, und mein Mann verdiene monatlich mehr als 630 Mark. Tatsächlich erhielt er 1250 Mark. Wenn das Amt von meinem zukünftigen BSHG-Gehalt die 620 Mark Differenz hätte abziehen wollen, hätten wir uns natürlich darauf eingelassen, aber Ratsbeschluß ist Ratsbeschluß und nicht im Einzelfall variierbar. Also setzte ich meinen langen Marsch fort und fand zu meinem Erstaunen wieder nur Arbeit weit entfernt von meinen Qualifikationen. Momentan arbeite ich als Behindertenbetreuerin und Nachhilfelehrerin - obwohl ich keine pflegerische Ausbildung absolviert, kein Staatsexamen abgelegt habe. Meine letzten Vorstellungsgespräche aber verliefen alle gleich: Die potentiellen Vorgesetzten schwärmen von meinen vielfältigen Kenntnissen und meinem Erfahrungshorizont. Einige Tage später erhalte ich dann eine Absage mit der traurigen Nachricht, ich sei »leider überqualifiziert«. Das Bedauern klingt beinahe rührend. Wann in Nueva Gerona auf der Isla de la Juventud die Eisdiele geöffnet hat, wieviele Blätter an einer Tabakpflanze sitzen, wo in der Hauptstadt die Kundgebung am 1. Mai stattfindet und wieviel eine Abtreibung kostet (nämlich nichts) - all das und viel mehr erfährt man aus dem Reiseführer »Kuba - selbst entdecken«(mit vielen Farbfotos und Stadtplänen) von Dirk Krüger und Birgit Carls, Regenbogen-Verlag Zürich, 635 Seiten, 24.80 €
Erschienen in Ossietzky 17/2002 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |