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Wissenschaftler und Politiker aus aller Welt haben es in Rio de Janeiro erörtert und in Kyoto; jetzt in Johannesburg werden sie es sich nochmals bestätigen: Die Erde erwärmt sich. Das Eis an den Polen wird dünner, die Wüsten am Äquator dehnen sich aus. In Europa zum Beispiel sind die Winter innerhalb von 30 Jahren um zwei Grad wärmer geworden. Immer mehr Wasser verdunstet, deswegen fällt dann immer mehr Regen, Hagel, Schnee. Die Niederschläge in Europa haben seit Anfang der 1970er Jahre um fast ein Drittel zugenommen. Und es hat sich auch längst herumgesprochen, daß es nicht die Natur ist, die da gegen den Menschen wütet, sondern der Mensch gegen die Natur und damit gegen sich selbst. Stark beteiligt an der Aufheizung der Atmosphäre ist der autofahrende Mensch. Mit jedem Tritt aufs Gaspedal trägt er zur Produktion von Kohlendioxid bei. Und der flugreisende Mensch – ein Klimakiller. Aber kaum kommt jemand auf diese Ursachen zu sprechen, schon hören alle weg. Sein Auto, seine Flugreise will sich niemand vermiesen lassen. Ein Tabu. Also sei hier darüber gesprochen. * Eric Hobsbawm hat das vorige Jahrhundert das »der Extreme« genannt. Ein gescheiter und gelehrter Mann, aber ein billiger Begriff, auf den er das 20. Jahrhundert bringt. Mir zu billig. Hätte man so nicht schon am Ende jedes vorangegangenen Jahrhunderts räsonnieren können? Außerdem befürchte ich immer, wenn ein Linker über die Extreme klagt, daß er es sich in der Mitte bequem machen möchte, also nach rechts rückt. Als ich vor einigen Monaten vor Gewerkschaftern über das vergangene Jahrhundert zu sprechen hatte, erkühnte ich mich selber, es auf einen Begriff zu bringen, indem ich es als das »des Antikommunismus« darstellte. Thomas Mann hatte den Antikommunismus die »Grundtorheit des Jahrhunderts« genannt. Die Grundtorheit, so meine These, erwies sich dann als die entscheidende Kraft der Epoche. Dieser Erklärungsversuch erscheint mir nach wie vor lohnend. Ich gebe ihn nicht auf, auch wenn ich jetzt – während andere vom Jahrhundert- oder sogar vom Jahrtausendhochwasser sprechen (ohne zu bedenken, daß das Jahrhundert und das Jahrtausend eben erst angefangen haben) – rückblickend vom »Jahrhundert der Autos« sprechen will. * Ilja Ehrenburg, einer der großen Erzähler des 20. Jahrhunderts, berichtet von einer Autofahrt, die Emile Zola im Jahre 1898 von Paris nach Versailles unternimmt – einer »Erkundungsreise ins 20. Jahrhundert«. Zola prophezeit lächelnd: »Die Zukunft gehört dem Automobil. Davon bin ich überzeugt. Die volle Bedeutung solch einer Erfindung läßt sich heute schwer abschätzen. Die Entfernungen werden sich verringern, folglich ist das Automobil ein neuer Wegbereiter der Zivilisation und des Friedens. Schließlich wird es zweifellos den Wohlstand heben.« Ehrenburg beendet die knappe Schilderung mit den Worten: »Das Automobil rattert und stinkt.« Und dann befaßt er sich in seinem Ende der 1920er Jahre geschriebenen Buch »Das Leben der Autos« mit André Citron und Henry Ford und dem Benzin-Industriellen Sir Henry Deterding (Royal Dutch Shell), mit den Konkurrenzkämpfen der Konzerne, mit den Reklamefeldzügen, mit den Kriegen um Kautschuk und Erdöl. Mit der ständigen Beschleunigung. Mit der Faszination. Und den Opfern. Es lohnt sich, dieses Buch hervorzuholen. Oder auch Ehrenburgs zuvor geschriebenen Roman »Trust D« über die Zerstörung Europas. * Rudolf Bahro, ein Träumer aus der DDR, der mit seinem Buch »Die Alternative« zeitweilig die damals noch junge Partei der Grünen beeinflußte, empfahl, die Autobahnen »abzuschälen« – nicht nur um den Autoverkehr einzuschränken, auch um die Erde vom Beton zu befreien, damit sie wieder Regenwasser aufnehmen und Pflanzen sprießen lassen kann. Klimaschutz. Über eine solche Empfehlung lächelte damals auch schon mancher Grüne – wie man eben als Realpolitiker über einen Träumer lächelt. Die jetzt dem Autokanzler Schröder fest verbundenen Grünen haben im bayerischen Landtag noch eine umweltpolitische Sprecherin, Ruth Paulig. Sie rechnete lt. Frankfurter Rundschau dieser Tage angesichts des Donauhochwassers vor, daß allein in Bayern täglich 28 Hektar Boden überbaut werden, großenteils mit Verkehrsflächen. Für die nächsten zehn Jahre seien 4000 Kilometer Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen geplant (dazu Gemeindestraßen). Und: Die Kohlendioxid-Emissionen seien in den 1990er Jahren in Bayern um 6,2 Prozent gestiegen. Das ist die Katastrophe. Die politische, die von Menschen gemachte Katastrophe – mit voraussehbaren, längst vorausgesehenen Folgen. Denn seit mehr als zehn Jahren weiß jeder, der sich nicht die Ohren zuhält, daß die Treibhausgase weltweit um 50 Prozent und in solchen Industriestaaten wie Deutschland um 80 Prozent verringert werden müssen, wenn dieser Planet nicht für uns alle zur Hölle werden soll. Jetzt ereignet sich, was immer wieder prophezeit worden ist: Orkane, Hagelschläge, Überschwemmungen. Tausende Menschen ertranken in den vergangenen Wochen im Hochwasser, die meisten in Asien, wenige hierzulande. Dafür sind in diesem reichen Land die materiellen Schäden größer. Und jetzt werden die Verluste sozialisiert. * Nicht nur die Grünen, auch andere Parteien haben in früheren Wahlkämpfen vom Vorrang gesprochen, der dem öffentlichen vor dem privaten, dem Schienen- vor dem Straßenverkehr gebühre. Aber wenn die Wahlen vorüber waren, stimmten sie zu, daß noch mehr Straßen gebaut, noch mehr Bahnstrecken stillgelegt wurden. Die Post traf die fatale Entscheidung, ihre regionalen Briefverteilzentren abseits von Bahnstrecken zu bauen, also den gesamten Transport auf die Straße zu verlegen. Eine politische Entscheidung – mit der Folge, daß noch mehr Erde mit Asphalt und Beton versiegelt, noch mehr CO2 aufgepufft wurde. Ist der kollektive Selbstmord unvermeidlich? Ist es unrealistisch, sich ein 21. Jahrhundert vorzustellen, in dem wir nicht von den Interessen der Automobil- und der mit ihr eng verbundenen Erdölindustrie regiert werden? Oder könnte uns, wenn wir jetzt für die Hochwasseropfer sammeln, vielleicht doch der Gedanke kommen, daß es vernünftig wäre, nicht nur in gemeinsamer Anstrengung die entstandenen Schäden, sondern auch die Ursachen künftiger noch viel größerer Schäden zu beseitigen? Ich werde im nächsten Heft auf diese Fragen zurückkommen. Und über einen Selbstversuch berichten: Leben ohne Auto.
Erschienen in Ossietzky 17/2002 |
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