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Die »Verteidigungspolitischen Richtlinien« von Kabinett und Militär forderten bereits 1992 »Einflußnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen und gegründet auf unserer Wirtschaftskraft«, und sie definierten die »Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt« als vitale Sicherheitsinteressen Deutschlands. Die »Verteidigungspolitischen Richtlinien« wie die Schriften zur politischen Bildung der Soldaten rücken die »nationale Interessenlage« Deutschlands anstelle der Unterordnung unter NATO und USA ins Zentrum der Sicherheitspolitik des neuen Deutschland. »Gleichberechtigte Partnerschaft« mit den USA wird gefordert. Die »Verteidigungspolitischen Richtlinien«, die vom Bundeskabinett »zur Kenntnis genommen« und kritiklos von der neuen »rot-grünen« Koalition beibehalten (aber nie vom Bundestag beschlossen) wurden, stellen das politische Programm des heimlichen wie unheimlichen deutschen Generalstabs dar. Kein Politiker kann daran vorbeigehen. In der »Vorläufigen Leitlinie für die operative Führung von Kräften des Heeres« vom 8.2.1994 wird erklärt: »Die Bereitschaft und die Notwendigkeit, einer Krise mit wirksamen Mitteln entgegenzutreten, sind in der Regel abhängig von dem Maß der Betroffenheit der eigenen politischen Interessen. Der Grad der öffentlichen Wahrnehmung und des in der Bevölkerung dazu vorhandenen Bewusstseins bestimmen dabei wesentlich die Entscheidung zu Maßnahmen zur Konfliktverhütung, Krisenbewältigung und Krisenreaktion sowie deren gesellschaftliche politische Akzeptanz. Daher können selbst lang andauernde Krisen, die zunächst keine direkten Auswirkungen auf die eigene Interessenlage hatten, bei veränderter Perzeption in Politik und Öffentlichkeit dennoch im weiteren Verlauf zu einer Neubeurteilung mit entsprechenden Reaktionen führen.« Das heißt, die Krise ist erst dann eine Krise, die das kriegerische Eingreifen verlangt, wenn deutsche Interessen Krieg für geboten halten und die Bevölkerung zum Krieg reif gemacht worden ist. Deutsche Interessen geboten danach die Kriegsteilnahme gegen Jugoslawien und in Afghanistan. Sie gebieten offenbar nicht die Teilnahme gegen den Irak. Oder noch nicht. Gegen Jugoslawien erschien deutscher Militäreinsatz erforderlich, damit sich die Deutschen endlich wieder als kriegsverwendungsfähige Nation zeigen konnten. Zudem hatte schon zehn Monate vor Kriegsbeginn der damalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe die Interessenlage laut Allgäuer Zeitung vom 15. 5. 98 so definiert: Schaffung eines neuen völkischen Kleinstaates Kosovo auf dem Territorium Serbiens unter Mithilfe der Bundeswehr mit dem zusätzlichen Zweck, Flüchtlinge fernzuhalten. »Wenn wir«, so Rühe vor Soldaten, »im Kosovo nicht richtig reagieren, haben wir noch mehr Flüchtlinge im Land.« Für den Krieg in Afghanistan benannte Rühes Nachfolger Rudolf Scharping die Interessen und damit die deutschen Kriegsziele: »Wir wissen doch alle, daß zum Beispiel die weltwirtschaftliche Stabilität und die weltwirtschaftliche Sicherheit von dieser Region sehr stark beeinflußt werden können, von jener Region, in der 70 Prozent der Erdölreserven des Globus und 40 Prozent der Erdgasreserven des Globus liegen« (Bundestagsdebatte 16. 11. 2001). Rot-Grün legte in Klartextfassung ein klassisches imperialistisches Kriegsprogramm auf. In Europa will Deutschland seine wirtschaftliche und politische Stärke auch in militärische Überlegenheit ummünzen, und es strebt eine Führungsrolle an. Sehr aktiv beteiligt es sich an der Militarisierung der Europäischen Union und stellt für die EU-Eingreiftruppe das größte nationale Kontingent. Das Material- und Ausrüstungskonzept für die Bundeswehr bis zum Jahr 2015 sieht 213 neue Rüstungsprojekte vor. Gesamtkosten: Minimum 110 Milliarden Euro. Der Rüstungshaushalt soll auf mehr als 25 Milliarden Euro steigen, also auf Rekordhöhe, während die öffentlichen Ausgaben im Sozialbereich sinken und die Kommunen in die Pleite rutschen. Davon macht Schröder keine Abstriche. Dem Beispiel Österreichs mag er nicht folgen: Er mag nicht an der Rüstung sparen, um den Opfern der Flutkatastrophe zu helfen. Dennoch will er - zunächst - nicht am Krieg gegen Irak teilnehmen. Weil die Mehrheit der Deutschen nicht dahinter steht - doch das ließe sich ändern. Vor allem aber, weil die führenden europäischen Mächte Frankreich und Deutschland andere Interessen in jener Gegend haben. Anders als die USA können die deutschen und französischen NATO-Partner in Irak und Iran politische und ökonomische Interessen besser ohne Waffengewalt durchsetzen. Man spricht von den Unwägbarkeiten einer möglichen neuen Führung im Irak, die von den USA installiert würde. Offenbar wäre eine Pro-USA-Führung im Irak gar nicht nach dem Geschmack der deutschen Führung. Noch mehr Macht der USA über die Ölreserven der Welt ... - der Gedanke schreckt sie. Die Absage an den Irak-Krieg der USA kann zu einer wirklichen Absage an den Krieg nur werden, wenn die »Verteidigungspolitischen Richtlinien« aufgekündigt werden. Und der »deutsche Weg« kann erst dann ein Weg zum Frieden sein. Kontext:
Erschienen in Ossietzky 17/2002 |
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