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Als die Flut anschwoll und Dörfer und halbe Städte verschlang, tröpfelte die Hilfe der Bundeswehr, die zur Landesverteidigung da ist. Landesverteidigung heißt doch wohl zuallererst Landverteidigung. Aber wo denn? Am Sonntagmittag, dem 11. August, warnte der Wetterdienst vor der bevorstehenden Katastrophe, vier Stunden später brach sie los. Die Bundeswehrstrategen schliefen. Am Montag um 12 Uhr forderte ein Landrat aus dem Erzgebirge Bundeswehr an, Ministerpräsident Georg Milbradt sprach schon von einer »Jahrtausendkatastrophe«, und die Allianz-Versicherung in Leipzig rechnete bereits einen Jahrhundertschaden aus - da wälzten sich die Strategen langsam aus ihrem Dauerschlaf. »Bei schweren Unglücksfällen oder Naturkatastrophen ist die Bundeswehr oft die einzige Organisation, die über rasch einsatzbereite und leistungsfähige Kräfte sowie über die erforderliche Führungsstruktur und Logistik verfügt.« Das konnte der Landrat, wenn er mangels Bundeswehrhilfe die Webside der Bundeswehr anklickte, dort nachlesen. »Alles, was wir tun können, tun wir auch,« behauptete bald darauf die Bundeswehr und erläuterte, was sie alles tun kann: »Wir haben zur Zeit 2600 Soldaten im Einsatz.« Während Österreichs Regierung ihr Lieblingsprojekt, den Ankauf von 24 Eurofightern, wegen der Flutkosten auf 18 herabsetzte und auf das Jahr 2006 verschob, während Sachsen den achten Toten zählte und die Mulde mehrere Ortschaften überschwemmte, verkündete am Katastrophen-Mittwoch Verteidigungsminister Struck sein Programm zum Schutz unseres Landes, das er noch vor der Bundestagswahl durch den zuständigen Ausschuß peitschen will: 410 Schützenpanzer, die für den »Auslandseinsatz« dringend gebraucht werden, zum - heute angegebenen - Preis von zwei Milliarden Euro. Das ist genau das 20fache des Soforthilfeprogramms von 100 Millionen Euro, das die »Task Force Hochwasserhilfe« der deutschen Bundesregierung am selben Tag für die Geschädigten in Aussicht stellte. Deutsche Schützenpanzer waren schon immer wichtiger als deutsche Menschen. Am Freitag versprach der Schützenpanzerkönig den geschädigten Brüdern im Osten: »Alles technische Gerät, was wir haben, alle Manpower, die wir haben, wird zur Verfügung gestellt.« Struck wiederholte seinen Spruch: »Alles, was wir tun können, tun wir.« Er sagte das in Kiel. Dort gab am selben Tag sein Parteifreund Klaus Buß, der Innenminister von Schleswig-Holstein, bekannt, drei Bundeswehrbrigaden, das sind mehr als 10 000 Mann, stünden »bereit zum Gefecht«, falls die Flutwelle nach fünf oder sechs Tagen sein Land erreiche. Am selben Freitag, als noch kein Wässerchen der Flut die Grenze bei Lauenburg erreicht hatte, schickte Schleswig-Holsteins großes Luftwaffentransportgeschwader in Hohn zwar acht Tornados zur Luftaufklärung, aber nur kümmerliche drei Hubschrauber zur Hilfe nach drüben. Insgesamt waren - nach einer Mitteilung des Verteidigungsministeriums vom Tag darauf - überhaupt nur elf Bundeswehrhubschrauber zum Retten von Menschen und zum Transport von Hilfsgütern im Einsatz. Und das Verteidigunsministerium gab ohne Scham an diesem fünften Tag der Katastrophe bekannt, wie wenig Helfer es bis dahin geschickt hatte: »Mehr als 4860 Soldaten der Bundeswehr sind bereits im Einsatz, über 1600 sind darüber hinaus in Bereitschaft.« Alle Manpower, die wir haben. Für den ganzen Osten nur halb so viel wie für das weniger gefährdete Schleswig-Holstein. Er sei gern hier, um zu helfen, versicherte einer dieser 4860 Bundeswehrleute, die bis zur Erschöpfung Sandsäcke schleppten und so - zu spät - die Dämme gegen die Flut zu schützen suchten. Man darf ihm glauben. Aber während ein paar Tausend, darunter viele Rekruten, die erst seit wenigen Wochen Dienst tun, sich redlich abmühen, liegt der übergroße Rest der Bundeswehr wie ein einziger fauler Sack in den Kasernen oder putzt die Gewehre für neue Abenteuer draußen in der großen weiten Welt. Denn eine Woche nach Beginn der Katastrophe war die Bundeswehr am Sonntag mit wichtigeren Aufgaben beschäftigt: Das Bundesministerium der Verteidigung und die Bundeswehr präsentierten sich am »Tag der offenen Tür der Bundesregierung«. Ihr Thema mitten in der Flutkatastrophe, laut Webside: »Einsätze der Bundeswehr im Ausland - ein Beitrag zur nachhaltigen Friedenssicherung«. Am Montag sollen es schließlich, es gab unterschiedliche Zahlen, mal 16 000, mal 19 000 Bundeswehrhelfer im Osten gewesen sein. Selbst wenn es noch mehr werden, eines hat die Bundeswehrführung bewiesen: Zur schnellen und wirksamen Hilfe im Katastrophenfall ist sie nicht imstande. Einst zur Landesverteidigung, laut Grundgesetz, geschaffen und nicht zum Angriffskrieg, ist heute die Bundeswehr - so wie sie sich darstellt - außerstande zur Landverteidigung. Reform tut not. Der Bundeskanzler hat rechtzeitig zum Wahlkampfauftakt versprochen, keine Bundeswehr in den Irak zu schicken, wenn Bush dort seinen Krieg beginnt. Nach der Wahl gilt, das wissen wir gerade bei Gerhard Schröder, das gebrochene Wort. Nehmen wir ihn dennoch, einmal, ernst. Dann müssen wir aber auch und vor allem die Generäle ernstnehmen, auch den Anführer des Bundeswehrverbandes, die entgegen dem erklärten Willen der politischen Führung in einen Krieg an der Seite ihrer US-Kameraden drängen. Das darf nicht ohne Konsequenzen bleiben. Die Bundeswehr, gegründet, um uns gegen die Rote Flut zu verteidigen und zu verhindern, daß der Russe unser Weib und unser Kind notzüchtigt, ist seit einem Jahrdutzend von diesem Auftrag verlassen. Der Russe kam einfach nicht, und jetzt versagt sie vor der braunen Schlammflut aus seinem einstigen Machtbereich. Reform der Bundeswehr - das kann nach der Flutkatastrophe nur heißen: Auflösung und Rekonstruktion als Umweltschutztruppe unter sachkundiger Führung von Greenpeace und Technischem Hilfswerk. Wir brauchen diese Truppe. Denn die Klimakatastrophen werden sich verschlimmern, gerade auch weil US-Präsident Bush sich weigert, das Protokoll von Kyoto zu erfüllen. Für die deutschen Generäle und Soldaten aber, die es immer noch in den Krieg drängt, in den Irak und wohin auch immer, gibt es eine einfache Lösung. Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel verkaufte seine Soldaten für gutes Geld an den König von England für dessen Kampf gegen die heutigen Vereinigten Staaten. Leisten wir Wiedergutmachung. Verkaufen wir nach der Reform der Bundeswehr deren kriegslüsternen Rest an den US-Präsidenten Bush. Aber bitte ohne Rückflugkarte. Wir können diese Herrschaften nie wieder brauchen.
Erschienen in Ossietzky 17/2002 |
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