Zur normalen Fassung

[Naher Osten]


Es gibt eine Grenze

Interview mit Dan Tamir von Yesh-Gvul, einer Organisation zur Unterstützung von Soldaten, die den Kriegsdienst in den besetzten palästinensischen Gebieten verweigern



Warum hast Du den Dienst in den besetzten palästinensischen Gebieten verweigert?

Als Mensch bin ich nicht bereit, Gewalt gegen unschuldige Menschen auszuüben. Zudem weiß ich, daß ich in diesem Konflikt zur stärkeren Seite gehöre. Und weil ich zur stärkeren Seite gehöre, mußte ich als erster aufhören.

Du bist mit Deiner Entscheidung nicht allein.

Die Bewegung der massenhaften Kriegsdienstverweigerung begann 1982, obwohl es auch in den Jahren zuvor vereinzelte Fälle von Befehlsverweigerung gegeben hatte. Nach wenigen Wochen Krieg im Libanon wurde einigen Reservisten klar, daß dieser Krieg ausschließlich politischen Zielen dient. Ihnen wurde auch klar, daß sie als Soldaten getäuscht und für diese Ziele benutzt werden. So entschlossen sie sich, an diesem Krieg nicht mehr teilzunehmen. Bis 1984, als die erste Phase des israelischen Rückzugs aus dem Libanon begann, hatten hunderte Soldaten den Kriegsdienst verweigert.

Die zweite Welle hunderter von Verweigerungen fiel in die Periode der ersten Intifada 1987-1993. Seit September 2000 erleben wir die dritte Welle von Massenverweigerungen. Als ich mich im März 2001 der Teilnahme an diesem Krieg widersetzte, waren wir wenige Dutzend Verweigerer. Jetzt, eineinhalb Jahre später, gibt es 1.100 Kriegsdienstverweigerer vom Soldaten bis zum Rang des Majors und des Oberstleutnants.

Wie reagieren der israelische Staat und die Gesellschaft auf die Verweigerungen?

Was die Regierung und die Armee anbetrifft, so wird offiziell das Phänomen der Kriegsdienstverweigerungen geleugnet. Für sie stellen die Verweigerer Verrückte, Feiglinge, Fanatiker, Linke, Extremisten, Kommunisten usw. dar. Regierung und Armee wollen das Phänomen verheimlichen. Deswegen sind von den 1.100 erklärten Kriegsdienstverweigerern (diejenigen, die eine Millionen Rechtfertigungen gefunden haben, sich dem Kriegsdienst zu entziehen - aus gesundheitlichen, psychischen, oder persönlichen Gründen - sind dabei nicht inbegriffen) nur 160 eingesperrt worden, ohne daß es ein einziges Verfahren gegeben hätte. Die israelische Gesellschaft ist mehr als zuvor gegenüber ausdrücklich politisch begründeter Kriegsdienstverweigerung nachsichtig.

Hier in Griechenland gibt es die Überzeugung, daß die überwältigende Mehrheit der israelischen Bevölkerung die Regierung Sharon und ihre Politik unterstützt. Welche Möglichkeiten siehst Du für die israelische Friedensbewegung?

Zunächst muß man bei den Statistiken vor Augen haben, daß in den gleichen Umfragen 60% der Befragten geantwortet haben, es müsse eine politische Lösung gefunden werden, weil die militärische Besetzung das Problem nicht löse, und 70% erklärten, daß sie eine Räumung der Siedlungen befürworten!

(...)

Als diese Intifada im September 2000 begann, haben viele die israelische Linke für tot erklärt. Yesh-Gvul gehörte immer zum linken Flügel der israelischen Friedensbewegung und hat die anderen linken Organisationen zur Aktivität gedrängt. Der Grund dafür ist sehr einfach: Yesh-Gvul ist vor allem eine Bewegung, die sich auf ethischer und danach auf politischer Basis gebildet hat. Wir sagen nein zu einem illegalen Krieg. Das ist unser Anknüpfungspunkt und alle politischen Aspekte unserer Position folgen daraus. Im Gegensatz dazu geben andere Organisationen der israelischen Linken ihren politischen Zielen Vorrang und rechtfertigen sie danach.

(...)

Jeder Verweigerer kennt die Folgen, die sein Handeln hervorrufen. Er weiß, daß er sehr wahrscheinlich bestraft wird. Es gibt also eine Gruppe von Menschen, die erklärt, daß sie bereit ist, den Preis für ihr Handeln zu bezahlen. Wir wollen ein persönliches Beispiel geben, und wir sind bereit, den Preis dafür zu bezahlen. Das ist sehr ermutigend für andere Leute.

Wie könnte in der derzeitigen Situation ein alternativer politischer Vorschlag in Israel aussehen?

Die Verletzung der Menschenrechte muß aufhören. Die Besatzung muß ohne Verhandlungen beendet werden. Auch wenn die Vereinbarungen von Oslo Friedensabkommen getauft wurden - in Wirklichkeit befinden sich 70% dessen, was ein "zukünftiger palästinensischer Staat" genannt wurde, unter direkter israelischer Verwaltung, und der Rest steht vermittelt über die sogenannte Palästinenserbehörde unter indirekter israelischer Verwaltung. Ich glaube, daß das Abkommen von Oslo zusammengebrochen ist, weil es wie jede derartige Übereinkunft auf der ethnischen und religiösen Trennung basiert, die den Gegensatz und den Krieg mit sich bringt. Gleichzeitig muß Israel ein demokratischer Staat werden. Es muß die Logik aufgegeben werden, einen jüdischen Staat zu errichten. In den Grenzen von 1967 gibt es ein System der Apartheid für die Nichtjuden, das aufgehoben werden muß. Nach meiner Meinung sind sowohl die Grundsätze des Zionismus als auch die des Panarabismus überholt. Was wir jetzt brauchen, ist eine neue Logik, nicht auf der Basis "Zionismus gegen Panarabismus", nicht auf der Basis der nationalen oder religiösen Teilung der israelischen Gesellschaft. Im Gegenteil, wir brauchen eine Logik des friedlichen Zusammenlebens aller Bewohner Israels - Moslems, Christen, Juden, aller, die hebräisch oder arabisch sprechen, eine Logik der Koexistenz aller dieser Gemeinschaften, langfristig zusammen in einem Gemeinwesen. Früher oder später wird mehr und mehr Menschen bewußt werden, daß die Teilung und Trennung in national "reine" Gruppen Konflikte und Kriege mit sich bringt.

(...)

Wir rufen alle fortschrittlichen und linken Organisationen auf, möglichst großen Druck auszuüben, entweder direkt auf die israelische Regierung mit Protesten vor den israelischen Botschaften oder indirekt, indem man sich an die Regierungen und die EU wendet, damit Druck auf Israel zur Beendigung dieser Politik ausgeübt wird.

(...)



Übersetzung: Gregor Kritidis (sopos)

Dan Tamir ist Mitglied der isralischen Anti-Kriegs-Initiative Yesh-Gvul ("Es gibt eine Grenze") und Reserveoffizier. Im Sommer 2001 wurde er zu 26 Tagen Gefängnis verurteilt, weil er sich geweigert hatte, Militärdienst in den besetzten Gebieten zu leisten. Vorausgegangen war die Weigerung, seinen Untergebenen einen entsprechenden Einsatzbefehl zu erteilen.

Das Interview mit Dimitris Pavlopoulos ist der griechischen Wochenzeitung "Prin" vom 1.9.2002 entnommen und wurde leicht gekürzt (Kontakte: www.yesh- gvul.org - dort auch Infos auf deutsch und englisch. Sowie: www.prin.gr).


Die israelischen Kriegsdienstverweigerer brauchen dringend weitere moralische, politische und finanzielle Unterstützung! Die Genossen von der Arbeiterpolitik haben in ihrer letzten Ausgabe vom August ein Flugblatt beigelegt, indem zu Spenden aufgerufen wird:

Challenge
Sparkasse Bonn
BLZ 380 500 00
Kto 123 097 248
Stichwort "Verweigerer"

Zur normalen Fassung


https://sopos.org/aufsaetze/3d84c9ac84f48/1.phtml

sopos 9/2002