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Aus heutiger Sicht bedarf diese Aussage der Präzisierung: Die Zahl derer, die über den Einsatz von Kapital und Produktionsmitteln tatsächlich bestimmen, ist im Zuge eines gigantischen Konzentrationsprozesses, der weltweit stattfindet, zusammengeschmolzen. Die ökonomischen Geschicke der Welt werden jetzt von einer Handvoll »global players« und ihren wichtigsten »shareholders« bestimmt. Hingegen sind die auf Lohnarbeit verschiedenster Art und im weitesten Sinn Angewiesenen zur weltweit 80 bis 90 Prozent aller arbeitsfähigen Menschen beiderlei Geschlechts umfassenden Mehrheit geworden. Doch wie viele von ihnen verstehen sich als Proletarier? Die in den klassischen Metropolen des Kapitalismus zum großen Teil bereits seit längerem nicht mehr; viele in der Dritten Welt, wo sie in prekärster Existenzform die Slums bevölkern, noch nicht... * Ein weiterer Schlüsselsatz des Kommunistischen Manifests definiert die Methoden, durch die der Kapitalismus seine zyklischen Krisen zu meistern versucht: einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; anderseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Gerade damit aber bereite er immer allseitigere und gewaltigere Krisen vor und vermindere zugleich die Mittel, den Krisen vorzubeugen. Eine Prognose, die sich inzwischen vielfach bewahrheitet hat: Kapitalistische Staaten reagierten auf Krisen mit Kriegen, und aus der Kriegsgegnerschaft der Opfer entstand Gegnerschaft gegen die realen gesellschaftlichen Ursachen der Kriege. So stellte die Pariser Kommune am Ende des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 den Kapitalismus zum ersten Mal in seiner Geschichte für immerhin 72 Tage als System in Frage. Ergebnis des Ersten Weltkrieges war die Oktoberrevolution. Sie entzog der Kapitalherrschaft für fast acht Jahrzehnte ein Sechstel der Erde. Zu den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges zählten das Übergreifen des sowjetischen Systems auf Osteuropa und die bis heute andauernden antikapitalistischen Aufstände in fast allen Kolonialgebieten des Kapitalismus. Denkt man diese Chronologie zu Ende, könnte die Krise des Kapitalismus globale Ausmaße erreichen, also sämtliche Völkerschaften der Welt simultan betreffen und ihnen eine gemeinsame Antwort zur Überwindung dieser Krise abfordern. Ergebnis könnte günstigstenfalls das Ende des Kapitalismus, ungünstigstenfalls der im Manifest ebenfalls bereits als Möglichkeit erwähnte »gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen« sein. Indem ich davon ausgehe, daß existentielle Konflikte den Selbsterhaltungstrieb derer, die ihnen ausgesetzt sind, zu mobilisieren vermögen, setze ich, bei aller gebotenen Skepsis, die schon im Manifest mitschwingt, auf die aufklärerische Kraft der menschlichen Vernunft. * Eine der heutigen Hauptschwierigkeiten des Kapitalismus besteht bekanntlich darin, daß er an Grenzen seiner Expansionsmöglichkeiten stößt. Grenzen sind ihm gesetzt durch: die ökologische Belastbarkeit der Welt; die Knappheit der primären Ressourcen (fossile Energiequellen, Wasser etc.); und last, not least, die Aufnahmefähigkeit des Weltmarktes. Zwar bewirkte der mikroelektronische Innovationsschub der 1960er und 70er Jahre noch einmal eine geradezu explosionsartige Expansion sowohl der Produktivität als auch der Produktionskapazitäten des kapitalistischen Weltsystems. Mit vergleichsweise immer geringerem Einsatz menschlicher Arbeitskraft schwoll der die Welt überschwemmenden Warenfluß immer höher an. Doch die globale Konsumkraft ließ und läßt immer mehr zu wünschen übrig. Einen Hauptgrund hierfür nennt ebenfalls bereits das Manifest: Die Kosten, die der Arbeiter verursacht, beschränken sich... fast nur auf die Lebensmittel, die er zu seinem Unterhalt und zur Fortpflanzung seiner Race bedarf. Der Preis einer Ware, also auch der Arbeit, ist aber gleich ihren Produktionskosten. In demselben Maße, in dem die Widerwärtigkeit der Arbeit wächst, nimmt daher der Lohn ab... Genau dies ist derzeit weltweit zu beobachten. Immer mehr Arbeitsfähige werden auf Billig-Jobs abgedrängt, und ein immer größerer Teil der Weltarbeiterschaft wird für die kapitalistische Produktion generell überflüssig. Damit und mit dem stetigen Absinken des Lohnanteils an den Gesamtkosten der Warenerzeugung aber schmilzt unausweichlich auch die globale Kaufkraft dahin, wodurch bereits ganze Märkte zusammengebrochen sind. * Die Folge hiervon laut Manifest: Die bisherigen kleinen Mittelstände, die kleinen Industriellen, Kaufleute und Rentiers, die Handwerker und Bauern, alle diese Klassen fallen ins Proletariat hinab, teils dadurch, daß ihr kleines Kapital für den Betrieb der großen Industrie nicht ausreicht und der Konkurrenz mit den größeren Kapitalisten erliegt, teils dadurch, daß ihre Geschicklichkeit von neuen Produktionsweisen entwertet wird. So rekrutiert sich das Proletariat aus allen Klassen der Bevölkerung. Spätestens hier müssen wir uns freilich fragen, ob denn die durch die neoliberalen »Deregulierungen« unserer Tage massenhafter denn je »Freigesetzten«, will heißen: aus der Erwerbsgesellschaft Ausgegrenzten und sich in den langen Fluren der Arbeits- und Sozialämter Wiederfindenden, noch Proletarier im Marxschen Sinne sind. Zumindest die in der sog. Dritten Welt, zum Teil aber auch die in den Schwellenländern chronisch Arbeitslosen sind wohl weit eher den Opfern einer weiteren von Marx vorausgesagten, von bürgerlichen Wirtschaftswissenschaftlern jedoch jahrzehntelang hohnlachend als obsolet abgetanen kapitalistischen Dynamik zuzuordnen: der Pauperisierung jener Fraktionen der Weltbevölkerung, die in der Folge immer neuer Produktivitätsschübe aus dem globalen Reproduktionsprozeß herausfallen und ins »Lumpenproletariat« absinken. Zu den auffälligsten Massenprodukten des heutigen Kapitalismus zählt der in keiner Weise mehr profitabel verwertbare Wegwerfmensch. Der »Rentier« dagegen, der heute in den Metropolen des Hochkapitalismus als Kleinaktionär agiert, riskiert jähe Enteignung durch Börsencrashs und den Verlust seiner Riester- oder anderweitigen Privat-Altersrente. * Daraus ergibt sich die Frage nach der weiteren Gültigkeit einer anderen Hauptthese des Manifests, die da lautet: Von allen Klassen, welche heutzutage der Bourgeoisie gegenüberstehen, ist nur das Proletariat eine wirklich revolutionäre Klasse. Die übrigen Klassen verkommen und gehen unter mit der großen Industrie, das Proletariat ist ihr (der Bourgeoisie) eigenstes Produkt. Mir scheint, potentielle Revolutionäre sind heute und in absehbarer Zukunft all jene nach Hunderten von Millionen zählenden Menschen, deren Existenzgrundlagen von den »global players« weltweit entweder akut bedroht werden oder bereits vernichtet worden sind. * Gegen eine solche Vermutung könnte allerdings sprechen, daß die elektronischen Verdummungsindustrie nichts unversucht läßt, dem wachsenden Heer der zur Deklassierung Verdammten den Zugang zu revolutionären Gelüsten zu verwehren, indem sie mit viel Geschick und beachtlichem Erfolg die Uraltstrategie aller Meinungsmanipulatoren praktiziert und Nationalitäten, Religionen, Kulturkreise und sogenannte Rassen gegeneinander ausspielt. Dieses permanente Auseinanderdividieren gerade der am meisten Benachteiligten gelingt nicht zuletzt deshalb immer aufs Neue, weil die meisten dieser im Sinne von »Teile und herrsche« propagandistisch verschärften Hund-und-Katz-Konstellationen auf reale, oftmals tief in der Geschichte wurzelnde Interessengegensätze zurückgehen. Besonders konfliktträchtig ist die Tatsache, daß der in manchen Weltregionen seit Beginn der Kolonialära um sich greifende Pauperisierungsprozeß erst jetzt auch in den höchstentwickelten Metropolen des Kapitalismus langsam wieder sicht- und spürbar wird. Als sozial privilegierte, vom Kolonialbonus mitprofitierende Bewohner der »Ersten Welt« und ökonomische Nutznießer des Kalten Krieges nahmen wir ihn über Jahrzehnte hinweg kaum mehr wahr, weil ihn das kapitalistische System bis vor kurzem nahezu restlos von der Ersten in die Dritte und Zweite Welt zu exportieren vermochte. Hinzu kommt eine schlimme ideologische Konsequenz der durch Aussperrung aus dem Arbeitsprozeß hervorgerufenen Verelendung der Ausgegrenzten: das Auseinanderdriften ihrer subjektiven Interessen und jener der noch im regulären Arbeitsprozeß stehenden Lohnempfänger. Die entscheidende Frage lautet demzufolge: Wie wird dieses »Globalproletariat« sich seines tatsächlichen gesellschaftspolitischen Status bewußt werden, seinen globalen Kontrahenten erkennen lernen? * Das neuerdings zu beobachtende Übergreifen der Pauperisierung ganzer Gesellschaftsschichten auch auf die Metropolen hat noch eine andere Grenze kapitalistischer Expansionsmöglichkeiten sichtbar werden lassen: die Tragkraft des sogenannten Sozialen Netzes. Schon ist es stellenweise gerissen – und das ist nicht nur eine Folge der in Deutschland seit 1989 offen forcierten und von der Linken zu Recht heftig kritisierten Demontage des »Sozialstaates«. Der Abbau sozialstaatlicher Leistungen hat auch ganz direkt damit zu tun, daß das System selber labiler wird und seine minoritär gewordenen Nutznießer daher nach immer mehr und immer teurerer innerer und äußerer »Sicherheit« verlangen. Ferner damit, daß die aus dieser Labilität erwachsenden nationalistischen, rassistischen und neokolonialen Kriege und sonstigen sozialen Katastrophen steigende Kosten verursachen. Daraus ergibt sich die Hauptfrage, ob und wie lange sich das kapitalistische System die Minimalversorgung einer stetig zunehmenden Zahl sozial Deklassierter überhaupt noch – selbst in seinen Metropolen – leisten kann. Daß ihm dies immer schwerer fällt, ist offenkundig. * Ebenso offenkundig ist, daß, wie schon im Manifest geschrieben steht, die moderne Staatsgewalt nur ein Ausschuß ist, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisieklasse verwaltet. Freilich bedarf auch dieser Satz einer Anpassung an heutige Verhältnisse. So wie inzwischen auf dem Weltmarkt von der »ganzen Bourgeoisieklasse« vergangener Zeiten praktisch nur die »global players« übrig geblieben sind, hat sich auch die Struktur ihres politischen Verwaltungsausschusses, und damit das Gesicht der Staatsgewalt, verändert. Zum einen werden jahrzehntelang als heilig und unantastbar gepriesene Grundlagen der bürgerlichen Demokratie in immer mehr Ländern dieser Erde teils heimlich, teils skandalös offen abgebaut. Begleitet wird diese Demontage durch massiv verstärkten Einsatz polizeilicher wie auch geheimdienstlicher Mittel gegen Immigranten und Asylanten sowie gegen Kritiker der gegenwärtigen Verhältnisse. Zum andern verliert die Staatsgewalt fast allenthalben dramatisch an politischem Gewicht. Die fortschreitende Verschmelzung nationaler Wirtschaftsräume zu kontinentalen Einheiten bzw. zu einem einzigen globalen Wirtschaftsraum führt zur Reduktion nationaler parlamentarischer Befugnisse und Instrumentarien. Da letztere bisher kaum durch entsprechende internationale parlamentarische Kontrollinstanzen ersetzt wurden, bleibt unter dem Strich der fatale Verlust einst verfassungsrechtlich garantierter Bürgerrechte. Aber: Indem die »global players« demokratische Institutionen im Zuge der neoliberalen »Deregulierung« der Weltwirtschaft politisch und ökonomisch Schritt für Schritt entmündigen, indem sie die Funktionen von Regierungen immer deutlicher auf die Rolle des Büttels nach innen und des militärischen Exekutors nach außen zu reduzieren trachten, bewirken sie etwas für sie selber möglicherweise Verhängnisvolles: Sie machen sich als die eigentlichen Beherrscher der Welt erkennbar – als diejenigen, die für das, was derzeit auf der Welt geschieht, die Hauptverantwortung tragen. Damit jedoch begehen sie exakt denselben »Fehler«, der schon den Spitzenfunktionären der im Realsozialismus tonangebend gewesenen kommunistischen Parteien zum Verhängnis wurde. Indem diese sich die Rolle omnipotenter Überväter anmaßten, wurden sie von ihren Bevölkerungen schließlich folgerichtig für sämtliche Mißstände im System, für alles, was nicht funktionierte, für sämtliche materiellen und politischen Defizite haftbar gemacht und zur Verantwortung gezogen. Mit den bekannten welthistorischen Folgen. Kontext:
Erschienen in Ossietzky 16/2002 |
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