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Als Hessens Landesvater zum Fest schreitet, ertönen Roland-Roland-Rufe.« Da »lacht Arabella Kiesbauer im Negligé-Look in die Kamera«, findet Bundesbankpräsident Ernst Welteke alte Münzen »in Tassen und Töpfen«, wird »FDP-Vorsitzender Wolfgang Gerhardt von Frau Marlies begleitet«, ist »Ex-U-Boot-Kommandant Jürgen Prochnow mit der Frau an seiner Seite« sogar »eigens für den Opernball aus Los Angeles eingeflogen«, nur um »die Gelegenheit zu nutzen, Frankfurt etwas kennenzulernen«. Ja, Reisen bildet, auch wenn es verblödet. Fragt sich wen. Sowas fragt man aber nicht, zumal FDP-Gerhardt Dolly Buster trotz Fürsprache der hessischen Jungen Liberalen nicht als Wahlkampfhilfe haben will. Immerhin ist die »CDU-Vorsitzende Angela Merkel ganz in lila erschienen«, aber »nicht in Begleitung«, vielmehr »mit ihrem Mann Professor Joachim Sauer«, der ernsthaft zur Seite blickte, während Angela direkt in die Linse lächelte, sichtlich die liebste Merkel aller Zeiten. Sonst sah man die Fotos von allerhand Milliardären, CDU-FDP-Politikern, FAZ-Gewaltigen, bei auffallend fehlenden Grünen und Sozialdemokraten. Sozi Welteke war nicht als Genosse da, sondern als Kapitaldirigent. Petra Roth, Frankfurter Oberbürgermeisterin, tanzte »nicht etwa« mit »Maximilian Schell als Partner« herum, aber mit einem Herrn »Robert Raeber«, den ich leider nicht kenne, weil ich im Hochtaunus wohne. Wo aber blieben der Frau OB Vorgänger im Römer? Etwa Rudi Arndt – wurde er, weil Sozi, nicht geladen? Oder weil sein Spitzname »Dynamit-Rudi« ins Gedächtnis zurückrufen könnte, daß er die Alte Oper in die Luft sprengen wollte? Es wäre eh zu früh gewesen. * Erwin Wickert, einstens Mitarbeiter des Auswärtigen Dienstes, beschuldigt in der FAZ die Grünen der Bagatellisierung von Straftaten: Sie schützten Schwule, Schwarzfahrer, Ladendiebe und so weiter. Am meisten empört ihn die Meinung, Desertion im Verteidigungsfall sei nicht Unrecht, sondern ehrenvolles und denkmalwürdiges Verhalten. So dümmlich wagte bisher noch keiner, nicht einmal in der Frankfurter Allgemeinen, die Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren zu verteufeln. Der 2. Weltkrieg als deutscher Verteidigungsfall? Entweder ist der verdiente Ex-Diplomat gaga oder braun wie Schifferscheiße. Glaubt sich die FAZ in dieser Frage der Zeit voraus wie einst mit Fest und Nolte? Bald werden alle Vaterlandsverteidiger als so ehrenwert gelten wie die Herren Dietl, Guderian, Heusinger, Manstein, Speer, Globke, Gehlen und Rommel. Der Tanz der Nachtgespenster reicht in die höchsten Gefilde postmoderner Bürgerkultur hinein. Mit Fleiß graben sie jetzt Gottfried Benn aus, den Vielgeschwänzten; diverse ältere Pensionärinnen erinnern sich selig seiner »Affären mit eher ungebildeten Damen« (FAZ), manches gerinnt im Rückblick zur orgasmischen Hymne: »Als Liebhaber war er ganz hervorragend.« So die gehobene bourgeoise Pornographie. Bisher hörten wir mehr von Brechts vielgestaltiger Vielweiberei, offensichtlich läuft ihm Benn nun den Rang ab. Jede Epoche hat die ihr angemessenen Liebhaber. Brecht war in. Jetzt ist er out. Ein kommunistischer Dichter, vor den Nazis feige ausgerückt. In den USA wegen unamerikanischer Umtriebe jahrelang bespitzelt, schamlos sich samt eigenem Theater in der »zweiten deutschen Diktatur« ansiedelnd. Benn dagegen, der »Jahrhundert-Dichter« (FAZ), warum nicht gleich Jahrtausend-Dichter?, Gottfried Benn also, der die 1933 Exilierten tapfer beschimpfte und hernach in die heldenhafte Wehrmacht retirierte – liegen seine diversen Liebschaften dem deutschen Herzen nicht viel näher? »Wer trinkt dich so und wer erkennte dich / in deiner Ewigkeit aus Lust und Trauer – / erwartest du den Gott –? Erwarte mich.« So kommt Gott Phallus anno 2002 auf dem Umweg übers Feuilleton zum angespitzten Publikum. Erkundigt sich für die FAZ der Eros-Experte Florian Illies: »Konnte Benn, der kühle Liebes pragmatiker, denn zärtlich sein?« Das ist klar die Millionen-Euro-Frage. Darauf werden die Frankfurter Allgemeinen Sonntagswürstchen künftig immer wieder ihren Senf streichen. * Beim Studium der »Kriegstagebücher des OKW der Deutschen Wehrmacht« lernte ich den seit April 1945 in Berlin vermißten Schriftsteller Felix Hartlaub schätzen, der ab 1942 am Tagebuch des Oberkommandos mitschrieb und offenbar nicht zu den Dümmsten zählte. Dann las ich in der FAZ den Vorabdruck seiner »Kriegsaufzeichnungen aus Paris und aus dem Führerhauptquartier«, soeben erschienen bei Suhrkamp. Da wird ein Besuch in einem Huren-Etablissement von einiger Güte geschildert. Ins Leserauge fallen die termini technici praller Landsersprache: »... sah ja ein Blinder mit dem Krückstock ... Bestimmt kein Klasseweib ... vielleicht etwas zu voll in der Brust ... Ein silbernes Kreuz hing ihr vom Halse in die Einfahrt des stattlichen Busens ... Er konnte sie ja nicht leiden mit ihren geilen dunklen Spüraugen, ein hervorragend zudringliches taktloses Biest ... Diese Lausekröte, der fehlte doch wirklich jeden Morgen der Hintern voll ...« Frauen? »Nur« französische Nutten: »Eine Lange ... kapitales Stück ... Die zweite etwas pomadig ... aber eine prachtvolle Kruppe ... gelbe Hundeaugen ... Eine öffnet den Kimono: Wie stumpf die Brüste auseinanderblickten, der Nabel zog ein schiefes Maul ... steinaltes Dragonergesicht ... mit dem Fastnachszinken...« Das ist eben in Paris mitten im Krieg so notiert und dazwischen mit Bildungsbruchstücken versetzt: »Herkules am Scheideweg ...« Der Puffbesucher als Weltmann, doch was verrät die Sprache? Wie schmeckte der Sekt? Selbstverständlich »wie warme eingeschlafene Füße ...« Woher kennt der deutsche Herrenreiter so genau den Geschmack von warmen eingeschlafenen Füßen? Eine der Damen findet Gnade, ist sie doch die »Einzige ... die überhaupt Pupillen in den Augen hatte ...«, die anderen müssen Blinde gewesen sein. Und was weiß unser hochgepriesener Suhrkamp-Stilist über die einzigen intakten Augen noch mitzuteilen? Sie sahen aus »wie begossene graue Mäuse«. Ich versäumte es bisher, graue Mäuse zu begießen, und kann die Metapher nicht in ihrer ganzen Schönheit nachvollziehen. Bedrückt beschließe ich, mir die OKW-Tagebücher, an denen unser superber Schriftsteller mitwerkelte, bei Gelegenheit nochmal vorzunehmen. Alles in allem registriere ich befriedigt, unser postmordendes Bürgertum hat einen seiner begnadeten Epiker wiederentdeckt. Der Jubel der hohen Kritik angesichts dieses Suhrkamp-Geniestreiches ist berechtigt. Aber die FAZ-Auflage sinkt neuerdings ... * Jetzt lese ich in meiner Frankfurter Allgemeinen Heimatzeitung wieder ganz Fürchterliches über Scharon und Arafat. Es ist anzunehmen, die beiden gibt es gar nicht. Wahrscheinlich sind sie Erfindungen eines antisemitischen Karikaturisten. Zur Zeit läuft als Fortsetzungsroman »Fast eine Kindheit« von Hans-Georg Behr, ein Erzählstück ganz ohne Antisemitismus bzw. Verdächtigung und Feuilletondonnerschlag. Schlicht und aus Versehen ein Abdruck von Qualität. Das blieb bisher ohne Resonanz. Die werten Leser sind in diesen Krisenmonaten mit dem Börsenbericht schon überfordert. 160 Anlegermilliarden Euro vernichtete das Kapital unter tätiger Mithilfe seiner FAZ-Strategen. Hätte die PDS so viel Geld für Lehrer, Kinder- und Altenbetreuung gefordert, wäre sie für verrückt erklärt worden. Mein Vorschlag: Als Fortsetzungsroman das Alte Testament, 2. Buch Mose, 32. Kapitel abdrucken: Tanz ums Goldene Kalb. Die himmlische Todesstrafe traf damals laut Bibel »dreitausend Mann«. Mit dem PC auf heutige Kalbstänzer hochgerechnet wäre die Welt auf einen Schlag fast alle ihre Globalisierungsprediger los. Doch so gerecht ist der Gott der Postmoderne nicht mehr.
Erschienen in Ossietzky 16/2002 |
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