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Es bietet das für »Terroristen«-Prozesse übliche Ambiente: unbedingtes Verurteilungsinteresse der Bundesanwaltschaft (BAW), einseitige Ermittlungen der Verfolgungsbehörden, eine verschleppende Verfahrensführung, Aktenmanipulationen und -zurückhaltung, die (noch) nicht aufgedeckte Verstrickung von Geheimdiensten, Schikanierung der Prozeßbesucher, ein an störenden Einzelheiten desinteressiertes Gericht – sowie einen Kronzeugen, dessen Fantasie fünf Menschen auf die Anklagebank des 1. Strafsenats gebracht hat. Vier Männer und eine Frau sind wegen »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung«, den »Revolutionären Zellen« (RZ), und diverser Aktionen im Berlin der späten 80er und frühen 90er Jahre angeklagt. Die Justiz fühlt sich zuständig für die staatliche Abrechnung mit dieser Phase militanter Politik und will sie – Jahre, nachdem sich die »Revolutionären Zellen« aufgelöst haben – mit einer Verurteilung zum Abschluß bringen. Im Mittelpunkt des Verfahrens steht der dubiose Ex-Militante Tarek Mousli, der sich den Ermittlungsbehörden als Kronzeuge andiente und nun die ihm bewilligten monatlich 1200 Euro auf Lebenszeit, den Pkw und Telefonanschluß mit viel Kreativität abarbeiten muß – bis er dann mit neuer Identität endgültig belohnt wird. Obwohl flache Freihandlügen, flaue Fantasien und freche Falschaussagen Mouslis mittlerweile Legion sind, obwohl beständige Beweisunterschlagungen und blindwütige Beschuldigungen bei BAW und Bundeskriminalamt (BKA) breit belegbar bleiben, obwohl Aufklärung dessen, was tatsächlich geschah, mittlerweile als ausgeschlossen gelten muß – am Verurteilungswillen halten die BAW und das von Rechts wegen eigentlich unabhängige Gericht unbeirrbar fest. Politische Justiz as usual also. Allerdings: Erstmals in der an politischen Prozessen reichen Geschichte der Bundesrepublik wird ein solcher Prozeß online begleitet. Die homepage wird durch eine Solidaritätsgruppe betrieben und – nachdem erste Einschüchterungsversuche des Gerichts nicht fruchteten – inzwischen sowohl von diesem selbst wie von der BAW als Quelle zur eigenen Vorbereitung genutzt. Unter www.freilassung.de kann jetzt jede und jeder die nur noch als Justizfarce zu qualifizierende Veranstaltung detailliert nachvollziehen. Wenige Beispiele mögen verdeutlichen, wessen sich – sollte es zur Verurteilung kommen – die RichterInnen Hennig (Vorsitzende Richterin), Hanschke (Berichterstattender Richter), Alban, Genthe und Lechner (Beisitzende Richter) schuldig machen werden. Es ist merkwürdig genug, daß sie das Verfahren nicht längst eingestellt haben. Mousli behauptet, im Berliner Kultur- und Politikzentrum »MehringHof« befinde sich ein Sprengstoffdepot. Am 19. Dezember 1999 stürmen 1000 Beamte das Zentrum – Sachschaden: rund 50 000 Euro – und verhaften Axel H. (51), Hausmeister des Projekts, Harald G. (53), Mitarbeiter der »Forschungsgesellschaft Flucht und Migration« in Berlin, sowie Sabine E. (55), Galeristin in Frankfurt am Main. Mousli sorgt dafür, daß auch deren Ehemann, Rudolf Sch. (59), angeklagt wird. Im Frühjahr 2000 folgt eine weitere Verhaftung: Diesmal kommt Matthias B. (53), zu diesem Zeitpunkt Leiter des Akademischen Auslandsamts der Technischen Universität Berlin, hinter Gitter. In Kanada wird Lothar E. (48) verhaftet. Gegen ihn läuft seitdem ein Auslieferungsverfahren. Mousli behauptet, er wisse alles über alle Anschläge der RZ. Zehn Monate dauert es nun, bis die Bundesanwaltschaft auf Grundlage seiner Aussagen ihre Anklage vorlegt. Angeklagt sind alle fünf wegen der Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag auf die Berliner Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) im Februar 1987. Den drei Berlinern wird zudem der gescheiterte Sprengstoffanschlag auf die Berliner Siegessäule während des Golfkriegs 1991 angelastet. Vorgeworfen werden den Angeklagten darüber hinaus die Knieschüsse auf den ehemaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, 1986 und den damaligen Richter am Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher, 1987. Zwar sind diese Tatvorwürfe verjährt, dennoch werden sie von der BAW in das Verfahren eingeführt, weil sie »die Gefährlichkeit der terroristischen Vereinigung RZ« belegen sollen. Seit Mai 2002 gilt der Vorwurf der »Rädelsführerschaft« für drei der Angeklagten. Demnach hatte die Berliner RZ in den Augen des Kammergerichts mehr Führungs- als einfache Mitglieder. Mousli behauptet, Harald G. sei am Anschlag auf die ZSA beteiligt gewesen. Falsch, Harald G. befand sich zu diesem Zeitpunkt in Polizeigewahrsam. Auch das angebliche Sprengstoffdepot im »MehringHof« gab es nicht, so das Krimi nal technische Institut des BKA, das »keine Spuren von organischen Explosivstoffen oder deren Komponenten« fand. Mousli behauptet, den nach einem Einbruch in seinen Keller 1995 verbliebenen Sprengstoff sofort in einem Seegraben im Norden Berlins versenkt zu haben, wo er dann nach drei Versuchen 1999 »gefunden« wurde. Falsch, so in einem vorläufigen Gutachten das renommierte Fraunhofer-Institut: Das Klebeband, mit dem das Sprengstoffpaket umwickelt war, lasse zwar erkennen, daß es im Wasser gelegen habe, aber »höchstens wenige Monate, keinesfalls Jahre«. Mousli behauptet, auf Harald Hollenberg habe Sabine E. geschossen. Falsch, denn vor wenigen Wochen gestand die bisher nicht in Erscheinung getretene Barbara W., sie habe geschossen. In der ersten Phase des Prozesses hatten alle Angeklagten Aussagen verweigert. Seit Anfang diesen Jahres aber haben drei von ihnen Angaben zur Sache gemacht; sie befinden sich deswegen, die beiden anderen wegen Unglücksfällen in ihren Familien, nach langer Untersuchungshaft nun unter Auflagen in Freiheit. Hintergrund für die Einlassungen ist der sich »unerträglich dahinschleppende Verlauf dieses Verfahrens«, so Axel H. Er räumt Unterstützungsleistungen für die RZ Mitte der 80er Jahre ein und widerspricht gleichzeitig den Behauptungen des Kronzeugen zur Beteiligung an Anschlägen. Auch Rudolf Sch. und Sabine E. machen Einlassungen – »wegen der unerträglichen Lügen«. Was sie sagen, steht gleichfalls in Widerspruch zu Behauptungen des Kronzeugen. Obwohl alle Angeklagten im Kern die Anklagevorwürfe bestreiten, betont der Senat, »dringender Tatverdacht« sei »nach wie vor gegeben« und durch die Einlassungen sogar »erhärtet worden«. Der Kronzeuge ist demontiert. Trotzdem hält das Gericht an ihm fest. Gerade wegen der Vielzahl der Manipulationen ist offenkundig nicht mehr zu klären, was tatsächlich geschehen und – vor allem – wer dafür verantwortlich ist. Aber am Sieg des Staates über seine Feinde, wer das auch sei, soll kein Zweifel aufkommen.
Erschienen in Ossietzky 16/2002 |
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