Richard Grasso, Chef der New Yorker Börse. – Angesichts der durch Bilanzmanipulationen verursachten Worldcom-Pleite und des Kurssturzes an der Wall Street haben Sie in die Mikrofone und Kameras gesagt: »Wir müssen Krieg führen gegen die Terroristen in den Vorstandsetagen!« Sie werden hoffentlich bedacht haben, daß auch die beiden obersten Terroristen-Jäger Ihres Landes, George W. Bush und Richard Cheney, ähnliche Betrügereien begangen haben sollen, als sie noch in den Vorständen von Erdölgesellschaften saßen. Mut zu Ihren dankenswert klaren Worten hatte Ihnen sicher eine Gallup-Umfrage gemacht, der zufolge die US-Bevölkerung jetzt größere Sorgen vor der verfahrenen wirtschaftlichen Lage als vor Terroristen arabischer Provenienz hat. Aber hätten Sie gedacht, daß tags darauf weder die US-Presse noch die deutschen Zeitungen Ihre Anregung für ein neue Zielgruppe des Anti-Terror-Feldzugs erwähnten, so daß Sie nun auf Ossietzky angewiesen sind?

Michael Sommer, DGB. – Im gewerkschaftlichen Info-Blatt einblick haben Sie berichtet, wie Sie als neuer Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes die Parteien auf Wahltauglichkeit testen: Dem Unions-Kanzlerkandidaten hätten Sie gesagt, er solle das Tariftreuegesetz als eine »Nagelprobe auf Verläßlichkeit in puncto arbeitnehmergerechte Politik« betrachten. Edmund Stoiber aber habe »diese Nagelprobe nicht bestanden«. Richtig so. Jetzt warten wir darauf, daß Ihnen noch eine weitere Nagelprobe einfällt, diesmal für Gerhard Schröder. Wir geben eine Anregung: Besteuerung der Veräußerungsgewinne bei Kapitalgesellschaften.

Ludwig Georg Braun, DIHT. – Als Präsident der wichtigsten Repräsentation der gewerblichen Wirtschaft, des Deutschen Industrie- und Handelskammer-Tages, haben Sie in einem Interview der Frankfurter Rundschau überraschenderweise dem Kabinett Schröder viel Lob erteilt. Mit dem Auslandseinsatz der Bundeswehr habe die rot-grüne Bundesregierung »Deutschland international positioniert«, und mit der »Öffnung zur kapitalgedeckten Altersvorsorge« sowie der Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne »bedeutende richtige Schritte« getan. Da fragt man sich, weshalb denn die Union an die Regierung soll. Das hätten Sie noch dazu sagen können: Wenn die ersten Schritte in die Ihrer Meinung nach richtige Richtung getan sind, haben es andere bei den nächsten Schritten leichter. Danebengehen kann da nichts, das haben Sie angemerkt: Wenn die Union jetzt von neuen Steuerpflichten für Kapitalgesellschaften rede, sei das nur »Wahlkampfrhetorik«.

Karin Reiss, Regisseurin. – Ihr Film »125 Jahre Ullstein« hat interessante Details, aber warum lassen Sie die beim alten Ullstein oft erwähnte Berliner Zeitung plötzlich weg, wenn es um die erste Zeitung geht, die im Mai 1945 nach der Befreiung erschien und Berliner Zeitung hieß, bis heute? War es Unkenntnis? Oder sind die jungen Historiker des Hauses Springer, die Sie im Bilde zeigen, nicht ganz im Bilde? Oder durften die und Sie nicht? Ach, und schon gehört die Berliner Zeitung einem neuen Herrn, nämlich dem des von Ihnen als »erste« Nachkriegszeitung genannten Tagesspiegel. So schnell ändert sich Geschichte, die Zensur nicht.

Désirée Nick, p. A. Renaissance-Theater, Berlin. – Über Ihre neue Ein-Personen-Revue »Das Schlimmste« hat Lothar Kusche uns vorgeschwärmt, sie habe nahezu alle Besucherinnen und Besucher des Renaissance-Theaters (ihn natürlich eingeschlossen) begeistert. Überrascht hat uns das nicht, denn unser Mitarbeiter ist ein ausgesprochener Nick-Fan (vgl. »Désirée Nick porträtiert Mechthild Huschke«, Ossietzky 9/02); er trug diesmal seine Eloge mit stark glänzenden Augen vor, stand aber nicht unterm Einfluß irgendwelcher Rauschmittel – wenn man mal von Ihnen und Ihrem Auftritt absieht. Zu dem schönen Erfolg sollte man an erster Stelle Ihnen gratulieren, aber auch Ulf Dietrich (Konzeption und Regie), dem musikalischen Leiter, Pianisten und Show-Partner Volker Sondershausen und den anderen hilfreichen Geistern. Auf der Rückseite des Theaterzettels sind zwei Nick-Rezepte abgedruckt. Für den »Skateintopf« zeigte unser Berichterstatter allerdings kaum Begeisterung. Macht nichts. Kusche kann nicht Skat spielen.

Erschienen in Ossietzky 15/2002