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Macht macht dumm. Die alte Spruchweisheit, daß der Mensch mit dem Amt auch den Verstand bekomme, habe ich nie bestätigt gefunden; die Weisheit ist keine, sondern ein dummer Spruch. Alle Regierenden behaupten, es gebe keine Alternative zu ihrer Politik. Sie verstehen sich nämlich als ausführende Organe des Schicksals – oder wollen jedenfalls so verstanden werden. Die Fürsten von einst waren Fürsten von Gottes Gnaden, Hitler berief sich auf die »Vorsehung«, heutige Politiker nennen das höhere Wesen »Sachzwang«. So sind sie aller irdischen Kritik entzogen – solange das brave Volk nicht den rechten Glauben verliert. Die Berliner Stadtpolitiker behaupten zum Beispiel, sie hätten beschließen müssen, die den Erwerbern von Immobilienfonds-Anteilen der Berliner Bankgesellschaft die versprochene Rendite zu garantieren, auch wenn die Stadt dann in den kommenden Jahren dafür Zigmilliarden Euro aufwenden muß. Da habe es keine Alternative gegeben. Das beteuern sie mit so fester Stimme, daß sich dem braven Volk jeder Zweifel verbietet. Niemand soll etwa auf den Gedanken kommen, daß die Fonds einfach hätten zahlungsunfähig werden können wie so viele kleine Betriebe des Handwerks und Einzelhandels. Dann hätte über alle Zahlungsansprüche verhandelt werden müssen, auch über die Renditeansprüche der Anleger. Nun aber – dank der höheren Weisheit der Berliner Politiker – übernimmt die Gesamtheit der Berlinerinnen und Berliner die Aufgabe, den Herrschaften in den kommenden Jahren und Jahrzehnten das zu zahlen, was die Fonds, wie von vorn herein klar war, nicht hergeben. Man hätte diese Aufgabe längst in die Verfassungen schreiben sollen. Im Grundgesetz, in der Berliner Verfassung, in den Verfassungen aller Bundesländer müßte klargestellt werden, was die Aufgabe des Volkes ist, und es wäre sehr leicht zu formulieren: »Das Volk hat den Reichen zu dienen, damit sie noch reicher werden.« Daraus ergäbe sich dann der Zweck des Staates: Verteilung aller Werte von unten nach oben. Nach dieser Klarstellung würde endlich verständlich, was regierende Politiker tun. Neben dem Haus der Demokratie und Menschenrechte, wo die Ossietzky-Redaktion arbeitet, kann man am Eingang des Friedrichshains den Märchenbrunnen bewundern. Einst in DDR-Zeiten sprudelte da das Wasser. Das waren bekanntlich schlechte Zeiten. Jetzt in den guten Zeiten gibt es nicht mehr genug Geld für Brunnenwasser. Auch nicht mehr für viele Schwimmbäder, die sich die arme DDR leistete, für Bibliotheken, Theater. Denn jetzt gilt die Parole: »Es muß gespart werden.« Die Regierenden sagen nicht: Wir wollen Sozialausgaben kürzen, sondern: »Es muß gespart werden.« In solche Passivsätze hüllt sich immer die Macht des Schicksals. Wenn ein Politikersatz mit »Es muß...« beginnt, müssen wir demütige Haltung annehmen und den Gürtel enger schnallen. Es muß privatisiert werden. Das gehört zum Glaubensbekenntnis aller regierenden Politiker und aller, die regieren wollen. Zu Jahresbeginn, als es in Berlin kräftig geschneit hatte, beobachtete ich, wie am Vormitttag vor einem Haus ein kleiner Wagen vorfuhr, um auf dem Bürgersteig einen Pfad zu bahnen, auf dem man gefahrlos gehen konnte. Nach einer halben Stunde kam ein anderer Wagen, von einer anderen Firma, um vor einem anderen Haus das Gleiche zu tun. Nach und nach wurde mal hier, mal da Schnee geräumt und Sand gestreut, vor etlichen, aber längst nicht allen Häusern. Wäre es nicht günstiger gewesen, wenn ein einziger Wagen vom städtischen Fuhrpark gekommen wäre, um gleich den ganzen Bürgersteig passierbar zu machen? Ja, günstiger für die Allgemeinheit schon, aber es wäre so etwas wie Sozialismus gewesen, Unfreiheit also. Die Post und die Telefondienste müssen privatisiert werden. Das Volk darf sich – mit Hilfe des sympathischen Manfred Krug – eine Zeitlang der Illusion hingeben, per Volksaktie könne es sich ein Stück eines profitablen Unternehmens aneignen. Dann stellt sich heraus, daß das Volk auf diese Art abgezockt wurde. Viele Milliarden Mark dienten dazu, ein US-amerikanisches Unternehmen dazuzukaufen. Warum? Brauchten wird es? – Aber wer wird denn nach unseren Bedürfnissen fragen. Unsere Arbeit muß billiger werden – niemand darf an diesem gleichsam religiösen Gebot zweifeln. Eine der größten Leistungen der Politiker seit Jahren ist die Dreistigkeit, mit der sie diese Politik als Beschäftigungspolitik ausgeben. Zu hohe Löhne, verkündeten uns Politiker diverser Parteien, seien Beschäftigungsbarrieren, desgleichen Arbeitssschutz und Kündigungsschutz, überhaupt alle gesetzlichen Arbeitnehmerrechte. Lohnnebenkosten, also Vorsorgezahlungen für Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter, müßten verringert werden, die Unternehmer müßten möglichst ganz davon entlastet werden. Auch feste Arbeitszeiten seien Beschäftigungsbarrieren. Nur durch Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse seien die Unternehmer zur Schaffung neuer Arbeitsplätze zu bewegen. Aber das alles hat uns nichts gebracht, im Gegenteil. Lohnquote, Kaufkraft, Binnennachfrage sind gesunken, und die staatlichen »Sparprogramme« taten ein Übriges, die Wirtschaft abflauen zu lassen. Kommunen, die infolge der staatlichen Steuerpolitik zugunsten der Reichen immer weniger Geld einnehmen, können folglich auch immer weniger Aufträge erteilen. Der erhoffte Wirtschafts- und Beschäftigungsaufschwung – woher soll er kommen? Wie wäre es, wenn wir einmal anfangen würden, an den Glaubenssätzen der Regierenden zu zweifeln – da sie doch durch die Wirklichkeit längst widerlegt sind? Eine »Beschäftigungsbarriere« nach der anderen ist weggeräumt worden, aber die Arbeitslosigkeit, diese schändliche Verschwendung von Produktivkraft, hat sich noch vergrößert – auch und gerade als unmittelbare Folge politischer Entscheidungen, nämlich des Abbaus von Millionen Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst. Keine Alternative? Schon zu Beginn der rot-grünen Regierungszeit hat Otto Meyer in Ossietzky detailliert vorgerechnet, was es kosten und was es bringen würde, im öffentlichen Dienst – da, wo dringendster Bedarf besteht, z.B. im Bildungswesen, im Gesundheitswesen, im Umweltschutz – eine Million zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Niemand hat ernsthaft die Richtigkeit der Berechnungen bestritten, umsichtige Fachwissenschaftler bestätigten sie. Aber kein Politiker ließ sich darauf ein, denn jeder wußte ja durch höhere Eingebung: Es muß gespart werden – an den Arbeits- und Lebensbedingungen des Volkes. Gewachsen ist nur der Abstand zwischen oben und unten. Vielleicht geht Rot-Grün in einigen Wochen zu Ende. Was wird dann von diesem Regierungsbündnis bleiben? Solche Seltsamkeiten wie eine sogenannte Ökosteuer, die dem Zweck dient, die Unternehmer von Lohnnebenkosten zu entlasten? Möglich. Viele Versprechungen aus den Wahlprogrammen beider Parteien werden unerfüllt bleiben, z.B. die Ausbildungsplatzabgabe; Schröder hatte sie den Unternehmern von vornherein nicht zumuten wollen. »Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik«, verhieß die Koalitionsvereinbarung. Daraus wurden im Nu Kampfeinsätze der Bundeswehr – erst in Jugoslawien, später in Afghanistan. Jetzt ist die Koalition stolz darauf, daß deutsche Truppen in mehreren Balkanländern stehen, in Kenia, in Kuwait usw. – weitab vom verfassungsrechtlichen Verteidigungsauftrag der Bundeswehr. Die deutschen Rüstungsausgaben und die früher von Sozialdemokraten und vor allem von Grünen bekämpften Rüstungsexporte wachsen auf Rekordhöhe. Grünes Licht nun auch für die Lieferung einer deutschen Munitionsfabrik in die Türkei. Und Schröder rühmt sich der »Enttabuisierung des Militärischen«. Sie ist in der Tat die Hauptleistung, die bleibende Leistung dieser Koalition. Mit der Frage, wie das geschehen konnte – wie das zusammengehen konnte: Frieden versprechen und Kriege führen – befaßt sich Jürgen Elsässer in seinem Buch »Make Love and War« (Pahl-Rugenstein Verlag, 172 Seiten, 14.50 Euro). Die Antwort hat er gleich auf der zweiten Seite parat. »Einer der Pioniere der neuen Weltordnung« schreibt er sarkastisch, habe sie schon vor Jahrzehnten gegeben, und zwar mit folgenden Worten: »Die Umstände haben mich gezwungen, jahrzehntelang fast nur vom Frieden zu reden. Nur unter der fortgesetzten Betonung des deutschen Friedenswillens und der Friedensabsichten war es mir möglich, dem deutschen Volk Stück für Stück die Freiheit zu erringen und ihm die Rüstung zu geben, die immer wieder für den nächsten Schritt als Voraussetzung notwendig war... Es war nunmehr notwendig, das deutsche Volk psychologisch allmählich umzustellen und ihm langsam klarzumachen, daß es Dinge gibt, die, wenn sie nicht mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden können, mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müssen. Dazu war es aber notwendig, nicht etwa nun die Gewalt als solche zu propagieren, sondern es war notwendig, dem deutschen Volk bestimmte außenpolitische Vorgänge so zu beleuchten, daß im Gehirn der breiten Masse des Volkes ganz allmählich die Überzeugung ausgelöst wurde: wenn man das eben nicht im Guten abstellen kann, dann muß es mit Gewalt abgestellt werden.« Derjenige, der im November 1938 vor der deutschen Presse in wenigen Sätzen so oft die Wörter »notwendig« und »müssen« aussprach, war Adolf Hitler. Schröder mit Hitler zu erklären – unerhört. Das ist gewiß auch nicht Elsässers absicht. Aber wir sollten nicht vergessen, was sich hinter bestimmten Wendungen in der Sprache der Regierenden früher verborgen hat, und wir sollten gegenüber solchen Wendungen hellhörig sein. Schröder, der demonstrativ auf seinem Schreibtisch im Kanzleramt seinen im Zweiten Weltkrieg gefallenen Vater in Wehrmachtsuniform mit Hakenkreuz vorzeigt, Schröder, der, nachdem Jugoslawien 1999 um Jahrzehnte seiner Entwicklung zurückgebombt war, von sich gab, damit verblasse die Erinnerung an frühere deutsche Verbrechen auf dem Balkan, Schröder, der ausgerechnet am 8. Mai ausgerechnet mit Martin Walser ausgerechnet über Nation und Patriotismus schwafelte, Schröder verwendet konsequent die Wörter »notwendig« und »müssen«. Einige Beispiele: »Ich bin bereit, das Notwendige zu tun, auch im Militärischen.« – »Es gibt Situationen, in denen eine von allen gewollte politische Lösung militärisch vorbereitet, erzwungen und schließlich durchgesetzt werden muß.« In einem Interview des Tagesspiegel wurde er gefragt: »Sind Ihre Erkenntnisse von der Notwendigkeit von Bundeswehr-Auslandseinsätzen im Afghanistankrieg mehrheitsfähig in Deutschland?« Schröder antwortete: »Das alles ist noch nicht vollständig gelernt, am ehesten wohl in der politischen und ökonomischen Klasse akzeptiert.« Er tut, was er kann, um auch die übrigen Deutschen auf Kriegskurs zu bringen, vor allem die Gewerkschaften ruhig zu stellen. Man erinnere sich an seinen Ausfall gegen die IG Metall, als diese – in Abwesenheit ihres Vorsitzenden Klaus Zwickel – sich einmal getraut hatte, Kritik zu äußern. Not breitet sich aus – sogar im reichen Deutschland. Notwendig ist Umverteilung zugunsten der Bedürftigen. Das ist der Sinn des Sozialstaatsgebots. Für forcierte Aufrüstung und weltweite Militäreinsätze gibt es kein Gebot – im Gegenteil: ein klares verfassungsrechtliches Verbot. Man muß schon durch sehr lange Gewöhnung an engstirniges Machtdenken dumm geworden sein, um glauben zu können, Deutschland sei schicksalhaft zu imperialistischer Politik gezwungen. Zu jedem vorgeblichen Sachzwang, für den wir Regierte opfern sollen, gibt es humanistische Alternativen. Wann immer regierende Politiker behaupten, es gebe keine Alternative, ist ihnen in unserem eigenen und im allgemeinen Interesse vernehmlich zu widersprechen.
Erschienen in Ossietzky 15/2002 |
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