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Vorerst müssen sie unter strenger Aufsicht entsprechend dem Firmenmotto »Lernen durch Begreifen« zu Übungszwecken in langen Reihen Kieselsteine auflesen, vermutlich damit später beim Einsatz das kostbare Erntegut nicht durch allzu ungelenkes Begreifen Schaden nimmt. 400 Angehörige des Stammes der Ossi sollen in der Folge so zu Plantagenarbeitern aufsteigen. Die anstelligsten unter ihnen besitzen sogar schon einen Saisonvertrag, der ein für ihre Verhältnisse beachtliches Einkommen von jährlich 3234 Euro brutto garantiert. So sollen die Naturkinder begreifen, daß sich Arbeit lohnt, und überdies lernen, mit dem ihnen sonst noch ungewohnten Zahlungsmittel Geld selbständig umzugehen. Keine einfache Erziehungsaufgabe, wenn man bedenkt, daß nach der Aussage eines erfahrenen Aufsehers oft die Hälfte der Leute dem Alkohol verfallen ist, ein Phänomen, das seit den Anfängen der Kolonialisierung fast regelmäßig beim ersten Zusammentreffen wilder Völkerschaften mit der Zivilisation auftritt. Als bekanntestes Beispiel gelten unter Ethnologen die Roten in Amerika. Ebensoviele Erdbeerpflücker-Eleven sind den Worten desselben Aufsehers zufolge Analphabeten: »Die können nicht mal 'ne Erdbeere gerade halten.« Geschweige denn eine lesen. Aber es ist ja noch viel Zeit bis zur nächsten Ernte, da wird es schon klappen. Schließlich wußte die kaiserliche Kolonialverwaltung von Deutsch-Südwest, Kamerun und Deutsch-Ost schon Anfang letzten Jahrhunderts: »Der Neger an sich ist von Natur aus arbeitsscheu und faul. Nur durch harte Zucht und strenge Strafen läßt er sich zu systematischer Arbeit bewegen.« Etwa in den Erdbeerplantagen. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei an dieser Stelle nachdrücklich festgestellt: Keinesfalls sollen mit der geschilderten Arbeitserziehungsmaßnahme die finsteren Zeiten der Sklaverei und Ausbeutung wieder heraufbeschworen werden. Es gilt im Gegenteil, ein zukunftsweisendes Gesellschaftsmodell in seinen menschlichen Aspekten zu vervollkommnen, das der Hartz-Kommission nämlich, welchselbes häufig leider noch allzu umstritten ist: Einige halten es für verdienstvoll, die Mehrheit des Volkes muß es als verdienstmindernd betrachten. Man mag sich dazu stellen, wie man will, Einigkeit sollte angesichts der neuen weltpolitischen Rolle Deutschlands aber darin bestehen, die von Experten modernen Arbeitnehmern abgeforderte größere Flexibilität und Ortsungebundenheit auch außenpolitisch zur Lösung humanitärer Konflikte nutzbar zu machen. Ein in unserem Fall naheliegendes Beispiel: Bekanntlich ist es letztes Jahr in Südspanien zu gewalttätigen ethnischen Auseinandersetzungen gekommen, als die einheimische Bevölkerung, durch die gelegentlich dunklere Hautfarbe der zur Erntearbeit dorthin verpflichteten marokkanischen Erdbeerpflücker unerträglich provoziert, sich bedauerlicherweise gezwungen sah, diese zu jagen, zu verprügeln und in unumgänglichen Härtefällen auch totzuschlagen. Wäre es da nicht sinnvoll, zur Entschärfung der Situation kurzerhand ein entsprechendes vorpommersches Pflückerkontingent nach Spanien zu verschuben? Wie jedes Lehrbuch der jüngeren deutschen Geschichte zu berichten weiß, sind die Ossi veranlagungsmäßig ja ohnehin ein unbändig reisefreudiger Nomadenstamm. Und sogar schon die Goten waren bekanntermaßen Vorkämpfer der EU-Freizü-gigkeit bis zur Straße von Gibraltar. Falls nötig könnte das Arbeitsamt Greifswald ja auch eine Umschulung zum Orangen- oder Zitronenpflücker organisieren. Der Marokkaner als solcher müßte sich dann nur zum Petersilien-Spezialisten ausbilden und auf eine naheliegende Insel verfrachten lassen. Alles paletti. Sogar unsere brave Kriegsmarine hätte dann wieder eine neue lohnende humanitäre Aufgabe. Die letzte ist ihr ja kürzlich irgendwie abhanden gekommen. Auf Beschluß des Reichsbundestags sind am Horn von Afrika bekanntlich deutsche Seestreitkräfte stationiert, um dort in uneingeschränkter Solidarität ihren heldenhaften Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus zu führen. Nun fügte es unlängst der Zufall, daß die Besatzung der Fregatte »Bremen« Augenzeuge eines Aktes brutaler Piraterie wurde. Der Frachter »Aamir« war von schwerbewaffneten Seeräubern gekapert und bis zur Zahlung eines hohen Lösegeldes tagelang in der unmittelbaren Nähe des deutschen Kriegsschiffs festgehalten worden. Leider mußte unsere Seestreitmacht, nur eingeschränkt solidarisch, dem Geiseldrama tatenlos zusehen. »Natürlich läßt uns so ein Vorfall nicht kalt«, erklärte laut Presseberichten der Kommandant, ein Fregattenkapitän der Bundesmarine, »aber aus rechtlichen Gründen waren uns die Hände gebunden.« Um etwas gegen das Verbrechen zu unternehmen, hätte man ein Stück weit in die somalische Zwölf-Meilen-Zone eindringen müssen. Dazu aber fehle der Bundesmarine – außer in Fällen von Seenot – ein Mandat. So mußte man sich halt aufs rechtliche Beobachten des Verbrechens beschränken. Klar: Nur ein Narr wird annehmen, die Besatzung eines von bewaffneten Verbrechern auf See geenterten Schiffs befände sich in Not. In Jugoslawien soll es jetzt Leute geben, die darüber nachsinnen, woran es wohl liegen mag, daß dem deutschen Militär Hoheitsgrenzen eines Staates zu Lande erheblich weniger unverletzlich erscheinen als solche auf See. Ach, es ist eben wieder mal je nachdem.
Erschienen in Ossietzky 15/2002 |
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